KI, diese Abkürzung ist aktuell in aller Munde. Beim Karlsruher Künstlerkollektiv Francis Karat steht sie jedoch für noch viel mehr als nur Künstliche Intelligenz, wie man an diesem Freitagvormittag beim Besuch in der Karlsruher Oststadt erfährt.
Das Atelier im Hinterhof wirkt zunächst unscheinbar. Sobald aber die Nachbarn dazukommen, wird es lebendig. Sie regen das Künstlerkollektiv immer wieder auch zur Kreation an seinen Arbeiten an. Die KI nutzt das Kollektiv als Werkzeug für künstlerische Arbeiten. Es gelte, gesellschaftliche Entwicklungen zu hinterfragen. „KI steht bei Karat für Kollektive Intelligenz“, sagt Francis Karat. Neben Erinnerungskultur und dem Entwurf gesellschaftlichen Utopien bewegt sich Francis Karat im Spannungsfeld zwischen Forschung und Innovation. Und weil die drei interdisziplinär tätigen Künstler gemeinsam hinter ihrer Arbeit stehen, treffen sie auch alle Aussagen im Kollektiv.
Mit ihrer Installation „Sperrige Erinnerung“ haben sie in diesem Jahr den ersten Platz beim zweiten Kunstpreis in der TechnologieRegion Karlsruhe (TRK) gewonnen. Die Fragestellung der Jury lautete „Kann KI Kunst?“ - ein passendes Thema für das Kollektiv, das mit seiner Kunst die Schnittstellen zwischen generativer KI, klassischem Film, Fotografie und experimentellem Sounddesign kuratiert und bespielt. Vier Wochen lang, bis zum 20. Juli, war das Werk im La Nef – Relais Culturel de Wissembourg in Frankreich ausgestellt. Aktuell befindet es sich wieder im Atelier.
Das Preisträger-Kunstwerk ist eine zwei Meter hohe Skulptur, aus 5186 aufeinandergestapelten Fotografien. Der Stapel balanciert auf einem alten Röhrenfernseher aus den 1980er-Jahren. Neben dem Objekt steht eine grüne Leiter. „Die kann man besteigen, wenn man sich das traut, und auf den Stapel draufschauen. Das sind alles einzelne Erinnerungen, Erinnerungsfragmente, ‚Erinnerungen ohne Subjekt‘“, sagt Francis Karat.
Das Kunstwerk ist Teil einer Erzählung. Alles begann dabei mit einem Sperrmüllfund, einer roten Kiste voller Dias. Diese ganz realen Erinnerungen wurden zum Ausgangspunkt der Installation. Im ersten Schritt haben Francis Karat die Dias mit Motiven aus den 1980er-Jahren digitalisiert und dann sozusagen als „Daten-Korpus“ für die KI verwendet, um mit deren Hilfe eine riesige Menge weitere Bilder im selben Stil zu generieren – Urlaubsfotos, Familienfotos von Partys, Geburtstagsfeiern und vieles mehr.
So hat die KI die „echten“ Bilder durch weitere „fiktive“ Fotos ergänzt. Diese Fotos wurden ausgedruckt und zu diesem imposanten Stapel aufgetürmt. Zusätzlich laufen die KI-generierten Bilder digital in Dauerschleife auf dem Röhrenfernseher. Passende Musik im Stil des 80er-Jahrzehnts haben Francis Karat - ebenfalls mit KI-Hilfe - komponieren lassen: sie liefert quasi den passenden Soundtrack zu den Bildern, ebenfalls in Dauerschleife.
Fragt man sich also, ob KI Kunst generieren kann, kann man das mit Blick auf das Künstlerkollektiv klar mit „Ja“ beantworten. Diese Frage griffe aber wohl zu kurz: „Gerade weil KI Fehler macht, ist das eine Herausforderung für uns als Künstler. Wenn KI die Realität perfekt abbilden würde, dann wäre es witzlos und ohne Nutzen“, sagt Francis Karat. Spannend sei für die Kunst die KI vor allem dann, wenn sie etwas über sich selbst erzählt.
Noch deutlicher gesagt: „Wir nutzen KI als Werkzeug und wollen diese über sich selbst und die Gesellschaft erzählen lassen. Die Fehler zeigen die Gesellschaft auf, alles, was dahinter steckt, wer ausgebeutet wird, was man nicht sieht und was schief geht“, sagt das Künstlerkollektiv. Die „echte“ und „allgemein gültige“ Realität wird durch die von der KI künstlich generierte Realität kritisch hinterfragt. Es wird aufgezeigt, dass Manipulation der „echten“ Realität im Kollektiv durch die Summe der individuellen Erinnerungen, Fehler, Erinnerungslücken, Ergänzungen, Abzüge und Abstraktionen geschehen kann.
Francis Karat kennen sich schon lange, arbeiten aber erst seit zwei Jahren im Kollektiv zusammen. Alle drei Künstler haben an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe studiert. Sie kommen aus den unterschiedlichen Disziplinen Film, Fotografie, Gestaltung, Sound Art sowie Musik, Kommunikations- und Produktdesign und sind damit Medienkünstler, also Allrounder.
In ihrem Schaffen sei es wichtig, die Dinge auch von außen zu betrachten. So diskutieren die drei die verschiedenen Punkte, so lange, bis sie das Ergebnis haben. „Es gibt keinen Kompromiss. Das wäre ein Rückschritt. Wir gehen konsequent Schritt für Schritt voran. Manchmal auch wieder einen Schritt zurück und schauen uns das an. Die Idee ist manchmal radikal.“
Wichtig sei auch, einfach mal von sich selbst wegzugehen und sich auf Sachverhalte, die zu Kunstwerken werden können, einzulassen. „Man muss sich Dinge anhören und sich darauf einlassen, im Sinne von bedingungslosem Zuhören. Da entsteht dabei immer etwas Eigenes. Zwischen Sender und Empfänger entsteht der Zwischenraum. Es entstehen Fehler, Ping Pong-Ketten. Während man die Idee ausspricht, entsteht etwas Neues. Das, was dann rauskommt, macht uns stolz“, so Francis Karat.
Auf die Frage, wie sie an den Standort für ihr Atelier gekommen sind, antwortet das Künstlerkollektiv: „Unsere Agentin ist hierauf gestoßen, weil sie selbst ein Atelier gesucht hat. Man kann hier gut produzieren. Es ist kein Büroraum. Rund um die Uhr sind hier Leute, außer an Weihnachten.“ Die Frage, was Francis Karat an Karlsruhe generell mag, ist schnell beantwortet: „Es ist uns sehr angenehm, dass man sich in der Kunstszene kennt. Da weiß man, wer wo ist und wer was macht. Es sind nicht so viele Leute hier. Der Nachteil ist, dass man nicht so einfach aus den Netzwerken herauskommt, um auch mal etwas Größeres zu machen.“
Die neueste Arbeit des Kollektivs trägt den Titel „Was interessieren mich die Erinnerungen anderer Leute“ und wurde im Nordbecken ausgestellt. Sie basiert auf dem fotografischen Archiv von Constanze Zacharias. Das Werk besteht aus 612 Bildern, die aneinandergereiht sind und dadurch verschiedene Geschichten zu einer machen – eine, die – KI-gestützt – wieder zu Diskussionen anregt. Eine weitere Installation des Kollektivs war zu Jahresbeginn im Fleischermuseum Böblingen zu sehen. Es trug den Titel "Alte Schinken" und thematisierte die Zukunft der Nahrungsherstellung - natürlich mit KI-Unterstützung.
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