Unter der Friedensbrücke beim Campingplatz befand sich eine spitz zulaufende, schmucklose Wand, die geradezu danach rief, gestaltet zu werden. Ein Fall für Jens-Peter Lages.
Das fand jedenfalls der Betreiber des Campingplatzes, Joachim Arlt. Er kannte bereits einige Werke des Graffiti-Künstlers, der in und um Neckargemünd zahlreichen Stromkästen, Verteilergehäusen und Mauern ein neues Gesicht verliehen hat – mit einer Einladung zum Hinschauen.
Als sich beide vor Ort trafen, wurden schnell erste Ideen ausgetauscht. Arlt schwebte ein Motiv mit Landesflaggen und der Europafahne vor – eine Hommage an die internationale Gästeschar, die den Campingplatz gerne besucht. Jens-Peter Lages jedoch war gedanklich bereits ganz woanders – genauer gesagt: im Fluss. Denn dort, in den tiefen Wassern des Neckars, soll ein Wesen sein Unwesen treiben, das ihn nicht mehr losließ: der Hookemann, auch bekannt als Hakemann.
Gefunden hatte Lages die Figur in dem Kinderbuch „Spuk im Neckar“ von Andrea Liebers/Illustration Julia Ginsbach. Er las es seinem Sohn vor – und blieb daran hängen. Der Hookemann, so heißt es dort, sei ein Geist des Flusses, finster, rätselhaft und gefährlich. Wie wäre es also, wenn man diesem sagenhaften Wesen Gestalt verleihen würde – genau hier, am Neckar, an einem Ort, wo Wasser, Geschichte und Fantasie sich berühren?
Arlt war sofort Feuer und Flamme. Gemeinsam wurde recherchiert – sogar im Museum im Alten Rathaus. Kulturreferentin Jasmin Hettinger half mit. Und tatsächlich: Der Hookemann ist keine bloße Erfindung der Autorin, sondern taucht in alten Sagenbüchern der Region auf. Eine Geschichte ragt besonders heraus: Einst soll ein Flößer namens Hannes sich einem der legendären „Flussweibchen“ nähern wollen – und wurde zur Strafe vom Neckargeist Nöck in die Tiefe gezogen. Seitdem, so die Überlieferung, kehrt er als Hookemann immer wieder zurück, mit seinem langen Fischerhaken, bereit, Unvorsichtige in den Fluss zu reißen. Früher warnte man Kinder und Neckarsäumige mit mahnenden Worten: „Geht nät so noh an da Necka – sunscht holt eich da Hookemann!“
Diese düstere Warnung inspirierte Lages zu einem Entwurf, der auch den Campingplatzbetreiber überzeugte. Nun entsteht auf der spitz zulaufenden Wand eine Szenerie, die sich tief in der lokalen Mythologie verwurzelt: Der Hookemann blickt den Betrachter an – mit halblangen Haaren, grünlich schimmernder Haut und einem durchdringenden Blick. Er trägt eine Flößertracht, wie sie Hannes zu Lebzeiten wohl getragen haben mochte. Die Botschaft: Der Flößer ist der Hookemann. Die Legende lebt.
Im Hintergrund des Kunstwerks öffnet sich ein Panoramablick auf Neckargemünd – so, wie man ihn von eben diesem Ort unter der Friedensbrücke kennt. Zu sehen sind beide Uferseiten der Stadt, eingerahmt vom Neckar, in dem sich Hechte, Barsche und andere heimische Fischarten tummeln. Auch sie hat der Künstler in das Bild eingearbeitet – als Teil der flussnahen Szenerie, als Hinweis auf die Lebendigkeit und Vielfalt des Wassers.
Noch ist das Werk nicht ganz vollendet, doch nach dieser Woche soll die Spraydose ruhen und das Kunstwerk abgeschlossen sein. Joachim Arlt jedenfalls ist sich sicher: Das Wandbild vom Hookemann wird vor allem auch die Besucher des Camping-Biergartens faszinieren – und dem Platz ein ganz eigenes, markantes Gesicht verleihen. Die Geschichte um den Hookemann hat zudem bereits neue Ideen freigesetzt. Könnte man daraus nicht mehr machen – etwa ein kleines touristisches Projekt, das Kindern die Sagenwelt des Neckars näherbringt? Was aus all dem wird, bleibt abzuwarten. Doch Jens-Peter Lages wird sich bald neuen Gestaltungsaufgaben widmen – die nächste führt ihn ins Märchenparadies nach Heidelberg. (du)