Laugenbrezeln am Gründonnerstag – von Gudrun Schultheiss
Wenn ich heute in der Karwoche in eine ofenwarme, mit Butter bestrichene Laugenbrezel beiße, denke ich oft zurück an die Osterzeit zu Beginn der Sechzigerjahre. Besonders der Gründonnerstag ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Meine Mutter fuhr an diesem Tag mit ihrem Handwagen eine große Schüssel Mehl zum Bäcker und ich durfte sie dabei begleiten. Dreißig Laugenbrezeln soll er ihr daraus backen, sagte sie zu dem weiß gekleideten Mann, der geschäftig in seiner gut beheizten Backstube hantierte.
Die mit reichlich Salz bestreuten Brezeln waren zu der Zeit noch etwas Besonderes. Es gab sie in unserer Familie nur selten, oder zu besonderen Anlässen. Der Gründonnerstag war so ein Ausnahmetag! Wir durften Laugenbrezeln essen, so viel wir wollten, nur trinken durften wir nichts dazu. Auf meine kindlich neugierige Frage, warum das so ist, erklärten die Eltern Folgendes: Wir Menschen sollen den großen Durst, den Jesus am Kreuz erlitten hat, an unserem eigenen Leibe spüren. Nachdem der Bäcker am Karfreitag sein Geschäft geschlossen hatte, wurde das Brezelessen auf den Gründonnerstag gelegt. Ungefähr dreimal an diesem Tag wurden wir Geschwister im Wechsel in die Backstube geschickt, um immer nur einen kleinen Teil der bestellten Brezelzahl abzuholen. Mutter legte Wert darauf, dass wir sie frisch und warm verzehren konnten. Erbarmen hatte keiner mit uns durstigen Kindern, denn die Eltern hatten diesen Tag aus ihrer eigenen Kindheit nicht anders in Erinnerung.
Den Karfreitag erlebte ich als Kind sehr bedrückend. Es war auffällig still in unserem Haus. Aus dem Radio erklang nur traurige Musik und die Menschen liefen in dunkler Kleidung zum Gottesdienst. Dieser Tag enthielt eine strenge Anweisung für uns Kinder. Es war uns verboten Ball zu spielen und wehe, wir wurden dabei erwischt. Die symbolische Erklärung, die uns die Eltern dafür gaben, war für uns nur schwer zu verstehen. Es hieß, wir könnten mit dem Ball Jesus am Kreuz treffen.
Am Ostersamstag begann die eigentliche Vorfreude aufs Osterfest und dem damit verbundenen Brauchtum vom Osterhasen und den bunt bemalten Eiern. In unserer Holzlagerhütte fand ich bunt bekleckertes Zeitungspapier. Hier muss der Osterhase gearbeitet haben, stellte ich freudigen Herzens fest. Ich bin froh, dass man mir diese kindliche Illusion sehr lange erhalten hat.
Der Ostersonntag war ein besonders festlicher Tag. Die Freude über die Auferstehung Christus war im ganzen Haus zu spüren. In meinen Sonntagskleidern, dazu gehörte immer eine weiße Strumpfhose, ging ich mit meinem Bruder in die Kinderkirche, während unsere Eltern den Gottesdienst der Erwachsenen besuchten.
Anschließend begann der Höhepunkt des Tages, das Ostereiersuchen. Mit einem Körbchen in der Hand begannen wir in der unübersichtlichen, staubigen, großen Scheune unseres Bauernhofes nach den begehrten, farbenfrohen Eiern zu suchen. Ein Schokolade- oder Zuckerhase war meistens mit im Osternest versteckt. Das Suchen dauerte oft sehr lange. Wenn uns die Geduld ausging, halfen die Eltern mit dem Hinweis: „Hier ist es heiß!“ Oder, wenn wir zu weit weg vom Versteck des Osterhasen suchten, sagten sie: „Es ist kalt hier“. Mit leuchtenden Augen packten wir dann unsere Schätze vorsichtig in den Korb. Nun ging die Ostereiersuche weiter bei allen Verwandten, die im Dorf wohnten. Und das waren sehr viele! In jedem Haus musste man zuerst nachfragen: „Hat d’r Has scho glegt?“ (Hat der Hase schon gelegt). Wir bekamen seltsamerweise überall dieselbe Antwort: „Gerade ist er zum Scheunentor hinausgeschlüpft!“ Mit zunehmendem Alter machte ich mir doch Gedanken, warum ich es nicht schaffte, wenigstens einmal pünktlich zu sein, um den Osterhasen noch zu sehen. Ich glaubte sehr lange daran, dass es tatsächlich dieser Geselle ist, der die Eier legt, sie bunt bemalt und sich so viel Mühe gibt beim Verstecken. Glaubwürdig wurde dieses Geschehen ja in allen Osterbilderbüchern dargestellt. Außer Süßigkeiten und hartgekochten Eiern bekamen wir Geschwister jedes Jahr einen neuen Ball geschenkt.
Bei schönem Wetter ging es am Osternachmittag mit der Familie auf den Dickenberg, um unsere gefundenen Eier zu „rugeln“. Wir kullerten sie mit Schwung den Abhang hinunter, warfen sie uns einander zu oder einfach weit durch die Luft. Einige Eier hatten so eine stabile Schale, dass sie erst zerbrachen, wenn sie gegen eine unserer harten Schuhsohlen schlugen. Jedes kaputte Ei musste zuerst aufgegessen werden, bevor man sich ein neues aus dem Korb holen durfte. Ich spüre noch heute das Drücken in der Magengegend, wenn ich daran denke. Des Öfteren hatte sich um den schönen gelben Dotter ein schwarzer Ring gebildet. Der entstand beim zu langen Kochen der Eier. „Du hast ein Teufele“, sagte man zu demjenigen, der ein solches Ei erwischt hatte. Die leuchtend gelben Dotter nannte man dagegen Engelchen. Geschmeckt hat jede der beiden Varianten gleich gut. Bei schlechtem Wetter wurde das „Eierrugeln“ ins Wohnzimmer verlegt.
Neben unserer kindlichen Freude am Osterhasen legten die Eltern und Großeltern viel Wert darauf, uns Kindern den biblischen Hintergrund des Osterfestes in Worten, Geschichten und Bildern zu erklären. Dass Jesus nach seiner Leidenszeit am Kreuz wieder auferstanden ist, das war für uns alle die größte Osterfreude.
Aus dem Buch „Der Duft von Heu“ von Gudrun Schultheiss