Das Literaturcafé im Hohenhardter 7 in Schatthausen hatte dieser Tage die Heidelberger Schriftstellerin Anne Richter zu Gast. Ihr 2024 erschienener Roman „Sendezeit“ spielt Anfang der 50er Jahre und stellt Hinrich Matuschek in den Mittelpunkt.
Der Lehrer an einer Blindenschule glaubt, dass mit der DDR ein antifaschistischer Staat im Entstehen ist, mit dem Ziel einer neuen friedlichen Gesellschaft, dazu will er seinen Beitrag leisten. Seine Abiturklasse kommt nach einem Besuch im Rundfunksender auf die Idee, selbst Hörfunksendungen zu machen. Naiv und begeistert gehen die Schülerinnen und Schüler an die Arbeit, mit dem Ergebnis, dass die staatlichen Organe auf sie aufmerksam werden. Manche der Schülerinnen und Schüler werden ängstlicher, andere mutiger und kämpferischer. So sagt einer auf Sendung: „Manchmal hören wir etwas, was Sie nicht sehen können.“ So nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
Richter, Jahrgang 1973, ist die Tochter eines Mathematikers und einer Lehrerin und wuchs in Jena auf. Nach dem Abitur und einem Auslandsjahr in Marseille studierte sie Romanistik und Anglistik in Jena, Oxford und Bologna und schloss ihr Studium mit der Magisterprüfung ab. Sie veröffentlichte Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays, hat einige Stipendien erhalten und war 2011 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. In ihren Werken setzt sie sich immer wieder mit dem Leben in der ehemaligen DDR auseinander, vor und nach dem Volksaufstand 1953, vor und nach der Wiedervereinigung 1990. Bei ihr findet man die großen Themen wie Flucht, Meinungsfreiheit, Stasi-Bespitzelung und politische Unterdrückung auf das Leben von Menschen wie „Du und Ich“ projiziert. Wie haben sie ihren Alltag bewältigt? Was wurde aus ihren Idealen? Wie konnten sie sich dem Druck von Vorgesetzten und Stasi entziehen? Feinfühlig schildert sie die Probleme zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, zwischen Opportunisten und Kämpfern, und dass es durchaus im privaten Leben Parallelen zu dem im Westen gab, vor allem, wenn es um die Liebe zwischen zwei Menschen geht. Die Idee für „Sendezeit“ kam der Autorin im Urlaub in Brandenburg. Dort entdeckte sie eine alte Rundfunkanstalt und ganz in der Nähe auch eine Blindenschule, was ihr die Bedeutung des Mediums Radio für Sehbehinderte ins Bewusstsein rückte.
Mit gut ausgewählten Texten, ohne Pathos sehr authentisch vorgetragen, gelang es Richter, den Roman in seiner Vielschichtigkeit und Differenziertheit vorzustellen. Die Zuhörer nahmen die Gelegenheit wahr, nach der Lesung mit ihr die gegenwärtigen Probleme zwischen der alten und der neuen Bundesrepublik zu diskutieren. Warum sind die ehemaligen DDRler so unzufrieden, obwohl wir ihnen mit unserem Geld zu „blühenden Landschaften“ verholfen haben? Und warum wählen die „da drüben“ AfD? Von ihr wie auch aus dem Publikum kamen sehr unterschiedliche Antworten. So wurde auf die anderen Werte und Sichtweisen in der BRD hingewiesen, das fehlende Mitspracherecht der DDR-Bevölkerung und die Enttäuschung über das Scheitern ihrer Erwartungen, auch, dass als Almosen empfundene Zuwendungen zu Demütigungen führen. Am Ende blieb der Leiterin Ursula Ottmann nur, sich bei der Autorin herzlich zu bedanken und auf das nächste Literaturcafé hinzuweisen: Donnerstag, 25. September, um 9 Uhr, mit dem Liedermacher und Kabarettisten Dieter Huthmacher aus Pforzheim: „Hätt i bloß mei Gosch ghalte“ (aot)
Info: Anne Richter, Sendezeit, Osburg Verlag Hamburg 2024, ISBN 078-3-95510-344-6