Der „Europäische Tag der Jüdischen Kultur“, der an die Beiträge des Judentums zur Kultur unseres Kontinents in Vergangenheit und Gegenwart erinnert, findet zwar regelmäßig an einem ersten Sonntag im Spätjahr statt, doch zu besonderen Anlässen kann der Friedhof in Oberöwisheim – ältester, jüdischer Friedhof der Region – auch an anderen Tagen für Besuchergruppen geöffnet werden. So bot Karl-Heinz Glaser, Vorsitzender des Heimat- und Museumsvereins Kraichtal, am vergangenen Sonntag eine Führung durch die Geschichte jüdischen Lebens in Kraichtal für alle am Thema interessierten Bürger an. Der Rundgang solle dazu beitragen, das europäische Judentum, seine Geschichte, seine Traditionen und Bräuche besser bekannt zu machen. Mit fast 50 Interessierten war der Andrang auf die von „Gemeinsam für Kraichtal“ organisierte Führung auf dem Jüdischen Friedhof in Oberöwisheim sehr groß. „Wir freuen uns, dass so viele Menschen aus Kraichtal, aber auch von den umliegenden Gemeinden, der Einladung nachgekommen sind“, hatte Michaela Ihle, Vorsitzende des Vereins in Gründung „Gemeinsam für Kraichtal“, zusammen mit Nadine Mannuß alle Anwesenden an der neu aufgestellten Gedankentafel direkt beim Jüdischen Friedhof begrüßt.
„Nach der Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus den mittelalterlichen Städten gab es keine größeren Gemeinden mehr“, informierte Glaser. Die meisten lebten zerstreut in Dörfern, so auch in Gochsheim, Menzingen und Münzesheim. Bis 1432 mussten verstorbene Jüdinnen und Juden auf den Verbandsfriedhof nach Speyer, später nach Worms, gebracht und dort beerdigt werden. Da nach jüdischem Ritus die Verstorbenen innerhalb von 24 Stunden bestattet sein mussten, war es den Juden aus dem Kraichgau damals kam möglich, diese rituelle Frist einzuhalten, zumal die Entfernungen zu dieser Zeit enorm weit waren und es keine Brücken über den Rhein gab. Nach langer Suche fand der Verband der Juden im Kraichgau einen geeigneten Platz an einem steilen, steinigen Westhang auf Oberöwisheimer Gemarkung, der sich kaum zur wirtschaftlichen Nutzung eignete. Ab 1629 wurden die Verstorbenen des Vereins hier begraben. Dort, ganz abseits und versteckt, befindet sich bis heute der älteste jüdische Verbandsfriedhof im Kraichgau. Die letzte Bestattung fand 1938 statt. Der Friedhof besteht aus einem alten und einem neuen Teil, insgesamt sind 270 Grabstätten nachweisbar.
Glaser merkte an: „Interessant ist, dass es im Gegensatz zu den Gemeinden Münzesheim, Menzingen und Gochsheim, in Oberöwisheim selbst zu keiner Zeit eine jüdische Gemeinde gab“. Auch im Badischen waren die Beziehungen zwischen den jüdischen Gemeinden und die Verbindung mit der regionalen Kultur stets sehr eng, zumal bis zum 20. Jahrhundert in Baden-Württemberg und Hohenzollern das Landjudentum vorherrschte. Die religiösen jüdischen Bräuche wurden allseits geachtet. Bei aller Unterschiedlichkeit gab es jedoch über die Jahrhunderte hinweg eine wechselseitige Bereicherung in vielen Lebensbereichen. Das Areal dieses Verbandsfriedhofes in Oberöwisheim hat eine Größe von 92 Hektar. Erst nach der napoleonischen „Flurbereinigung“ im Zuge der Säkularisierung des alten Reiches sei es den jüdischen Gemeinden im Kraichgau ermöglicht worden, weitere Friedhöfe in Wohnortnähe zu errichten. Frühere Gedenken am „Tag der jüdischen Kultur“ hatten sich unter anderem auf das Leitthema „Sprachen“ bezogen. Unter diesem Motto wurde die kulturelle Vielfalt der Ausdrucksformen und die unterschiedlichen Sprachen wie etwa Jiddisch, Ladino oder Hebräisch thematisiert. Auch auf dem Kraichtaler Friedhof befinden sich Grabsteine mit vielen Symbolen und Verse in deutscher sowie hebräischer Schrift. Ob in der heutigen Zeit Interesse an solchen geschichtlichen Wegmarken besteht? „Das Interesse in der Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahren wieder deutlich angestiegen, zumal die Medien in großer Aufmachung stets an die Jahrestage der leidigen Weltkriege erinnern“, hatte Historiker Alfons Oßfeld aus Oberöwisheim vor einiger Zeit betont. Ein Mann aus Amerika habe sich vor Jahren auf die Suche nach seinen jüdischen Vorfahren begeben – und in Kraichtal die Grabstätte gefunden.
Der Jüdische Friedhof in Kraichtal-Oberöwisheim ist lediglich am „Tag der jüdischen Kultur“ für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Männer müssen auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung tragen. Feste Schuhe sind empfehlenswert. Die Gedenkstätte befindet sich am Ortsausgang Richtung Neuenbürg an der Kreisstraße K 3517, gegenüber einem Wegekreuz an einer Gedenktafel. Die Zufahrt ist ausgeschildert. (of)