Wer bei Inka Meyer im Publikum landet, der bekommt eine kurze Einweisung in die friesische Teestunde und erfährt: Das Nachgießen endet erst, wenn der Löffel in den Becher gestellt wird. „Man könnte auch einfach ‚nein danke‘ sagen, aber man will ja den Nachmittag nicht mit sinnlosem Gequatsche verbringen“, erklärt die mit friesischem Migrationshintergrund ausgestattete Kabarettistin. So viel zum Mitteilungsdrang der Friesen. Der ist bei Meyer gänzlich anders gelagert. Sie erzählt viel. Und gerne.
Inka Meyer zieht sich wenig aus den Fingern. Lieber unterfüttert sie ihre Ausführungen mit recherchierten Zahlen und Fakten – und die gleich gerne zu Beginn. Entsprechende Aufmerksamkeit ist also gefordert von dem an diesem Abend nicht ganz so zahlreichen Publikum in der Kulturbühne MAX. Das erfährt, dass die Geburtenrate in Deutschland bei mittlerweile nur noch 1,36 Kindern pro Frau liegt. Dass man weltweit einen Babyschwund erwartet, kommt für Meyer nicht von ungefähr. „Die USA werden seit einigen Wochen von einem Verhütungsmittel regiert“, kommentiert sie die Trumpschen Auswüchse im Weißen Haus. Meyer selbst trägt zu der niedrigen Zahl bei. „Ich habe keine Kinder, weil ich keine wollte“, macht sie gleich eingangs keinen Hehl aus ihrer Haltung. Die Zuhörer erfahren von ihr auch, dass Kinder enorm viel CO₂-Belastung mit sich bringen. Für diesen Ausstoß kann sich der deutsche Karnivor massig Steaks brutzeln, schlägt sie den Bogen zur Klimakrise. Wegen der gibt es laut Meyer jetzt bereits Gebährstreikende. „Keine Zukunft, keine Kinder“, skandiert die Kabarettistin deren Motto. „Dabei ist es ja: keine Kinder, keine Zukunft“, und somit ein Verschwinden der Menschheit, folgert sie. Bis hierhin folgt ihr das Publikum gerne. Dass weniger Menschen gut für die Welt sind, ist den Reaktionen des Publikums folgend auch unbestritten. „Selbstmordterroristen sind damit Klimaaktivisten“ – bei diesem Schluss Meyers wird es gefühlt dann etwas eisiger im MAX. Es ist nicht die einzige steile Klippe, über die es an diesem Abend geht. Auch beim Vergleich von Vegetariern, die zu nach Fleisch schmeckenden Ersatzprodukten greifen, hört man scharfes Einatmen, als Meyer sagt: „Man konvertiert nicht zum Judentum und nennt sein Kind Adolf.“ Wenn Inka Meyer später zur Femen-Bewegung übergeht, damit zu den Waffen einer Frau und Blankziehen kommt und zu Brüsten als politischer Waffe, bleiben – auch wenn alles oberhalb der Gürtellinie bleibt – einige Gesichter eher steif. Vielleicht, weil nicht jeder mit der begrifflich etwas anzufangen weiß.
Dabei sind ihre Beobachtungen nicht falsch, ihre Gedankengänge schlüssig. Nur eben nicht Schenkelklopfer-tauglich. Denn Inka Meyer beleuchtet Menschen, Alltag und hirnrissige Trends wie geschlechtergerechte Mineralstoffe mit scharfem Verstand und ist zumeist nicht auf den nächstliegenden Kalauer aus. Die gibt es. Aber eben nicht in Massen. Lieber führt sie ihrem Publikum die Manipulation vor Augen, der es unterliegt. Etwa bei der Einführung eines pinken Schreibwerkzeugs „for her“. Immerhin: Dass sich Frauen nicht gänzlich für blöd verkaufen lassen, zeigen die ironischen Rezensionen auf der Homepage eines Onlineriesens.
Meyer nimmt sich bei ihrem Gastspiel in Hemsbach auch vor, was fast schon zu einem Wahn geworden ist: das Thema Achtsamkeit. Waldbaden, Nordic Walking (im Wald), mit Alpakas spazieren gehen und Coachingratgeber, die simple Weisheitsphrasen zu Philosophie erheben, macht sie zu einem Kosmos, in dem sich jeder selbst spiegeln darf. Das alles, so Meyers Meinung, braucht es ja nur wegen des Stresses. „Wir alle sind dauergestresst“, sagt sie. Alpakaspaziergänge sind dennoch nicht ihr Ding. Sie schaut lieber nach Island: Vier-Tage-Woche, weniger Burnout, weniger Kosten für das Gesundheitssystem, gleichbleibende Produktivität. Was übrigens bei ihr für Stress sorgt, ist nicht die Bühne, sondern die Bahn. „Da kriegst du immer Zeit geschenkt“, ätzt sie gegen die Anzeigen der Ankunft in ‚+ 20 Minuten‘. „Wenn Sie Ihre Kindergartentochter in Hemsbach in den Zug setzen, steigt die in Hamburg aus und hat Abitur“, schießt sie scharf gegen die Schiene.
Bei ihrem Rundumblick nimmt Inka Meyer so ziemlich alles mit, was die Menschen beschäftigt. Politik serviert sie in Zeiten der Bundestagswahl nur wohldosiert. Und sie unterlässt auch jedwede Belehrung. Nur eins gibt sie den Menschen als Impuls gerne mit auf den Weg: Bei jeder Flucht – ob Waldbaden, Alpakaspaziergang oder Ratgeberbuch – „egal wie weit und wohin, eins nimmt man immer mit: sich selbst“. (cs)