In dieser Woche jähren sich die dramatischen Ereignisse der letzten Kriegstage nun zum achtzigsten Mal. Nur noch ganz wenige Zeitzeugen dieser Zeit sind am Leben und haben aktive Erinnerung daran. Vielleicht wurden in der Familie von beteiligten die Erinnerung jener Zeit weitergegeben. Wir möchten mit diesem kurzen Beitrag an die Ereignisse erinnern, die sich in Heiningen im April 1945 zugetragen haben.
In den ersten Tagen des April 1945 lag das Dritte Reich in den Endzügen. Die Alliierten rückten auf breiter Front vor und treiben die geschlagene Wehrmacht vor sich her. Überall wurden Einheiten des Volkssturms aus alten Männern und Jugendlichen gebildet und mit sinnlos erscheinenden Befehlen wurde allenorts zum Durchhalten und zur Verteidigung von Dörfern und Städten aufgerufen.
So sollten Panzersperren angelegt werden, um Straßen zu blockieren und sogar kleine Orte zu verteidigen. Im Südwesten rückten die Amerikaner auf breiter Front vom nördlichen Württemberg in den Süden vor, französische Truppen aus dem Westen.
Auch in Heiningen wurden in jenen Tagen Panzersperren erreichtet, insgesamt drei Stück. Diese befanden sich am „Oberen Tor“ zwischen dem Gebäude Hauptstraße 70 (Lamm) und dem bereits abgerissenen Gebäude Hauptstraße 59. Die zweite befand sich in der Engstelle zwischen Hauptstraße 1 und 4 (Gebäude Rollmann im Bereich der heutigen Fußgänger-Ampel) und die Dritte an der Straße nach Eschenbach bei der Gärtnerei Mohring. Für den Bau der Sperren wurden Stämme aus dem Wald geholt. Die Sperren bestanden aus einem festen und einem mobilen Teil. Zwischen den fest eingegrabenen Seiten, die mit schweren Kalksteinen gefüllt waren, konnten Querbalken eingelegt werden und diese wurden dann ebenfalls mit Steinen gefüllt. Die Sperre war dann geschlossen.
In Heiningen herrschte allgemeines Unbehagen über das Anlegen der Sperren, mussten doch Orte mit geschlossenen Sperren mit Beschuss durch die anrückenden Panzer oder schlimmer durch Jagdbomber rechnen. So kam es, dass in Heiningen die Besorgnis wuchs und einige mutige Bürger um den damaligen Oberlehrer Kauderer sich dazu entschließen, die Sperren zu beseitigen. Sie gehen immer wieder auf den damaligen Bürgermeister Karl Kümmel zu, der zunächst abwinkt. Auf so eine Tat drohen drastische Strafen. In Heiningen waren zudem Wehrmachtseinheiten der Flak einquartiert.
Am 12. April 1945 gibt Bürgermeister Kümmel schließlich sein Einverständnis und organisiert gemeinsam mit Oberlehrer Kauderer und Heininger Bürgern das gleichzeitige Ausräumen der drei Sperren. In der Nacht vom 12. auf den 13. April 1945 kommt es dann so weit. Einzelne Anwohner helfen und schreiten mit zur Tat. An der Sperre in Richtung Eschenbach arbeitet Gärtnermeister Mohring alleine. Es kommt, wie es kommen muss. Ein im Oberdorf einquartierter Offizier der Wehrmacht ist gegen halb zehn Uhr abends auf dem Weg in sein Quartier, als er bemerkt, dass an der Sperre im Oberdorf gearbeitet wird. Er lässt die dort angetroffenen Personen verhaften und als er erfährt, dass auch an den anderen Sperren gearbeitet wird, werden die dort tätigen Heininger von Soldaten gestellt und verhaftet, insgesamt 7 Personen.
Sie werden zunächst in die Diensträume der Wehrmachtseinheit in der Hauptstraße 43 verbracht. Später wird auch Bürgermeister Kümmel, der dienstlich in Eschenbach tätig und nicht zu Hause war, verhaftet. Alle acht Personen werden in den ersten Stock des alten Rathauses verbracht, wo sie die Nacht verbringen müssen. Am 13. April werden die Verhafteten zur Kreisleitung nach Göppingen verbracht und dann zur Dienststelle der Kriminalpolizei in Göppingen. Dort wird schnell festgestellt, „Dass die Beschuldigten Kauderer und Stohrer die treibende Kraft waren, die Panzersperren aus dem Ort zu entfernen. Der beschuldigte Kümmel sei in seiner Eigenschaft als Bürgermeister wohl nicht energisch genug hiergegen vorgegangen“. Es folgen weitere Vernehmungen der Verhafteten, sie werden in das Gefängnis nach Göppingen verbracht. Die Nachricht von der Verhaftung erreicht Heiningen und die Verhafteten werden in den nächsten Tagen von den Angehörigen besucht.
Inzwischen werden die Ereignisse aus Heiningen auch nach Stuttgart gemeldet. Gauleiter Wilhelm Murr telefoniert mit der Kreisleitung in Göppingen und gibt die deutliche Anweisung, ein Exempel zu statuieren und dass ein Standgericht aus Richtern, Parteiangehörigen und Wehmacht zu bilden sei.
Am 17. April 1945 gegen sechs Uhr morgens findet die Verhandlung gegen drei der Beteiligen (Oberlehrer Hermann Kauderer, Monteur Wilhelm Moll und Landwirt Hans Stohrer) vor dem Standgericht in den Räumen des Amtsgerichts Göppingen statt. Mit nur einem einzigen geladenen Zeugen endet der Prozess als Schnellverfahren und im Ergebnis werden die Angeklagten Kauderer und Stohrer wegen „Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und die Strafsache des Angeklagten Moll an die ordentliche Gerichtsbarkeit übergeben. Über das Urteil wurde unmittelbar Gauleiter Murr in Stuttgart informiert. Dieser muss das Urteil zur Vollstreckung nochmals bestätigen und erwartet die Übersendung.
Hierzu sollte es glücklicherweise nicht mehr kommen. Die Amerikaner erreichen Stuttgart und Gauleiter Murr flieht. Am 19. April 1945 erreichen die amerikanischen Truppen den Kreis Göppingen, die Kreisleitung ist dabei sich abzusetzen, das System bricht zusammen und der Anruf mit der Bestätigung erreicht Göppingen nicht mehr. Die Gefangenen im Göppinger Gefängnis werden in der Nacht des 19. April freigelassen zunächst sechs der Verhafteten, dann etwas später auf Anweisung eines amerikanischen Majors auch die beiden anderen, Stohrer und Kauderer.
Am 20. April gegen 8:30 Uhr morgens erreichen amerikanische Truppen mit Panzern Heiningen, die Panzersperren waren in der Nacht vom 19. auf den 20. April erneut geschlossen worden. Der Kommandant des ersten Panzers stieg aus und befahl, dass die Sperre sofort geöffnet wird. Umliegende Einwohner, sofern nicht geflohen und französische Kriegsgefangene machten sich daran und bald konnten die Amerikaner in Heiningen einrücken. Der Krieg war für Heiningen vorüber. Die letzten Tage waren dramatisch aber glimpflich abgelaufen.
In diesen Tagen auf den Tag genau jähren sich diese Ereignisse nun zum achtzigsten Mal. Es ist daher angemessen und richtig, der mutigen Männer und Frauen aus Heiningen zu gedenken, welche den Wahnsinn der sinnlosen Befehle erkannt und mutig gehandelt haben. Zum Schutz ihres Heimatortes, der Familie und die sich einem verachtenden System im Kleinen entgegengestellt haben, unter Inkaufnahme der drastischen Konsequenzen.
Die acht Verhafteten waren: Oberlehrer Hermann Kauderer, dessen Frau Marie Kauderer, Landwirt Johannes Stohrer, Schlosser Wilhelm Moll, die Witwen Ursula Bühler und Dorothea Rollmann sowie Marie Frei Schneiders Ehefrau. Geholfen hatte, aber nicht verhaftet wurde Gärtnermeister Johannes Mohring.
Nachzulesen sind die Ereignisse im „Heininger Buch Heiningen „Geschichte und Gegenwart“, S. 137 ff. sowie im Buch von Rolf Kümmel „Heiningen im April 1945“.
Wer aus eigener Erinnerung oder aus Erzählungen in der Familie noch etwas über diese Ereignisse weiß, den bitten wir herzlich Kontakt mit der Gemeinde aufzunehmen. Insbesondere wäre Interessant zu wissen, ob und wer neben den neun genannten Personen noch in der Nacht vom 12. auf den 13. April 1945 geholfen hatte, die Panzersperren zu beseitigen und welche Ereignisse in diesem Zusammenhang noch erwähnenswert sind. Herzlichen Dank hierfür!
Kontakt zur Archivarin Frau Eberhard oder zu Frau Weisbarth die den AK „Historischer Ortsrundgang leitet“ oder direkt zu Bürgermeister Kreuzinger
(eberhard@heiningen-online.de, weisbarth@heiningen-online.de, kreuzinger@heiningen-online.de oder Tel.: 4034-0).