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Ein umfassender Einblick

Hinter den Kulissen des Amtsgerichts Wiesloch

Was passiert eigentlich hinter den Türen des Amtsgerichts Wiesloch? Wer arbeitet dort – und womit?
Alte Dokumente, eine Schreibmaschine und Rechtsprechungsbücher hinter einem Glasschrank.
Das Team des Amtsgerichts Wiesloch arbeitet zwischen Akten, Rechtsprechung und Digitalisierung.Foto: LIP

Die Direktorin des Amtsgerichts, Dr. Regine Heneka, und Verwaltungsleiter Andreas Mildenberger gewähren einen umfassenden Einblick in die vielseitige Arbeit dieser wichtigen Institution. Sie berichten über den Alltag im Haus, besondere Herausforderungen, den Stand der Digitalisierung und über das gute Miteinander im Kollegium.

Wer das Amtsgericht leitet

Die Leitung des Amtsgerichts Wiesloch liegt in den Händen von Dr. Regine Heneka, die die allgemeine Dienstaufsicht über rund 52 Beschäftigte in Voll- und Teilzeit, davon 8 Richterstellen, innehat. Unterstützt wird sie von Andreas Mildenberger, dem Verwaltungsleiter, der für Personal, Organisation und Verwaltung zuständig ist. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass der Betrieb des Gerichts zuverlässig funktioniert.

Vom Mietstreit bis zur Räumung

In den Zivilabteilungen des Amtsgerichts werden Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen oder Unternehmen verhandelt. Häufig geht es dabei um Mietfragen, insbesondere um die Höhe der Miete, Nebenkostenabrechnungen oder Räumungsklagen. Gerade in Zeiten von Wohnungsknappheit sind Räumungsklagen besonders sensibel. Die Verfahren unterliegen klaren rechtlichen Regeln, sind aber oft emotional aufgeladen, weil es dabei um das Zuhause von Menschen geht.

Wenn ein Leben zu Ende geht

Die Nachlassabteilungen befassen sich mit allen Angelegenheiten rund um Erbschaften. Wenn ein Mensch stirbt, müssen das Vermögen und etwaige Schulden rechtlich korrekt auf die Erben übergehen. Ist ein Testament vorhanden und wird nicht angefochten, bearbeiten die Rechtspfleger den Vorgang eigenständig, ohne Beteiligung eines Richters. Kommt es jedoch zu Streit unter Erben oder wird das Testament angefochten, entscheidet das Gericht. „Gerade Patchworkfamilien oder unklare Erbverhältnisse können zu komplexen Verfahren führen“, erklärt Heneka.

Vom Diebstahl bis zur schweren Körperverletzung

Bei den Strafsachen gibt es das Schöffengericht, das Jugendgericht und allgemeine Strafsachen. Im Schöffengericht urteilen neben Berufsrichtern auch Laienrichter (Schöffen) mit, etwa bei Delikten wie Betrug, schwerer Diebstahl oder Körperverletzung. Das Jugendgericht befasst sich mit Straftaten junger Menschen und legt dabei besonderen Wert auf erzieherische Maßnahmen. Daneben gibt es die Abteilung für Bußgeldverfahren, die vor allem Verkehrsdelikte, Ordnungswidrigkeiten und kleinere Verstöße behandelt – etwa wegen überhöhter Geschwindigkeit oder Parkverstöße.

In der Coronazeit nahm die Zahl der Ordnungswidrigkeiten stark zu, etwa wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht, Aufenthaltsverbote oder Kontaktbeschränkungen. Damals legten sogar sogenannte „Querdenker“ weiße Rosen und Kerzen vor dem Amtsgericht nieder, um gegen die Maskenpflicht an Schulen zu protestieren, obwohl solche Fragen eigentlich Verwaltungsgerichte betreffen.

Aufsehenerregender Fall

Zu den aufsehenerregendsten Fällen in Wiesloch zählten bislang unter anderem der Strafprozess gegen einen ehemaligen Geschäftsführer des Palatins wegen Untreue und die Angriffe Rechtsradikaler in der Hauptstraße. Die Angriffe auf Gäste eines Eiscafés unter „Heilhitlerrufen“ hatten damals deutschlandweite Aufmerksamkeit erzeugt.

Zwischen Scheidung, Sorgerecht und Adoption

Das Familiengericht behandelt hochemotionale Themen wie Scheidungen, Sorgerechtsstreitigkeiten, Unterhaltspflichten oder Adoptionen.

Dabei wird auf ein möglichst schonendes Verfahren geachtet: „Wenn es in der Vergangenheit zwischen den Ehepartnern zu Gewalt kam, versuchen wir getrennte Termine mit zeitlichem Abstand zu vereinbaren, um ein Zusammentreffen vor oder im Gericht zu vermeiden“, betont Heneka. Das Gericht trägt so auch aktiv zur Deeskalation bei.

Freiwillige Gerichtsbarkeit

Ein Bereich, der für Außenstehende oft kaum sichtbar ist, nimmt in Wiesloch einen enormen Raum ein: Die freiwillige Gerichtsbarkeit, insbesondere die Betreuungssachen. Hier geht es um rechtliche Betreuungen für Menschen, die ihre Angelegenheiten aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht mehr selbst regeln können. Diese Fälle machen in Wiesloch rund die Hälfte aller Verfahren aus – eine Besonderheit, die sich durch die Nähe zum Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) erklärt.

In anderen Gerichtsbezirken ist der Anteil solcher Verfahren deutlich geringer. „Der Verwaltungs- und Betreuungsaufwand ist entsprechend hoch“, so Heneka. Was die Betreuung im Familienkreis angeht, so sagt Mildenberger „Vorsorgevollmacht, Vorsorgevollmacht, Vorsorgevollmacht!“. Kann sich ein Angehöriger zum Beispiel durch einen Unfall oder Demenz nicht mehr selbst vertreten, ist das für die Angehörigen belastend genug.

Wenn auch noch rechtliche Probleme durch fehlende Vollmachten zum Beispiel zwischen Ehepartnern hinzukommen, sind die Angehörigen oft komplett überfordert.

Versuch der gütlichen Einigung

Neben den klassischen Gerichtsverfahren besteht auch die Möglichkeit eines Güterichterverfahrens, bei dem statt eines Urteils ein Vergleich angestrebt wird. Dafür kann ein speziell ausgebildeter Güterichter eingesetzt werden, der gemeinsam mit den Parteien eine einvernehmliche Lösung sucht. In Wiesloch wird dieses Gremium zwar angeboten, meist machen jedoch die Richter selbst Vergleichsvorschläge – pragmatisch und effizient direkt während des Verfahrens.

Öffentlichkeitsarbeit und Zugang zur Justiz

Die Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit informiert über Verfahren von allgemeinem Interesse – sofern keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Bei Strafverhandlungen sind in der Regel Zuschauer zugelassen, was für Transparenz sorgt. Zudem werden regelmäßig Besuchergruppen und Schulklassen durch das Gericht geführt, die so einen Einblick in die Funktionsweise der Justiz erhalten.

Sicherheit: Ein zunehmend wichtiges Thema

Seit dem tödlichen Angriff durch einen flüchtigen PZN-Patienten in einem Einzelhandelsgeschäft in der Innenstadt ist das Sicherheitsgefühl im Amtsgericht spürbar beeinträchtigt. Tatsächlich zeigt sich bei mittlerweile bei jeder Einlasskontrolle: Messer, Teppichmesser oder Pfefferspray werden regelmäßig aus Taschen gefischt.

Diese gefährlichen Gegenstände dürfen natürlich nicht mit ins Gebäude gebracht werden. Besonders bei Strafverfahren mit inhaftierten Angeklagten sind zwei Wachleute vorgeschrieben. Hier ist das Amtsgericht auf die Unterstützung eines speziellen Dienstes angewiesen, manchmal leistet auch die Wieslocher Polizei, die schräg gegenüber stationiert ist, unbürokratische Amtshilfe.

Schutz für Beschäftigte und Besucher

Zum Schutz der Beschäftigten kann nur noch der Eingangsbereich direkt betreten werden. Wer einen Termin hat, wird von Mitarbeitenden im Foyer abgeholt – bei Bedarf ist auch der Wachdienst schnell zur Stelle. „Diese Maßnahmen sind gesetzlich vorgeschrieben – und angesichts der Funde bei den Kontrollen absolut gerechtfertigt“, sagt Dr. Heneka.

Digitalisierung verändert Arbeit

Einer der größten Umbrüche der letzten Jahre ist die Digitalisierung des Justizwesens. Im Amtsgericht Wiesloch steht sie kurz vor dem Abschluss: Bis November sollen alle Akten vollständig digitalisiert und online verfügbar sein. Früher mussten Mitarbeiter kiloweise Papierakten durch das Gebäude tragen. Homeoffice war kaum möglich. Die E-Akte hat das komplett verändert. Doch abgesehen von Mahnverfahren sind alle bestehenden Dokumente bereits digitalisiert. „Die Akte funktioniert nach Anfangsschwierigkeiten mittlerweile sehr zuverlässig“, freut sich Heneka.

Allerdings ist die Digitalisierung eine Daueraufgabe. Aus rechtlichen Gründen müssen Ein- und Ausgangspost immer noch in Papierform erfolgen und die Originale quasi unbeschränkt aufbewahrt werden. Die elektronische Zugriffsmöglichkeit und die Möglichkeiten, nach Stichworten in Dokumenten zu suchen, erleichtert vieles.

Einblicke in die persönlichen Laufbahnen

Dr. Regine Heneka war zuvor unter anderem Direktorin des Amtsgerichts Mosbach, Vorsitzende Richterin in Heidelberg und Dozentin an der Hochschule für Rechtspflege Schwetzingen. Heute genießt sie die kurzen Wege, denn sie lebt und arbeitet in Wiesloch. Verwaltungsleiter Andreas Mildenberger stieß 2022 vom Amtsgericht Bretten nach Wiesloch. Der gelernte Rechtspfleger kam über Umwege zu seinem Traumberuf: Schon als Kind wohnte er mit seiner Familie in der Dienstwohnung des Amtsgerichts Pirmasens, wo sein Vater im Hausmeister- und Wachdienst tätig war.

Die Rechtspfleger beeindruckten ihn – und nach einer technischen Ausbildung entschied er sich für die Rechtspflegerlaufbahn. In der Ausbildung traf erstmals auf Heneka, die damals als Lehrbeauftragte unterrichtete. Heute arbeiten sie als gemeinsam in Wiesloch. Beide schätzen am Gericht das Gestaltungspotenzial im rechtlichen Rahmen und die Unabhängigkeit eines mittelgroßen Hauses, in dem man Dinge wirklich bewegen kann. Viele der Mitarbeitenden leben im Umkreis und schätzen die guten Arbeitsbedingungen und das harmonische Betriebsklima. „Eine schöne Behörde“, fasst Heneka zufrieden zusammen. (ch)

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Ausgabe 33/2025
von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
13.08.2025
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