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Historische Arbeitersiedlung in Kuchen

Am diesjährigen Tag des Wanderns (jedes Jahr am 14. Mai) fuhr eine kleine Gruppe Wanderer mit Bus und Bahn nach Kuchen. Von der dortigen Haltestelle ging...
Wandergruppe vor dem Transmissionsturm der ehemaligen Baumwollspinnerei und -weberei esbi
Wandergruppe vor dem Transmissionsturm der ehemaligen Baumwollspinnerei und -weberei esbiFoto: Manfred Haarer

Am diesjährigen Tag des Wanderns (jedes Jahr am 14. Mai) fuhr eine kleine Gruppe Wanderer mit Bus und Bahn nach Kuchen. Von der dortigen Haltestelle ging es eine Viertelstunde zu Fuß zur Arbeitersiedlung. Dort wartete bereits inmitten der historischen Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Dorfplatz unser Führer Herr Manfred Haarer. Er hatte umfangreiches Infomaterial dabei und legte gleich los mit der Geschichte der ehemaligen Baumwollspinnerei und -weberei und der zugehörigen Arbeitersiedlung.

Baumwolle war bis ins 19. Jahrhundert hinein immer ein teures Gewebe gewesen. Erst mit der Beschäftigung von Millionen Sklaven auf den amerikanischen Baumwollfeldern und letztlich der Erfindung von Maschinen in Großbritannien und Frankreich wurde es erschwinglich für breite Massen. Das bedeutete aber auch Gefahr für die württembergische Leinenwebereien. Also wurden zum Schutz Zölle auf Baumwollwaren eingeführt (wie hochaktuell!). Der Schweizer Unternehmer Arnold Staub hatte darauf die Idee, nicht Baumwollfertigwaren einzuführen, sondern Rohbaumwolle, und diese in Württemberg dann spinnen und weben zu lassen. In Zusammenarbeit mit dem Geislinger Unternehmer Straub (MAG, WMF) ging er ans Werk. Er nutzte die Wasserkräfte der Fils (zunächst an einem Kanal, dann direkt von der Fils mittels Transmission) und ließ 1857 in Kuchen eine Textilfabrik errichten mit einer Kapazität von 25.340 Spindeln und 460 Webstühlen. Sein calvinistisch geprägtes Denken führte ihn auch zum Beschluss, daneben eine höchst fortschrittliche Arbeitersiedlung bauen zu lassen. Gutes Wohnen, Gemeinschaft, Hygiene und „sittliche Erhebung“ sollten auch zur hohen Produktivität der Arbeiter beitragen. Kein Wohnhaus ist wie das andere, im Schweizer Landhausstil, in englischer Laubenhauskonstruktion, mit Holzverkleidung oder Fachwerk. Der soziale Status spiegelt sich in der Ausstattung wider. Eine totale Neuerung stellte das Bad- und Waschhaus dar. Ein Bad mit integriertem Schwimmbecken, Dampfbad, Waschanstalt mit Bügelzimmer etc. übertrafen alles Vergleichbare zu dieser Zeit im deutschen Raum. Im Stiegenhaus gab es einen Speisesaal, wo die Arbeiter mitgebrachtes Essen in wasserdampfbetriebenen Aufwärmapparaten erwärmen konnten. Auf der Weltausstellung in Paris 1867 erhielt Staub für seine Siedlung einen Großen Preis mit Goldmedaille, von Kaiser Napoleon III. wurde er zudem zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Überreicht bekam er die Prämierung in Geislingen bei einem kurzen Zwischenstopp des Kaisers auf dem Weg zur Sommerfrische nach Österreich. Alles in allem bahnbrechende Ideen und sozial ausgerichtet; andererseits waren aber auch der Zeit entsprechend beispielsweise über hundert Kinder in der Fabrik beschäftigt. Brände, Hochwasserschäden und wirtschaftliche Schwierigkeiten führten Ende der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts zum Niedergang und schließlich 1881 zum Zusammenschluss zur esbi Süddeutschen Baumwollindustrie AG. Diese bestand bis zum Konkurs 1983. Unser Besucherweg führte auch in den Park der ehemaligen Fabrikantenvilla, in der zahlreiche, auch exotische Bäume stehen. Diese hatte Staub vom Württembergischen König für seine Verdienste als Geschenk erhalten.

Ein höchst interessanter Besuch in diesem einzigartigen Industriedenkmal Mitteleuropas hat sich wirklich gelohnt. Voller neuer Erkenntnisse fuhren wir wieder mit Bahn und Bus nach Hause.

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Mitteilungsblatt der Gemeinde Wäschenbeuren
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Ausgabe 22/2025
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