Amateurtheater Scheinwerfer e. V. St. Leon-Rot
68789 St. Leon-Rot
Uraufführung in St. Leon-Rot

Im Gespräch: Oliver Bayer und Marc Edinger zu "Meine Väter"

In St. Leon-Rot steht am Wochenende eine Uraufführung auf dem Plan. Erstmals wird das Stück "Meine Väter" zu sehen sein. Die Macher im Gespräch.
St. Leon-Rot: Meine Väter
Den Feind im Visier: Oliver Bayer in einer Vaterrolle.Foto: jr

Mit einem in mehrfacher Hinsicht besonderen Stück starten die Scheinwerfer 87 St. Leon-Rot in die Herbst/Winter-Saison. Das Theaterzimmer in der Kastanienschule Rot wird am kommenden Wochenende, 26. und 27. Oktober, Ort einer Uraufführung. In Kooperation mit dem Physikertheater Karlsruhe kommt dort mit Wolfgang Sréters „Meine Väter“ ein spannendes Stück zur Erstaufführung.

Das Ein-Personen-Stück spielt in den frühen 60er-Jahren vor dem Hintergrund der ambivalenten Stimmung dieser Zeit, die von wirtschaftlichem Aufschwung und Lebensfreude, aber auch von gesellschaftlichen Spannungen, insbesondere zwischen den Generationen, gezeichnet ist. Im Zentrum der Handlung steht der Sohn, der sich mehr für Beat-, als für Marschmusik begeistert und stellvertretend für die Generation steht, deren Väter im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben und sich nun über die Ereignisse in Schweigen hüllen. Ihm gegenüber stehen drei Väter, die die historischen Gegebenheiten jeweils aus ihrer Perspektive wiedergeben.

Im Gespräch erklären Regisseur Marc Edinger und Schauspieler Oliver Bayer die Hintergründe der Stückauswahl und ihre Motivation, das Stück erstmals auf die Bühne zu bringen.

Was waren denn die Gründe, dass ihr euch ausgerechnet dieses Stück vorgeknöpft habt?

Marc Edinger: Anfangs eher Zufall. Ich war für ein anderes Projekt auf der Suche nach Monologen, und bin da auf „Meine Väter“ gestoßen. Als wir dann vor rund anderthalb Jahren beide beschlossen haben, wieder mehr zu machen – auch gemeinsam, suchten wir nach abendfüllenden Monologstücken, die für Oli fordernd, aber auch von der Menge her machbar sind. Da hat sich das Stück angeboten. Nachdem wir es gelesen hatten, war es aber auch das Thema, das uns gereizt hat, eine sehr interessante Auseinandersetzung mit der Hinterlassenschaft des Dritten Reichs.

Um was geht es denn genau?

Marc Edinger: Ein Sohn kommt in die Wohnung seiner verstorbenen Väter, alle der Generation zugehörig, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat ...

Väter? Normalerweise hat man nur einen ...

Oliver Bayer: Richtig, aber „die Väter“ repräsentieren verschiedene Aspekte der Kriegsgeneration, von verschiedenen Menschen, die den Krieg in verschiedenen Jahren unterschiedlich miterlebt haben. Und der Sohn arbeitet sich so durch diese Hinterlassenschaft, durch seine Jugend, durch das, was er von seinen Vätern mitgenommen hat, was seine Väter erzählt haben und was, ja, was das für ihn immer noch bedeutet.

Der Sohn ist in welchem Alter - ohne zu viel zu verraten …

Oliver Bayer: Es ist tatsächlich schwierig, das festzulegen. Er könnte in den Dreißigern, Vierzigern sein, könnte aber auch fünfzig, sechzig sein …

Also spielt es keine Rolle?

Oliver Bayer: Genau. Das ist auch nicht die Frage, die sich vordergründig stellt.

Marc Edinger: Das Stück spielt eigentlich in den späten Sechzigern. Aber wir wollten das nicht so klar dorthin versetzen, weil wir die Verherrlichung des Krieges, für die die Väter im Endeffekt stehen, auch heute noch so unglaublich relevant finden.

Das Stück setzt sich natürlich auch mit der spezifisch deutschen Perspektive mit dem Thema NS-Zeit und Krieg auseinander, aber wir leben ja auch heute in Zeiten, in denen Krieg leider eine Rolle spielt. Wolltet ihr diese Zeitlosigkeit auch darstellen?

Marc Edinger: Genau. Natürlich referenziert das Ganze sehr stark auf den 2. Weltkrieg, aber es ist uns sehr wichtig zu sagen, dass diese Verherrlichung von Krieg immer noch existiert und dass ein aktiver Kampf dagegen notwendig ist. Man muss etwas dagegen tun.

Oliver Bayer: In dem Text stehen Sätze, die genauso gut vor fünf Minuten auf einer Anti-Corona-Demo gefallen sein könnten.

Wie habt ihr euch mit dem Thema auseinandergesetzt?

Marc Edinger: Wir sind immer wieder über Dinge gestolpert, die in dem Stück angesprochen werden und haben uns da reingearbeitet. Zum Beispiel spielt das „Polenmädchenlied“ eine große Rolle. Wir mussten uns damit auseinandersetzen, was das eigentlich bedeutet. Und wann das eigentlich aus dem Liederbuch der deutschen Bundeswehr gestrichen worden ist. Das war in den Zweitausendern und nicht etwa 1945, wie man meinen könnte. Und dann stolpert man eben auch über Sachen wie, wie viele eigentlich kriegsverherrlichende und nicht mehr zeitgemäße Lieder werden bis heute im offiziellen Liederbuch der Bundeswehr veröffentlicht … Das hat mit dem Stück erstmal wenig zu tun, aber dieses Herausfinden, welche Relevanz, welchen Einfluss diese Väter der Kriegsgeneration noch auf die heutige Gesellschaft haben, war erschreckend.

Oliver Bayer: Für mich geht es in dem Stück auch um die Vater-Sohn-Beziehung. Was hat der Sohn von den Vätern übernommen – auch zwangsläufig, dadurch, dass er eben jahrelang mit ihnen in einem Haus gelebt hat? Und wo steht er dagegen? Was sieht er überhaupt nicht so? Was ist ihm noch gar nicht bewusst?

St. Leon-Rot: Meine Väter
Arbeiten im Duo an der Uraufführung: Schauspieler Oliver Bayer (l.) und Regisseur Marc Edinger.Foto: jr

Du spielst ja nicht nur dich als Sohn, sondern auch die Väter mit. Wie ist das so, in dem Zwiespalt zu stecken, den Widerspruch an sich zu verkörpern in einer Person?

Oliver Bayer: Der zeitliche Abstand, dass ich nichts mehr direkt mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hatte, sondern ihn nur aus geschichtlicher Distanz, aus dem Schulunterricht und aus dem, was ich mir selbst noch angelesen habe, hat mir hier geholfen. Aber was ich dennoch immer ganz bedrückend finde, sind die Geschichten, die im Text erwähnt werden, die referenziert werden von den Menschen, die dabei waren. Die Angehörige verloren haben, Geschwister oder Söhne.

Das Ganze ist ja auch eine Uraufführung. Ist das etwas Besonderes?

Marc Edinger: Ja, klar, das ist etwas Besonderes und es ist inszenatorisch auch interessant, denn irgendwie möchte man bei der Uraufführung doch auch sehr nah an dem Gedanken, der in dem Stück, im Text existiert, dranbleiben. Wie viel Freiheit nimmt man sich dann, Dinge spielerisch interessant umzusetzen zu können? Das war auf jeden Fall auch die gesamte Zeit über ein Zwiespalt … Können wir das machen? Sollten wir das machen?

Es ist ja ein Kooperationsstück mit dem Physikertheater in Karlsruhe. War das auch eine Herausforderung, das Stück für zwei verschiedene Bühnen konzipieren zu müssen?

Marc Edinger: Ja, auf jeden Fall. Nicht nur für zwei verschiedene Bühnen, sondern auch den Transport des Bühnenbilds. Und das Physikertheater führt standardmäßig in einem Hörsaal auf. Wir haben lange überlegt und diskutiert, ob sich das Stück überhaupt dort trägt. Das ist ein Kammertheaterstück. Und wir haben uns dann dagegen entschieden und an der Uni wird jetzt sozusagen eine Extrabühne für uns aufgebaut.

Oliver Bayer: Um es eben in dem kleineren Rahmen zu halten, den das Stück unserer Meinung nach braucht, um die Nähe zu haben, zu dem, was da eigentlich passiert. Ich kann das nur aus meiner Laienschauspielperspektive sagen, aber ich könnte mir das Stück nur schwer auf einer großen Bühne vorstellen.

Marc Edinger: Ja, also der knapp 300 Personen fassende Hörsaal, in dem das angedacht war, ist einfach riesig. Und da das Stück auch viel aus der Zeit erzählt, ist es eigentlich auch schön, in einem alten Klassenzimmer zu spielen.

Was würdet ihr denn sagen, ist die zentrale Botschaft?

Marc Edinger: Nie wieder!

Und was habt ihr aus der Arbeit mitgenommen, sowohl für eure Theaterarbeit, aber auch für euch als Menschen?

Oliver Bayer: Was mir bei dem Stück wieder stärker bewusst geworden ist, ist, dass „Nie wieder!“ nicht nur bedeutet, dass man selbst dagegenstehen muss, sondern auch selbst dagegen arbeiten muss. Es ist nicht nur damit getan, dass man selbst dagegen ist, darüber Bescheid weiß, und sagt, es war eine beschissene Zeit damals, sondern das tatsächlich auch in irgendeiner Art und Weise aktiv macht. Und Dinge nicht einfach nur unkommentiert stehen lässt.

Marc Edinger: Schau dich um! Es braucht es immer noch. Ich habe zwar nicht die Illusion, dass wir hier jemanden konvertieren, aber sich trotzdem damit auseinanderzusetzen und es im Kopf zu halten, auch von Menschen, die das am liebsten ignorieren wollen, ist wichtig.

Ihr gehört ja beide auch schon einer Generation an, für die spezifisch dieser Zweite Weltkrieg schon sehr, sehr weit weg ist … Und von denen viele sagen, was interessiert mich das, was vor über achtzig Jahren war. Was geht mich das noch an? Wie seht ihr das?

Marc Edinger: Ja, ich weiß nicht genau, von wem das Zitat ist, aber “Those who cannot remember the past are condemned to repeat it.” (diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt sie zu wiederholen). Also nein, es muss sich immer wieder damit auseinandergesetzt werden, dass das eben nicht noch mal passiert.

Freut ihr euch auf trotzdem auf die Premiere, auch wenn's ein schweres Thema wird?

Marc Edinger: Absolutes Adrenalin. Ich freue mich massiv darauf. Ich habe aber auch diese kleine Angst davor, was, wenn jetzt Sachen schieflaufen, was, wenn Dinge nicht funktionieren …

Oliver Bayer: Ja, also ich freue mich auch sehr, dass es endlich gar nicht mehr so weit hin ist, dass die Premiere kurz bevorsteht, dass die ganze Arbeit, der ganze Schweiß, der in die Sache eingeflossen ist, endlich präsentiert und wahrgenommen werden darf und nicht mehr hinter verschlossenen Türen bleibt.

Termine

In St. Leon-Rot (Theaterzimmer Kastanienschule)

Sa., 26.10., 19 Uhr

So., 27.10., 18 Uhr

Tickets für die St. Leon-Roter Aufführungen zu 12 Euro (erm. 10 Euro): Reservierung unter 06227/50275

In Karlsruhe (Gaede-Hörsaal KIT)

Sa., 02.11., 18 Uhr

So., 03.11.,17 Uhr

Infos: https://physikertheater.de/

Erscheinung
exklusiv online

Orte

Heidelberg
Mannheim
Altlußheim
Angelbachtal
Bammental

Kategorien

Bühne
Kultur
Theater, Kleinkunst & Comedy
von jr
21.10.2024
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