Der 24. September 2025 ist ein wolkenverhangener regnerischer Tag. Ganz im Gegensatz zu dem herbstlichen Grau leuchtet die farbliche Vielfalt der Äpfel, die Karlheinz Segewitz und seine Mannschaft am Vormittag gesammelt haben und die nun gemeinsam zu Most verarbeitet werden sollen.
Eigentlich heißt das gewünschte Produkt gar nicht Most, denn das von dem lateinischen „Mustum“ abstammende Wort bezeichnet ursprünglich jeden frisch aus Obst gewonnenen süßen Saft. Wird dieser nicht konserviert und vergärt, so entsteht daraus Wein, in diesem Fall also Apfelwein, den die Hessen als ihren Äppelwoi, die Bretonen und die Einwohner der Normandie als Cidre und die Menschen in Süddeutschland und Österreich eben als Most genießen. Doch nun genug der Sprachverwirrung, es gibt ja schließlich viel zu tun, eine halbe Tonne Äpfel will gewaschen, zerkleinert und zu Saft gepresst werden.
Der Arbeitsablauf ist routiniert und seit Jahren eingespielt. Von der geöffneten Heckklappe des Anhängers rollt das Obst in einen mit klarem Wasser gefüllten Zuber. Darin werden die Äpfel zunächst von anhaftendem Schmutz befreit und sodann mit einem Sieb in die Obstmühle befördert. Das elektrisch angetriebene Gerät mit einem hohen Einfülltrichter trägt den vielversprechenden Namen „Allesfresser“ und wird seinem Titel durchaus gerecht. Mit lautem Dröhnen setzen sich die rotierenden Messer in Bewegung. Innerhalb von Sekunden verwandeln sie ein gutes Dutzend Äpfel in eine breiige Masse – die sogenannte Maische. Diese wandert sodann in die alte mechanisch angetriebene Korbpresse, die Karlheinz Segewitz’ Großvater vor siebzig Jahren zum Preis von rund fünfhundert DM nach langem Überlegen und Rechnen angeschafft hat. Ohne jegliche Gebrauchsspuren tut diese auch heute noch ihren Dienst.
Schon während des Füllens des Presskorbes sammelt sich Apfelsaft in der Ablaufrinne und fließt durch den runden Auslass in den bereitgestellten Eimer. Mit Beginn des eigentlichen Pressvorgangs verwandelt sich der zunächst dünne Strahl in einen goldgelben Strudel, der erst nachlässt, wenn das mechanische Klicken des Antriebs langsamer wird und irgendwann völlig zum Stillstand kommt. Wartet man noch ein paar Minuten, so fließt weiterer Saft ab, und man kann noch ein paar Umdrehungen nachlegen. Irgendwann ist jedoch Schluss. Der Presskorb wird geöffnet, der Trester entfernt, und die Presse ist bereit für eine weitere Füllung.
Die Apfelernte ist dieses Jahr so reichlich, dass von dem Obst nicht nur zwei Haushalte mit „Most“ versorgt werden können, sondern obendrein noch ein Teil der Maische „eingeschlagen“ und vergoren werden kann. Die großen, blauen Fässer wandern alsdann in die Brennerei. Sind alle Formalitäten erledigt und die Branntweinsteuer korrekt bezahlt, so darf destilliert werden und man kann den hochprozentigen Obstler nach einer herbstlichen Mahlzeit zur Anregung der Verdauung genießen.
Diese Tortur bleibt dem gewonnenen reinen Apfelsaft erspart. Mit etwas Hefe versetzt oder auch ganz von selbst setzt langsam die Gärung ein und verwandelt den im Obst enthaltenen Zucker in Alkohol. Ist diese abgeschlossen, so setzt sich die Hefe langsam am Boden des Gärgefäßes ab. Dadurch klärt sich die Flüssigkeit. Entstanden ist dann ein Haustrunk von goldgelber Farbe, der den harten Arbeitsalltag unserer Väter und Vorväter regelmäßig begleitete. Durch Zugabe von etwas Sprudelwasser erhielt das Getränk Frische und Spritzigkeit, und schon bei der Herstellung gab es von Haus zu Haus verschiedene Rezepturen.
Manche bevorzugten den reinen Apfelmost, wieder andere mischten Birnen mit dazu, um durch die darin enthaltenen Gerbstoffe die Haltbarkeit ihres Haustrunks zu erhöhen, wieder andere fügten der Maische Holunderbeeren bei, um ihrem Lieblingsgetränk eine ansprechende Farbe zu verleihen. Unabhängig von der persönlichen Variante war und ist der „Most“ stets das Getränk der bescheidenen Leute, doch wie so oft entfalten gerade die einfachsten Dinge beim bewussten Konsum ihre größte Wirkung. Der ehemalige Vorsitzende der CDU-Fraktion im Weingartener Gemeinderat Hans-Dietrich Reichert pflegte zu sagen: „Die beste Mahlzeit besteht aus einer Scheibe Graubrot, einer leicht geräucherten Griebenwurst und einem Glas Most“. Vielleicht hatte er recht. (gö)