Populär- und Hochkultur, Theater und Kabarett – das kulturelle Angebot in Durlach und Karlsruhe ist sehr umfassend. Wo aber kann man sich am besten über Politik, Wissenschaft und Kultur auslassen? – Natürlich im Kabarett, oder? Im Gespräch mit Ole Hoffmann von den Spiegelfechtern.
Ole Hoffmann: Es läuft besser, ist okay. Es stabilisiert sich. Es hat lange gedauert nach Corona, aber jetzt wird es wieder.
Hoffmann: Was weniger gut läuft, sind neue Sachen. Früher haben die Leute sich das einfach angesehen, weil sie dachten, wenn das hier läuft, kann das nur etwas Besonderes und Gutes sein – einfach, weil der Name gut ist. Das andere ist, dass wir weniger ganz junge Leute, ab 30 Jahren, gewinnen. Sie könnten das hier Erlebte gut gebrauchen. Das merkt man, wenn sie sich hierher verirren. Sie sind auf TikTok und Social Media fixiert. Da aber begegnet einem kein echtes Kabarett.
Hoffmann: Auf Social-Media-Kanälen kann man lediglich ein paar Sekunden lang Auszüge aus Kabarett-Stücken zeigen. Bei TikTok ist es noch kürzer. Die Jugendlichen, die das nutzen, sind hilflos in dieser Welt, weil sie nicht wissen, wie sie den Standard erreichen, der ihnen auf den Social-Media-Kanälen vorgelebt wird. Die Leute da sind immer schöner, schlanker, besser, glatter und haben mehr Follower. Es wird immer mehr verglichen. Zusätzlich wird einem vorgegaukelt, dass man genauso toll wird wie der Experte eines Ratgebers, wenn man dessen Buch kauft und es liest. Es wird einem suggeriert, dass manches früher schon so gewesen sein soll, wie es heute ist. Das ist die Art der Kunstform.
Hoffmann: Es gibt immer vier, fünf Leute, die sich noch trauen, Gefühle zu zeigen bzw. gutes politisches Kabarett, das analytisch, bissig und unterhaltsam ist, zu machen. Neulich gab es in der „Die Anstalt“ Katie Freudenschuss, die wahre Emotionen gezeigt hat. Da hat sie ein Lied gesungen, das nicht auf Witz und Freuden geht und das unglaublich gewirkt hat. Bei einem anderen haben sie von der Macht, der Ohnmacht, geredet und dass man sich wehren soll. Das führt dazu, dass das Leben eng wird. Man hat das Gefühl, dass man nichts ändern kann. Ende der 1970er-Jahre, Anfang der 1980er-Jahre, konnte man sich gar nicht vorstellen, dass das Kabarett eine kulturelle Blüte ist. Wenn ich jetzt zurückblicke, ist da eine Finsternis.
Hoffmann: Man ist der technischen Entwicklung ausgeliefert und muss mitmachen, dass man weitermachen kann. In unserer Generation waren die Kriege gerade vorbei. Auch die Umweltentwicklung war im Gange. Jetzt sind die Jugendlichen mit dem Krieg konfrontiert. Die Umwelt ist belastet. Kabarett ist ein Dazwischen. Das gibt es auch. Manche junge Leute werden von den Großeltern mitgenommen. Da kommen schon welche, die begeistert sind. Die jungen Leute tindern nicht, weil sie nicht einsehen, für etwas Geld auszugeben, was sie für umsonst haben können und weil sie verstehen, wie die Algorithmen funktionieren.
Hoffmann: Das warPhilipp Weber mit „Demokratie für Quereinsteiger: Power to the popel“, Sabine Murza alias „Murzarella“, mit ihren Puppen und Bauchgesängen sowie Thilo Seibel. Wir halten schon an dem politisch-gesellschaftlichen Kabarett fest. Das lief vor Corona gut. Dann kam die Spaltung dadurch. Es hat lange gedauert, bis das Publikum wieder Spaß an der Anarchie des Kabaretts hatte. Das beinhaltet nicht das, dass man denkt, alle Politiker sind gekauft. Antisemitismus und der Nahost-Konflikt sind Tabuthemen. Früher war das einzige Tabu der Katholizismus. Jetzt sind es weniger Tabu-Themen. Bei der Zeit nach Corona war so viel Tabu. Da hat man die Pegida-Leute und alle vergrault. Die Errettung und der Erhalt der Demokratie sind die wichtigsten Themen gleich nach der Aufklärung.
Hoffmann: Am Ende erreicht man mit Kabarett nichts, außer dass man den Menschen zeigt, dass sie nicht alleine sind. Diese Anarchie hält die Räume, die Demokratie zum Gedeihen hat, am Leben. Das Kabarett ist am Montmartre um 1875 entstanden. Die Gesellschaft war erstarrt. Kunst und Musik, Literatur etc. war in den Händen des Adels und der Kirche. Alles ging über den Adel. Die Moralvorstellungen waren so eingerostet, dass jeder Funken Leben geächtet war. Es gab ein paar Leute, die sehr arm waren und trotzdem angefangen haben, die Sachen vorzuspielen. Sie haben nachmittags im „Café Conzert“ gespielt. Der eine hat die Musik gemacht. Der andere hat gemalt. Jeder für sich hat Kunst gemacht. Drum herum saß das normale Bürgervolk, das noch kein Mittelstand war. Die Künstler nannten sich „Club der Wassertrinker.“ Die wollten mit den Spießern nichts zu tun haben. Außerdem gab es einen reichen Erben. Der hatte sich einen Hofstaat aufgebaut. Er kannte all die Künstler, mietete einen Raum und stattete diesen aus. Wie bei allem, was cool ist, wollten dann wieder mehr mitmachen, auch die Bürger. Es gab Unruhe. Die Polizei sagte, er solle es für alle öffnen, damit es keine Unruhe mehr gibt. Das Publikum hatte es inhaltlich entdeckt. Die Künstler haben entdeckt, dass sie mit der Kunst Geld machen können. Das war die Sternstunde sowohl der Kunst als auch des Kabaretts. Die Deutschen kamen dazu, Frank Wedekind und Co. Die haben die Zeitschrift „Simpliccisimus“ gegründet. 1908 hat das deutsche Kabarett eröffnet. Dieser Funke wird immer wieder gebraucht in dieser Gesellschaft. Da kann man immer wieder davon ausgehen.
Hoffmann: Ja, aber es wird besser. Manche sind umgeschwenkt von Corona auf Putin. Es wird wieder möglich, Sachverhalte in den Raum zu stellen und sich einigermaßen gebildet darüber auszutauschen. Die Fähigkeit, einander zuzuhören, hat wieder zugenommen.
Hoffmann: Damit, Räume zu schaffen, in denen sich Gedanken, Emotionen und Demokratie entfalten können. Kabarett und Satire ist so etwas. Du nimmst einen beklagenswerten Zustand in der Gesellschaft und erhöhst den bis zur Unkenntlichkeit. Ich übertreibe so, dass die Leute das Problem erkennen. Mein Deutschlehrer war sehr wichtig für mich, weil er sein Leben lang gekämpft hat. Er wurde gefragt, ob er zufrieden ist. Als Schlussbotschaft hat er von Berthold Brecht: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ zitiert. Kabarett hat auch den Sinn, auf Unrecht hinzuweisen. Deshalb sollten wir uns auch nicht alles gefallen lassen.
Hoffmann: Das verändert sich immer. Es ist die Kunst, dass Dinge sich verwandeln. Das große Ensemble-Kabarett gibt es kaum noch. Sehr viele Künstler sind sehr viel mit Standup-Comedy unterwegs. Das nimmt Einfluss aufs Solo-Kabarett. Wortspiele, und zwar gute, stehen im Moment hinten an. Andreas Rebers benutzt noch in seinen Solos sehr gute Formen, wie auch Katie Freudenschuss oder Uta Köbernick. Die Standup-Comedy ist im politischen Kabarett die beliebteste und bringt auch am meisten Geld. Die Formen kommen aber alle wieder.
Hoffmann: Kabarett ist das Spiel mit dem Wissen des Zuschauers. Wenn Du aber weniger auf ein Wissen, das mit Allgemeinbildung zu tun hat, zurückgreifen kannst, wird das immer schwerer.
Hoffmann: Das Gejammere der Künstler gibt es schon, seitdem es die Kabarettisten gibt, als die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kam und alle depressiv waren. Eines kann man sagen: Was Social Media mit sich bringt, ist, dass das Buch-Wissen verloren geht – weil alle nur noch ein paar Infos mitnehmen. Im Mittelalter war das ähnlich. Da hatten auch nicht alle Zugang zum Buch-Wissen. Jetzt könnten alle es haben und wollen es nicht. Als ich gelernt habe, waren an fünf Abenden die Hallen voll, ab Donnerstag. Mit dem verkaufsoffenen Donnerstag war das kein Thema mehr, weil die Leute einkaufen konnten. Die Menschen mit dem Buchwissen treffen sich dann in Buchzirkeln. „Das Kabarett ist geboren und am nächsten Tag totgesagt worden.“ Das sagte Dieter Hildebrandt.
Hoffmann: Man muss gut sein, um die Energie aufrechtzuerhalten. Ein Theater lebt mit dem, der es betreibt. Einen traurigen Clown braucht keiner. Wir wollen authentisch sein, schließen uns auch nicht allen Trends an. Die Tatsache, dass man unkonventionell-analog ist, kommt an. Ein Kabarett, das aus der Zeit überlebt hat, ist Le Alpin Agile, aus dem Jahr 1860. Die haben jede Phase des Kabaretts durch, wie auch das Einfachste zu spielen, das Ursprüngliche. Ich vermute, dass es das Kabarett deshalb schon so lange gibt.
Hoffmann: Das gehört dazu. Das sehe ich schon so, dass das ein Bildungsauftrag ist.
Hoffmann: Ich bin studierter Schauspieler, habe an der „Insel“ gespielt und an der Badischen Schauspielschule studiert. Die war damals bei der „Insel“. Ich war als Schauspieler und Sänger unterwegs. Engagiert an der Insel, habe ich da Kinderstücke gespielt. Gerhard Wiedl und Wolfgang Jansen haben früher in den 1980er-Jahren am Sandkorntheater tolles Kabarett gemacht. Sie haben sich mit dem damaligen Chef, Siegfried Kreiner, überworfen. Im Jahr 1989 haben sie ihr eigenes Kabarett gegründet. Ich habe, auch als ich unterwegs war, das Kabarett als sehr interessante Kunstform entdeckt und bin da hingekommen, wo ich jetzt stehe.
Hoffmann: Es ist eine große Herausforderung, ein Theater am Laufen zu halten. Hut ab für die Kulturförderung und das Kulturverständnis, das es hier in Karlsruhe gibt. Das ist nicht selbstverständlich.
Die Fragen stellte Jennifer Warzecha.