Salvatore Bacchitta erzählt

Italienische Lebensart in Weingarten

Salvatore Bacchitta kam 1963 nach Deutschland. Aus der Gastronomie in Weingarten ist er nicht mehr wegzudenken.
Salvatore Bacchitta blickt auf rund sechs Jahrzehnte in Weingarten zurück.
Salvatore Bacchitta blickt auf rund sechs Jahrzehnte in Weingarten zurück.Foto: gö

Während in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland der Wiederaufbau längst begonnen hatte und die Wirtschaft eine rasante Aufwärtsentwicklung verzeichnete, war der Süden Italiens nach wie vor von existenzieller Armut geprägt. Insbesondere Sizilien und der Süden Sardiniens, aber auch die Regionen Apulien und Kalabrien hatten schwere Kriegsschäden erlitten, hinzu kamen wenig fruchtbare Böden, lange sommerliche Trockenheit, teilweise noch feudale Strukturen und ein hohes Bevölkerungswachstum. Kein Wunder, war der sogenannte „Mezzogiorno“ auch für Italien selbst ein permanentes Sorgenkind, und die Bruchlinie zwischen dem reichen industrialisierten Norden und dem rückständigen Süden kaum zu überwinden. Für viele junge Männer war Auswanderung die einzige Perspektive.

So fand auch Salvatore Bacchitta im Jahr 1963 den Weg nach Deutschland. Fünf Jahre früher war schon ein älterer Bruder nach Wiesental gekommen. Insgesamt hatten die Eltern dreizehn Kinder. Sein Vater baute mit einem Ochsengespann auf dem kargen Boden Getreide in Form von Gerste und Hafer an. Wenn am Wochenende noch etwas Geld übrig war, so erinnert sich Salvatore, kaufte seine Mutter den Kopf eines Schafes, um eine nahrhafte Suppe für die Familie daraus zu kochen. 1938 geboren, sind Salvatore die Weltkriegsjahre noch in lebhafter Erinnerung. In der Schule seines Heimatortes waren deutsche Soldaten einquartiert, entsprechend rudimentär war der Unterricht für seine Altersgenossen. Einer der Soldaten hob ihn eines Tages hoch und nahm ihn in den Arm – möglicherweise erinnerten ihn die Augen des Kindes an seinen kleinen Sohn in der fernen Heimat. Einmal war in der Grundschule seine Versetzung in die nächsthöhere Klasse gefährdet, weil die Noten ausgerechnet im Fach Italienisch ungenügend waren – zu Hause wurde ausschließlich das mit dem Spanischen verwandte Sardisch gesprochen. Die Kinder baten daraufhin ihre Mutter, doch endlich ein Radio zu kaufen.

Das „Riv“ in der Karlstraße

Nach einem kurzen Intermezzo bei der Gemeinde Wiesental fand Salvatore eine Anstellung bei der Firma Siporex in Wiesental. 72 Stunden pro Woche absolvierte er mit seinem Trupp in der Herstellung von Fertigelementen aus Gasbeton, bis ihm ein Bekannter ein bereits fertig eingerichtetes Eiscafé in Weingarten zur Pacht anbot. Die Eheleute Bacchitte sagten zu und erweiterten als Quereinsteiger das örtliche gastronomische Angebot. Damit war der Grundstein für die Kombination aus Espressobar, Pizzeria und Gelateria in der Karlstraße gelegt, und weil man Riviera so schwer aussprechen kann, wurde es in der Weingartener Umgangssprache auf „Riv“ verkürzt. Schnell wurde das kleine Lokal zum Treffpunkt für die junge Generation, für Vereine nach dem abendlichen Training oder der Chorprobe und für Familien am Wochenende. Ein Eisverkauf beim Freibad und in der Spitalstraße ergänzten die Palette.

Eine weitere Stufe aufwärts

Die Eheleute Lina und Salvatore arbeiteten täglich abwechselnd von acht Uhr morgens bis ein Uhr nachts. Wirtschaftlich ging es allmählich voran, und auch ihre drei Kinder halfen tatkräftig mit. Der Schritt in die Selbständigkeit erwies sich als richtig. Eine Stufe aufwärts ging es dann in den Achtzigerjahren mit dem Kauf und der Sanierung einer Immobilie an der Ecke Bahnhofstraße und Paulusstraße. Das nach Salvatores Heimatort benannte „Cala Gonone“ bot über lange Jahre Pizza und Klassiker der mediterran-sardischen Küche sowie eine kleine Eispalette an, und der alte Ford Granada, mit dem das Holz aus dem Gemeindewald für die Befeuerung des Pizzaofens transportiert wurde, wird vielen Weingartnern noch in bester Erinnerung sein.

Ein kleines Stück Italien in Weingarten

Salvatore vermag nicht mit Bestimmtheit zu sagen, wer genau der erste Italiener in Weingarten war. Vielleicht Roberto, der langjährige Pächter des Schützenhauses, eventuell auch Angelo Sica aus Licata in Sizilien. Manche der ersten Generation sind inzwischen verstorben, einige in ihre Heimat zurückgekehrt, so wie Gaetano, der ehemalige Inhaber des „Alt Weingarten“. Auch deutsch-italienische Ehen wurden geschlossen. Fest steht jedenfalls, dass mit Salvatore, Angelo, Giuseppe und Co. ein kleines Stück Italien in Weingarten etabliert wurde, und auch die „Tedeschi“ mit der größten Selbstverständlichkeit den täglichen Espresso genießen und auch keinen Löffel mehr brauchen, um ihre Spaghetti all´amatriciana zum Munde zu führen. Gleichzeitig haben die Italiener und ihre Nachkommen einen guten Teil ihrer Lebensgewohnheiten beibehalten: Den Stellenwert der Familie, den eigenen Gemüsegarten, die gesellige Runde mit Freunden am Sonntagvormittag und natürlich zwei Leidenschaften, die die Männer beider Länder aufs Tiefste verbindet – die Formel 1 und der Fußball. (gö)

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exklusiv online
von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
03.06.2025
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Weingarten (Baden)
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