Zehn Fragen über Themen, die die Wähler bewegen. Es folgt Justus Heine für Die Linke.
Nussbaum Medien (NM): Was sehen Sie als die größten Sorgen der Menschen im Wahlkreis Rhein-Neckar?
Justus Heine: Erstens sind es ganz klar die hohen Mieten. In Städten wie Walldorf, Wiesloch oder Neckargemünd sind die Mietpreise sehr hoch. Auch in den umliegenden Städten von Heidelberg steigen die Mieten massiv an. Dabei gibt es allein im Rhein-Neckar-Kreis über 11.000 leerstehende Wohnungen, von denen die Hälfte seit mehr als einem Jahr ungenutzt ist. Zweitens kamen im Zuge der Inflation steigende Lebensmittelpreise und explodierende Energiekosten hinzu.
Deshalb haben wir in der Partei auch den Heizkosten-Check eingeführt, mit dem sich kostenfrei überprüfen lässt, ob die Heizkostenrechnungen korrekt berechnet wurden. Mit weiteren Maßnahmen wie dem Mietwucher-Check, den wir für Großstädte entwickelt haben, konnten wir zudem feststellen, dass die Mieten zum Teil zwischen 20 und 30 Prozent zu hoch sind. In diesem Fall hat man dann Anspruch auf Mietensenkung.
Die Gesundheitsversorgung ist ebenfalls ein großes Thema. Trotz der guten Infrastruktur in Heidelberg gibt es Wartezeiten von mehreren Wochen – sogar bei dringenden Behandlungen wie Röntgenterminen. Zudem wurden mehrere Entbindungsstationen geschlossen. Schwangere Frauen müssen nun bis zu 45 Minuten zur nächsten Station fahren, was sowohl für sie als auch für die Babys eine enorme Belastung ist. Im Landkreis wird auch darüber gesprochen, Kliniken weiter zu spezialisieren. Das mag in manchen Bereichen wie etwa Knieoperationen durchaus sinnvoll sein. Aber wenn dann weitere Entbindungsstationen oder Vergleichbares zusammengestrichen werden müssen, stellen wir uns dagegen. Die Menschen brauchen einen schnellen Anfahrtsweg zu solch einer kritischen Gesundheitsversorgung.
NM: Was müsste sich im Gesundheitswesen ändern?
Heine: Die Fallpauschalen sollten komplett abgeschafft werden. Sie zwingen Krankenhäuser, rentabel zu arbeiten, statt Patienten bestmöglich zu versorgen. Zwar hat das neue Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz von Gesundheitsminister Lauterbach einige Fortschritte gebracht, aber das reicht nicht aus. Notaufnahmen durften früher nur das abrechnen, was sie an Fällen hatten. Nun ist eine Notaufnahme 24/7 offen. Jetzt bekommen sie immerhin um die 60 Prozent ihrer Kosten zurückerstattet, was immer noch ein Loch von 40 Prozent hinterlässt. Hier muss mehr geschehen, um eine flächendeckende und zuverlässige Versorgung sicherzustellen.
NM: Welche Lösungsvorschläge schlagen Sie gegen das Mietproblem vor?
Heine: Wir brauchen eine Reform der Wohnungsgemeinnützigkeit. Die Ampelregierung hat sie zwar wieder eingeführt, aber nicht in ausreichendem Umfang. Es fehlen einige Stellschrauben, die es früher gegeben hat, insbesondere bei Stiftungen und Vereinen, die für viel geringere Preise Wohnungen bauen und weitervermieten könnten. Außerdem fehlt eine bundesweite Wohnungsbaugesellschaft, die den sozialen Wohnungsbau voranbringt. Diese kann auch landesweit organisiert werden. Im Moment schöpft Baden-Württemberg nur 70 Prozent der Mittel für sozialen Wohnungsbau aus, die restlichen 30 Prozent gehen wieder zurück nach Berlin. Das können wir uns nicht leisten.
NM: Die (Neu-)Verschuldung der Kommunen steigt rasant an. Gerade kleinere Kommunen haben es immer schwerer. Braucht es neue Finanzierungsmodelle für die Kommunen?
Heine: Wir haben ein neues Konzept entwickelt, das die Gewerbesteuer reformieren soll und einen Gewerbesteuerausgleich schafft. Bisher zahlen beispielsweise Selbstständige wie Ärzte oder Anwälte keine Gewerbesteuer, sondern Einkommensteuer. Unser Vorschlag sieht vor, dass auch diese Betriebe Gewerbesteuer zahlen, die direkt den Kommunen zugutekommt. Dafür wird die Einkommensteuer entsprechend gesenkt. Das wäre eine immense Entlastung für die Städte und Gemeinden. Als Kreistagsmitglied sehe ich, was mit der Kreisumlage passiert und wo das Geld hinkommt. Es gibt keine Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis, der aktuell noch Rücklagen zur Verfügung stehen.
NM: Lebensmittel und Energiekosten – die Preise auch in diesen Bereichen bleiben nach wie vor auf hohem Niveau. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Preise wieder zu senken?
Heine: In anderen Ländern hat man bereits Fortschritte gemacht, indem beispielsweise eine Übergewinnsteuer eingeführt wurde. Schon vor dem Ukraine-Krieg und der Pandemie lag die Inflation bei zwei bis drei Prozent, wodurch man erkennen kann, welche Profite die Unternehmen nun erwirtschaften. Man könnte eine Übergewinnsteuer anhand dessen berechnen, wie hoch die Gewinne bei zwei bis drei Prozent Inflation wären und wie hoch die Gewinne bei einer Inflation von sechs bis sieben Prozent wären, aber auch, was die Unternehmen zusätzlich einkalkulieren.
Plötzlich sind die Preise für Strom aus Wind- oder Sonnenenergie drastisch gestiegen, obwohl diese Energieformen eigentlich unabhängig von Öl- und Gaspreisen sein sollten. Dies hängt jedoch auch mit dem gemeinsamen europäischen Energiemarkt zusammen, der reformiert werden muss. Ähnliches könnte bei den Lebensmittelpreisen Anwendung finden. Wenn man sich die Familie Schwarz (dazu zählen unter anderem Lidl und Kaufland, Anm. d. Red.) anschaut, die während der Pandemie ihr Vermögen auf 46 Milliarden Euro verdoppelt hat, kann man schwerlich behaupten, dass die Lebensmittelbranche in einer Krise steckt. Es sind nicht die kleinen Landwirte oder Restaurants, die profitieren, sondern die großen Händler und Zwischenhändler, die die Preise diktieren und sich die Gewinne einstecken.
NM: Was den Kommunen auch sehr zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Gleichzeitig haben viele Versuche, Bürokratie abzubauen, das Gegenteil bewirkt. Was schlagen Sie vor?
Heine: Erstens gab es zuletzt das vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das von der Bundesregierung verabschiedet wurde. Da stimmen wir in Teilen zu, haben es im Bundestag aber abgelehnt. Denn durch das neue Gesetz ist die Aufbewahrungsfrist von Finanzunterlagen kürzer. Das ist für uns keine Entbürokratisierung, sondern einfach ein Freifahrtschein für Korruption und Steuerhinterziehung.
Der zweite Punkt ist, dass die Digitalisierung in den Ämtern dringend vorangetrieben werden muss. Es wurde schon einiges in den Ministerien oder auch im BAMF digitalisiert. Aber vieles läuft eben doch noch analog oder per Fax. Für die Digitalisierung muss mehr Geld in die Hand genommen und auch richtig umgesetzt werden. Für die Wohngemeinnützigkeit und den Bürokratieabbau muss man auch die Bauvorschriften vereinfachen und sich anschauen, was beim Brandschutz und Co. wirklich notwendig ist und was nicht. Viele Vorschriften kann man ganz einfach zusammenfassen.
NM: Hunderttausende Arbeitskräfte fehlen, ob in Pflege, Handwerksbetrieben oder an Schulen und Kitas – Tendenz steigend. Wie wollen Sie hier gegensteuern?
Heine: Die Arbeitsbedingungen haben erste Priorität, aber auch die Situation der Arbeitsplätze. Unsere Parteikollegin Tanja Artz ist Stadträtin in Weinheim und arbeitet zudem als Intensivpflegerin bei der GRN-Klinik in Weinheim. Sie berichtet auch von einem massiven Krankenstand und von Überlastung. Viele ihrer Kollegen sind psychisch am Ende und kommen deswegen nicht mehr.
Man muss die Arbeitsbedingungen schlichtweg verbessern. Dabei muss man den Personalschlüssel anpassen und auch Quereinsteiger fördern, aber auch die Ansprüche reformieren. Meine Mutter ist seit 30 Jahren Lehrerin und muss noch sehr viel selbst erledigen. Da diskutiert die Landesregierung darüber, dass alle Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt einen Dienstlaptop erhalten sollen. Das ist aber nicht das, was die Lehrkräfte benötigen, sondern Stressabbau, auch für die Eltern und Kinder.
NM: Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gibt es nach 2030 keine Untergrenze mehr für das Rentenniveau. Gleichzeitig werden junge Menschen historisch hohe Beiträge zahlen müssen. Wie kann die Politik dem begegnen?
Heine: Zunächst müssen alle in die Rentenkasse einzahlen, auch Bundestagsabgeordnete, die bisher ihre eigene Absicherung haben. Gleiches gilt für die gesetzliche Krankenversicherung, das Zwei-Kassen-System sollte abgeschafft werden. Außerdem müssen wir Hürden für Geflüchtete abbauen, damit sie schneller arbeiten können, zumal sie dann auch in die Rentenkasse einzahlen würden. Wir hatten erst vor zwei Monaten ein Gespräch mit einer Krankenschwester, die aus der Ukraine geflohen ist, nichts mitnehmen konnte und jetzt ihr komplettes Studium nachweisen muss. Wie soll sie das nachweisen? Ihre Gemeinde, aus der sie kommt, ist jetzt im russisch besetzten Gebiet. Einen Test zum Nachweis ihrer Qualifikationen darf sie aber nicht ohne den Nachweis ihres Studiums machen.
Ein weiteres Problem ist das Rentenalter: Es darf nicht weiter angehoben werden. Viele Menschen, vor allem in körperlich belastenden Berufen, wie in der Pflege, sind selbst pflegebedürftig, wenn sie in Rente gehen. Wenn wir nicht wollen, dass die Menschen irgendwann 50 bis 60 Jahre arbeiten gehen müssen, dann brauchen wir mehr Einzahler und müssen das Rentensystem finanziell stabilisieren – notfalls auch durch Kredite. Der demografische Wandel lässt uns hier keine andere Wahl.
NM: Populistische Forderungen, Tendenzen zu extremistischen Positionen und Verrohung der politischen Debatte sind in Deutschland immer häufiger zu beobachten – mit welchen konkreten Maßnahmen will die Linke diesem Umstand entgegenwirken?
Heine: Der erste Schritt ist, dass wir als Politikerinnen und Politiker ein Vorbild sein müssen. Wir müssen zeigen, dass wir respektvoll miteinander umgehen können, auch wenn wir inhaltlich stark unterschiedlicher Meinung sind. Das bedeutet, keine Hetze zu betreiben, keine Gruppen gegeneinander auszuspielen und auch in Wahlkämpfen auf aggressive Rhetorik zu verzichten. Ein weiteres Element ist, dass wir stärker in den Dialog mit den Menschen treten. Viel zu oft wird Politik „von oben herab“ gemacht, und die Menschen fühlen sich nicht gehört.
Haustürgespräche, Bürgerversammlungen oder direkte Kommunikation über soziale Medien, aber auf respektvolle Weise, sind essenziell. Es geht darum, zuzuhören und ehrlich auf die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Auch Maßnahmen wie die Stärkung des Sozialstaats, gerechtere Löhne und bezahlbarer Wohnraum sind ein Beitrag zur Demokratieförderung. Gleichzeitig muss der Rechtsstaat stark bleiben. Hass und Hetze, gerade online, dürfen nicht ungestraft bleiben. Es braucht klare Konsequenzen für diejenigen, die gegen andere Menschen hetzen oder Gewalt fördern.
NM: Worin sehen Sie das Scheitern der bisherigen Regierung und was kann die Politik daraus lernen?
Heine: Wir sind von Anfang an davon ausgegangen, dass die Regierung nicht lange halten würde. Die Regierung ist eigentlich vielversprechend gestartet. Man hat sich viele Projekte vorgenommen, die auch aus Projekten der Linken mit den Grünen und der FDP zusammen entstanden sind. Dann kam der Moment, an dem das Geld auf einmal nicht mehr vorhanden war. Und da hat man gemerkt, dass man diese Widersprüche in der Regierung nicht mehr mit Geld zuschütten kann.
Was man daraus lernen kann, ist, dass es nicht reicht, jung und hip zu sein. Damit verändert man nichts. Wir haben die strengste Asylrechtsverschärfung in der Geschichte der Bundesrepublik verabschiedet, der die jungen Abgeordneten, die neu in den Bundestag eingezogen sind, zugestimmt haben. Die linkste Regierung der letzten zwanzig Jahre hat das Asylrecht so scharf reguliert wie noch nie zuvor. Außerdem kann man nicht mit der FDP zusammen regieren, das hat auch die CDU verstanden. Immerhin ist das nicht die erste Regierung, die die FDP hat platzen lassen.
Davon abgesehen müssen die Projekte, die sich die Regierung vorgenommen hat, von vornherein besser nach außen kommuniziert werden. Es gab keine Transparenz bei verschiedenen Abkommen. Der Koalitionsvertrag wurde nur intern abgesprochen und sehr schnell veröffentlicht. Man sollte lernen, dass man die Dinge transparent klären muss, damit die Gesellschaft auch weiß, welche Probleme es eigentlich gibt. Es wurde nicht kommuniziert, wo die Differenzen lagen. Das hat das Vertrauen in die Politik zerstört.
Justus Heine ist 24 Jahre alt, in Sachsen-Anhalt aufgewachsen und erlebte den Aufstieg der AfD hautnah mit: „Ich habe gesehen, wie die Hetze und dieser rechtsextreme Versuch, in die Gesellschaft einzugreifen, Vereine und Dorfgemeinschaften belastet und Familien spaltet. Das hat mich politisiert“, sagt Heine. Er studiert Volkswirtschaft und Geografie an der Universität in Heidelberg. Das Gemeinderats- und Kreistagsmitglied aus Dossenheim kandidiert zum ersten Mal für den Bundestag.