Gegensätze – ein Bild, von dem Jens Neutags Programm lebt. Weswegen er sie auch zum Programmtitel machte. Warum sie sich laut seiner Definition ausziehen, das erschloss sich zwar nicht unbedingt und sei mal dahingestellt. Aber dass es sie gibt, diese Gegensätze zwischen Alt und Jung, zwischen Komfortzone und Notwendigem, daran ließ der Kabarettist keinen Zweifel, als er vor sein Publikum im MAX trat.
Am Sonntagabend setzte Neutag an zur „humoristischen Altenpflege“, wie Thomas Reis einst das Kabarett betitelte. Ein Rundumschlag auf die gesamte Berliner Politik, die ließ er wohltuend aus. Gänzlich verkneifen konnte er sich die Hiebe indes nicht. Ein Finanzminister, der nun doch schlecht statt gar nicht regierte, ein Kanzler, der nur selten zu sehen ist und bei dem man nie sicher sein konnte, dass er – wenn er zu sehen ist – was sagt. Eine Ampel wie ein Kindergarten, oder eigentlich wie die Geissens, zog Neutag über die Bundesregierung her. Man könnte auch sagen: Familie. Denn wo sonst gibt es einen solchen Zwist, prallen Weltanschauung und Meinungen in kompletter Unvereinbarkeit aneinander.
In Neutags – imaginärer – Familie war das nicht anders. Nur ein bisschen überspitzter ging es zu. Alte Garde, Selbstverliebte, Welterklärer und Weltverbesserer – bei ihm kam auf der Bühne zusammen, was nicht zusammenpasste. Da stand der Schnitzelvergötterer im Universum des Bionade-Bullerbüs – und dröhnte platte Tiraden in die Welt. Dabei ist die nun mal nicht einfach, ihre Probleme sind vielmehr hochkomplex und damit nichts für Daumen hoch oder runter. Neutags Werbung für Differenzierung, sie kam unverhohlen daher. Seine Abneigung gegen eine Verklärung der Vergangenheit genauso. „Früher war nicht besser, früher ist nur länger her“, erteilte er jeglicher Retromanie eine deutliche Absage. Die war für ihn so faktentreu wie Trump. Was konnten die 80er-Jahre denn auch besseres hervorbringen als Schulterpolster, Aerobic mit Neonstulpen und den Commodore 64? Klimakleber – das Schlimmste bisher? „Gucken Sie sich mal die Straßenkämpfe zur Startbahn West an“, erinnerte er an damalige Auseinandersetzungen ganz anderen Kalibers. Und Tote auf Volksfesten? Heute das Messer in Solingen, 1980 die Bombe auf dem Oktoberfest. Mal ganz abgesehen von abgedroschenen Parolen gegen den Krieg. Dabei war der schon immer das beste Konjunkturprogramm, dichtet Neutag seinem angeblichen Onkel Worte an, die Krieg und Krise die Hand reichten. „Kapitalismus beruht auf Konsum, da muss man was für tun“, sagt betreffender Onkel im Ruhrpottdialekt. Also lieber Freiheit für die Raucher, statt sie in orangen Kastenzeichnungen auf dem Bahnsteig zu internieren. Die zahlen schließlich für überteuerte Tabakprodukte und liegen der Rentenkasse nicht so lange auf der Kasse. Statt Bio-Apfel also lieber mal eine Zigarettenstange in die Tasche.
Jens Neutag lässt auf der Bühne seine Figuren schwadronieren, erklären und die Welt retten. Dass er den Widerständen gegen Neuerungen nichts abgewinnen kann, das wurde deutlich, als er Onkel Heini, Cousin Karsten und Neffe Marvin in den Schlagabtausch führte. Der Kabarettist verließ sich dabei ganz auf sein Können aus dem Berufsleben, die vor der Kabarettbühne stand. Neutag hat nicht nur ein Studium in Soziologie, Politik- und Erziehungswissenschaften abgeschlossen, er ist auch Schauspieler mit Engagements beispielsweise an der Landesbühne Niedersachsen. Das hörte man, das sah man. Der Wechsel von einer Figur zur anderen – für Neutag ein Leichtes. Gleiches gilt für die Sprache. Dialekt oder eine Imitation von Karl Lauterbach oder Adolf Hitler waren für ihn kein Problem. So braucht er wenig äußere Mittel, um die Lebendigkeit auf die Bühne zu bringen. Und seine Figuren in Bewegung. Körperlich. Rein geistig tat sich da nämlich gar nichts. CSU-Mantra-Bewahrer standen der Fraktion der Weltneugestalter gegenüber. Und so blieb es. Die Lösung lag für Jens Neutag in einem simplen Satz. „Optimismus statt Kopf in den Sand.“ Weniger simpel, dafür aber aus echter Überzeugung und mit viel Kraft standen am Ende ganz andere Worte, die der Kabarettist seinem Programm hintenan stellte. „Ich bin der erste aus meiner Familie, der fern von Krieg und Faschismus aufwuchs. Tun wir alles dafür, dass ich nicht der letzte bin“, sagte Jens Neutag da. Auch dafür braucht es wohl Veränderung. (cs)