Erst klingt ein Glöcklein fein, dann Musik von Leonie Klein, Laszlo Wolpert und Derek Hauffen, bevor mit Macht Guntram Prochaskas Holzsägemusik den Rathausplatz in Beschlag nimmt, damit „die Grötzinger Akazie ihr Geheimnis frei gibt“. Und dann, als der große Regen beginnt, verlagert sich die Feier ins Herbert-Schweizer-Haus. Mit Wehmut, wie sie sagen, besingen hier die charmanten Munteren Mütter in dunklem Outfit mit Freddy Quinn den dritten Zapfenstreich ihrer Karriere, so schön sei die Zeit demnach gewesen. Bei harter Arbeit und kargem Lohn vielleicht, so wird es der Oberbürgermeister nicht verstehen, aber mit Freud und Leid war Karen Eßrichs Amtszeit sicherlich verbunden, wie später gesanglos formuliert wird. Frank Mentrup ist von der Grötzinger Herzlichkeit beeindruckt. Über Ähnliches würde er sich zu seiner eigenen Verabschiedung einmal sehr freuen. „Karen Eßrich war immer nah bei den Menschen“, sagt der OB. Über ein Jahrzehnt sei sie Stimme und Gesicht Grötzingens gewesen. „Mit Herz, Haltung und Leidenschaft“. Im Ort und in den Vereinen geschätzt und verwurzelt, habe sie dort tief eingegriffen, hier im Dialog Brücken gebaut und gleichzeitig ihre Lebenserfahrung als Weltbürgerin in den historischen Stadtteil eingebracht. Ob Rechtsverordnung für den Baggersee, die Gießbachniederung oder Rathaussanierung: alles waren ihr Herzensangelegenheiten. Kultur und Kunst ganz besonders, so die Zugehörigkeit zur internationalen Vereinigung EuroArt, das einzigartige Stadtteilkulturkonzept und die Ortskernsanierung. Wegen ihrer besonderen Gabe des Motivierens im Team blieben ihre Spuren weiterhin sichtbar. „Lieber Herr Jägle, sie finden große Fußstapfen vor“, richtet sich der Oberbürgermeister an den Nachfolger im Amt und bleibt gleichzeitig optimistisch und ermunternd: „Schaffen Sie neue Fußstapfen und gehen Sie es beherzt und mit Leidenschaft an! Glück auf!“
„Leben ist das, was passiert, während Du andere Pläne machst“. Dieses Zitat von John Lennon steht über dem visualisierten Grußwort von Dr. Gabriele Vorberg, Birgit Hauswirth-Metzger und Veronika Pepper. Fraktionsübergreifend sammelten sie im Video Charakterzüge der scheidenden Ortsvorsteherin, „denn hinter diesem Amt steht ein Mensch. Und wenn ein Mensch zum Beispiel stundenlang im Matsch stehen kann, um 2000 Bäume zu pflanzen, dann sagt das schon viel über ihn aus!“ Die drei Ortschaftsrätinnen nennen eine Fülle zu Karen Eßrichs Amtsführung passende Eigenschaftsworte in alphabetischer Reihenfolge. Für die große Grötzinger Vereinsfamilie habe Karen Eßrich Bänke geschleppt, sich als Schriftführerin engagiert und Arbeiten erledigt, die nicht nach außen sichtbar wurden, denn sie sei Teil dieser Familie gewesen. Sie hat Weihnachtsfeiern organisiert und mitgefeiert, damit Alleinstehende nicht einsam blieben: „Dein Stil ist nicht laut, aber wirksam! Ohne Menschen wie dich geht es einfach nicht!“ Eine große Familie habe er im Rathaus vorgefunden, sagt der Nachfolger im Amt, Jens Jägle und bedankt sich: „Dafür haben Sie gesorgt!“ Eine Familie lebe von einer besonderen Verbundenheit und dem Vertrauen untereinander, dieser Geist der Solidarität sei unter den Mitarbeitern spürbar. Mit dem Slogan Kultur – Gut – Grötzingen habe Karen Eßrich das Erbe der Malerkolonie angenommen und vitalisiert. Auf den Ort, an dem Kunst entsteht, auf das einmalige Kulturkonzept oder das N6 könnten andere Stadtteile nur neidvoll blicken. Auch das Vorleben der Nachhaltigkeit oder der Baggersee machten Grötzingen erlebbar. „Das sind Leistungen, die meine hohe Anerkennung erfahren und mir Auftrag sein werden!“
„Es war mir die letzten zehn Jahre und es ist mir heute ein Fest!“ Karen Eßrich dankt für die Worte der Anerkennung, obwohl „natürlich auch ein bisschen Trauer und Wehmut mitschwingt, auch wenn es ein Festabend ist“. Gleichwohl: „Wenn es bei der Abstimmung der Spielzeit geruckelt hat, so steht doch unsere Demokratie fest, trotz aller Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten.“ Amtsübergaben würden in der Demokratie künstlerisch und im Miteinander durchgeführt.
„Ich hatte das Glück, dass ich meinen Traumberuf in Grötzingen tatsächlich gefunden habe.“ Sie durfte hier ihre Stärken und Interessen leben: Verantwortung als Repräsentantin und erste Dienerin des Ortsteils tragen, Chefin von tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ortsverwaltung sein und Politikerin, wenn es um Ziele für Grötzingen ging, Netzwerkerin und Unterstützerin für die vielen ehrenamtlich Wirkenden für den Ort und alle Grötzingerinnen und Grötzinger, auch „als private Karen Eßrich, Bürgerin dieses wunderbaren Stadtteils, Gleiche unter Gleichen und Hottscheck-Hex“.
„Von überwältigendem Glück mit Luftsprüngen bis hin zu Verzweiflung: Welcher Beruf bietet so etwas?“ Und damit Jens Jägle weiß, was ihn erwartet, zählt sie Beispiele auf, darunter die Rechtsverordnung für den Baggersee: „Die Bereitschaft aller, in diesem Fall Kompromisse einzugehen, statt auf Maximalforderungen zu bestehen, hat mich zutiefst beeindruckt“. Überraschend und inspirierend sei auch gleich zu Amtsbeginn die Vorbereitung der Kulturmeile 2015 gewesen, das Stadtteilgeschenk zum 300. Stadtjubiläum Karlsruhes. „Das wurde durch das große Engagement vieler Menschen zu einem bewegenden Gemeinschaftserlebnis!“ Nicht zuletzt wegen Guntram Prochaska und dem damaligen Hauptamtsleiter Jürgen Dehm, die Mut machten und Vertrauen geschenkt haben. Daraus entstand mit den teilnehmenden Vereinen die Arge Grötzinger Vereine und Kulturschaffenden, ein starkes Zeichen für gemeinsame Verantwortung. Die Sanierung des historischen Rathauses machte die Ortsvorsteherin zur „Aufräumerin“ und dessen Enthüllung war ein Moment voller Symbolik und Freude. Der Neubau der ersten wirklich barrierefreien Gemeinschaftsschule setzte ein starkes Zeichen für Zukunft und Teilhabe, das Kunstfachwerk N6 war ein wichtiger Beitrag mit Perspektive. „Mein herzlicher Dank geht an alle Kunstschaffenden in Grötzingen, egal ob Hobby- oder Profikünstler!“ Die Pandemie habe allen viel abverlangt, aber innerhalb kürzester Zeit habe die Ortsverwaltung ein tragfähiges Konzept entwickelt, um weiter für die Bürger und Bürgerinnen da zu sein. Es war berührend zu erleben, wie Reinigungskräfte, IT-Spezialisten, Verwaltung, Sicherheitsdienst und Apotheke Hand in Hand gearbeitet haben, mit Professionalität und Herz. Die gemeinsame Bewältigung der Flüchtlingsunterbringung, 2014/2015 oder mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022, habe gezeigt: Verwaltung kann beweglich, solidarisch und menschlich sein.
Ganz besondere Momente waren der Umzug des Kunstarchivs, die neuen Stellwände, die endlich würdige Ausstellungen möglich machten, die Entwicklung des Stadtteilkulturkonzepts, der Beitritt zu euroArt und der gemeinderätliche Beschluss einer eigenen Stelle für die Stadtteilkultur im Dezember 2024.
Besonders leise und dennoch tief bewegend war die Übergabe von 700 Briefen, welche ein französischer Kriegsgefangener in Grötzingen an seine Familie geschrieben hatte. „Ich hatte mit vielem gerechnet – aber nicht mit Dank und Anerkennung für die damalige Zeit, und nicht mit so einer würdigen Geste der Erinnerung!“
„Vielen Dank für alles, was wir gemeinsam durchlebt, erlitten, erlebt, erstritten und gefeiert haben. Ohne Euch alle, Ortschafts- und Gemeinderäte, Ortsverwaltung oder Vereine, ohne Eure Ideen, Euer Mitwirken und Mitziehen, wären viele Projekte wie Klotzbeute, Klimatag, Projekt Sonnendorf oder unser Sanierungsgebiet. nicht umgesetzt worden!“ Karen Eßrichs Dank geht auch an den Oberbürgermeister, alle Amtsleitungen und Kolleg*innen der Stadtverwaltung. Der Dank an die Kollegen und Kolleginnen der Ortsverwaltung wurde schon vor längerer Zeit gefeiert. Jetzt wendet sich Karen Eßrich neuen Aufgaben zu: „Ein besonderer Dank geht an Frau Fath und das Team des Gartenbauamtes, das mich offen aufgenommen hat. Die Arbeit für unsere „Grüne Stadt“ ist für mich nicht nur sinnvoll, sondern auch wirklich schön und ich lerne täglich dazu!“
Zum Schluss wendet sich Karen Eßrich an ihren Nachfolger: „Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihre Amtszeit. Sie haben ein großartiges Amt übernommen, mit viel Gestaltungsspielraum, engagierten Bürgern und Bürgerinnen und einem einzigartigen Stadtteilgefühl. Ich hoffe, Sie erleben, wie ich, diesen Moment, in dem man merkt: Das ist mehr als ein Amt. Das ist eine Aufgabe mit Sinn, mit Herz, mit Wirkung. Und wenn es mal hakt: Grötzingen lässt sich am besten mit Humor, Mut und Menschenliebe gestalten, das hat bei mir meistens geholfen. Wenn ich auf all das blicke, dann bleibt vor allem eines: Dankbarkeit. Für das Vertrauen. Für die Begegnungen. Für das gemeinsame Tun. Ich danke Ihnen allen! Es war mir ein Fest und eine Ehre! Grötzingen lebe hoch!
Eine sichtlich gerührte ehemalige Ortsvorsteherin erfährt vom ebenfalls gerührten Publikum stehende Ovationen.