Von Jennifer Warzecha
Den Friedhof nicht nur als Ort der Trauer oder des Gedenkens, sondern auch klar der Erinnerung begreifen - dabei hilft unter anderem das Buch „Ein Spaziergang durch den badischen Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe“. Hans-Georg Ulrichs hat Porträts über Verstorbene verfasst. Klaus Eppele hat die Fotos gemacht. Die Historikerin Simone Maria Dietz, die auch auf dem Hauptfriedhof arbeitet, gibt Einblicke in die Geschichte.
Wie ein großer Park ist der Hauptfriedhof angelegt, unterteilt in verschiedene Bereiche, nicht nur die der Kriegsgräber oder Opfer des Luftangriffs am 22. Juni 1916. Auch ein Kindergräberfeld, der Jüdisch-liberale Friedhof oder die Bezeichnung „Mein letzter Garten“ deuten auf die Funktion des Friedhofs als Grab- und Gedenkstätte hin, nicht zu vergessen von Krematorium oder Friedpark. Die „Kinderwelten“, der „Ginkgogarten“ oder gar der „Lebensgarten“ eröffnen mit den Lebensgeschichten vieler berühmten Persönlichkeiten einen neuen Blick auf den Karlsruher Hauptfriedhof.
Simone Maria Dietz hat sich unter anderem mit dem Konzept der Grabmalpatenschaften und historischen Grabzeichen, aber natürlich auch mit Architektur und Gesamtanlage beschäftigt. So habe man angesichts immer stärkerer und schneller voranschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen bereits vor 20 Jahren begonnen, neue Gestaltungskonzepte zu entwickeln. Eine solche Anlage seien die so genannten Landschaftsgärten, wie oben genannt beispielhaft dargelegt anhand der historischen Parkanlage unter dem Namen „Mein letzter Garten.“ Dietz schreibt: „Was Joseph Durm einst für den gesamten Friedhof plante, wurde hier in einem einzelnen Feld konzipiert: leicht geschwungene Wege durchziehen das Areal, von einem künstlich aufgeschütteten Hügel ergießt sich in einem kleinen Wasserfall eine Kaskade und mündet in einen Flusslauf, dessen Bett im weiteren Verlauf ausgetrocknet ist. Kleine Parzellen am Rand der Anlage mit Grabzeichen, die meist aus Sandstein geschaffen wurden, verweisen auf die Nutzung als Bestattungsstätte. Das Feld entspricht einem gesamtgärtnerischen Konzept und wird von der Genossenschaft Badischer Friedhofsgärtner gepflegt, die Angehörigen müssen bzw. können sich somit nicht mehr um die Pflege kümmern.“ Naturnah und umweltbewusst möchte man sein und habe deshalb diese Form der Bestattungsplätze mehrfach umgesetzt. Um dies noch weiter zu würdigen sowie die Vielfalt weiterhin einem stetigen Wandel anzupassen und dennoch die bestehenden Kulturen zu bewahren, habe 2021 die deutsche UNESCO Kommission Friedhöfe, damit auch den Karlsruher Hauptfriedhof, in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Schon im Eingangsbereich erlebt man nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch, wie vielseitig sowohl die Persönlichkeiten, die in ihr lebten - und natürlich noch leben, als auch die Stadt Karlsruhe selbst ist. Pfarrer, weitere wichtige Vertreter der badischen Landeskirche, aber auch Pfarrerinnen oder Menschen wie Johann Heinrich Jung-Stilling, genannt „Stilling“, der noch Johann Wolfgang von Goethe kannte, liegen hier begraben. So wird sowohl der Gang über den Hauptfriedhof, als auch das Lesen des Buches zum Einblick nicht nur in die (Lebens-) Geschichte einzelner Menschen, sondern in die Geschichte einer ganzen Stadt. Auch als öffentliches, begehbares Archiv der Zeitgeschichte lässt es sich nutzen. Absolut empfehlenswert!
Info:
Simone Maria Dietz und Hans-Georg Ulrichs: „Umringt von Fall und Wandel“ - Ein Spaziergang durch den badischen Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe. Alle Fotos stammen - soweit nicht anders vermerkt - von Klaus Eppele; Herausgeber: Ewald Freiburger und Jeff Klotz von Eckartsberg, J. S. Klotz Verlagshaus GmbH, 1. Auflage, 2023, ISBN: 978-3-949763-49-6