
Ray Bradbury hatte in den 1950ern in „Fahrenheit 451“ eine solche Welt beschrieben - eine trostlose, ohne Geschichten und Phantasie, in der die Herrschenden selbstständiges Denken durch das Verbrennen von Büchern zu ersticken versuchten. Nur 20 Jahre davor war dies keine Fiktion, sondern bittere Realität in Deutschland.
Und heute, 70 Jahre später? „Bücher schaffen Räume für Gedanken, die sonst verloren gehen könnten“ – so eine der Stimmen auf der Frankfurter Buchmesse erst im vergangenen Monat. Während dort Autorinnen und Autoren überZensur, Vielfalt und den Wert des freien Wortes diskutierten, wird Letzteres andernorts bereits wieder eingeschränkt. In den USA häufen sich sogenannte „Book Bans“: Verbote bestimmter Bücher in Schul- und Stadtbibliotheken, oft solcher, die Vielfalt thematisieren: erste Warnzeichen dafür, dass Demokratien sich in Autokratien verwandeln können. Erschreckend ist, dass sich darüber hinaus manche in sozialen Medien sogar damit brüsten, Bücher, selbst Klassiker, zu entwenden, um andere vor „unerwünschten“ Gedanken zu „schützen“.
Was auf den ersten Blick weit weg scheint, wirft jedoch auch für uns Fragen auf: Welche Rolle spielen Bibliotheken in einer offenen Gesellschaft? Und warum ist es wichtig, dass Wissen und Geschichten für alle zugänglich bleiben?
Zunächst: Wir Ebersbacher Grünen sind froh darüber, dass wir mit unserer Stadtbibliothek nach wie vor nicht nur einen Ort haben, an dem Bücher, ohne Verbote und Einschränkungen, verliehen werden. Unsere Bibliothek ist darüber hinaus Begegnungsstätte, Lernraum und „Kulturvermittlerin“: Kinder können sich in phantastische Welten begeben, (nicht nur) Heranwachsende reflektiertes, kritisches Denken schärfen und Erwachsene neue Horizonte oder neue Perspektiven entdecken. Mit Angeboten zur Leseförderung, Veranstaltungen für Familien und Schulen, digitalen Medien und persönlicher Beratung ermöglicht sie Teilhabe an Bildung und eröffnet Chancen – unabhängig von Herkunft, Alter oder Lebenssituation.
Wir haben uns daher stets für den Erhalt dieser für eine demokratische, offene und tolerante Gesellschaft essentiellen Institution in Ebersbach eingesetzt. Ihre kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung ist in den letzten Jahren sogar gewachsen. Gerade in einer Zeit, in der Wissen selektiert und Meinungen zunehmend polarisiert werden, wird eine Bibliothek zum Ort gelebter Vielfalt, zur Brückenbauerin und zur Bewahrerin des freien Worts. Sie steht für das Recht und die Möglichkeit, sich ein reflektiertes, „blasenfreies“ eigenes Urteil zu bilden – und für die Überzeugung, dass Bildung die beste Antwort auf Polarisierung und Ausgrenzung ist.
Umso erfreulicher ist es, dass seit 1. Oktober d.J. mit Jamila Hajiyeva eine engagierte neue Leiterin die Verantwortung für Stadtbibliothek und Volkshochschule übernommen hat. Wir wünschen ihr für ihre Aufgaben und Ideen viel Erfolg und freuen uns auf neue Impulse, die das Lesen, Lernen und kulturelle Miteinander in Ebersbach weiter stärken.
Im Übrigen ist es beruhigend, dass in Ebersbach das Engagement für das Lesen und damit der Vielfalt der Gedanken gleich auf mehrerenstarken Säulen ruht: der Stadtbibliothek, dem Verein „Bücher tun Gutes“, der mit großem ehrenamtlichem Einsatz ähnliche Ziele verfolgt, sowie dem örtlichen Buchhandel. Alle zusammen schaffen Räume für Literatur, Begegnung und Bildung.
Ja, wir sind überzeugt: Wo gelesen, geteilt oder erzählt wird, wächst Verständnis – und eine Stadt, die zusammenhält.
Beatrice Richter-Beck
für den Ortsverband von Bündnis 90 / Die Grünen