MLP Academics

Kommentar: Wie im Rausch

Warum Heidelberg von einer Saison geflasht sein darf! Jetzt gilt es den Schwung mitzunehmen und den Basketball-Hype in naher Zukunft zu nutzen.
Danke Saisonende
Abschied nach dem Halbfinal-Aus: Die Academics-Mannschaft bedankt sich bei ihren Fans, die den SNP dome am Dienstag gegen den FC Bayern in einen Hexenkessel verwandelt haben.Foto: Lukas Adler

Von Joachim Klaehn

Man wird noch eine ganze Weile geflasht sein von einer epischen Korbjagd, die sich die über sich hinauswachsenden Profis der MLP Academics Heidelberg und die hochdotierten Stars des FC Bayern Basketball lieferten. Das 82:94 nach Verlängerung am späten Dienstagabend des 10. Juni 2025 wird unvergesslich bleiben. Die gesamte Saison von knapp 290 Tagen kommt einem in der Retrospektive wie eine Abenteuerreise vor.

Die letzten Körner herausgeholt

Das Ende um 22.27 Uhr ist für die 4.568 Augenzeugen im SNP dome und all diejenigen, die vor dem Fernseher, Laptop, Tablet oder Handy sitzen und mitfiebern, genauso tough wie tröstlich. Die Jungs vom Neckar haben im David-Goliath-Vergleich noch einmal alles gegeben, die letzten Körner aus ihren müden Körpern und Köpfen herausgeholt und mit ihrer Rumpftruppe eine fast „unwirkliche“ Leistung aufs Parkett gezaubert.

Es gibt im Profi- und Leistungssport eine Kategorie, die sich allenfalls umschreiben lässt: Spieler bewegen sich beim Showdown nur noch im Tunnel, konzentrieren sich auf den Ausnahmezustand, die Playoffs-Serien letztlich wie etwa im Basketball darstellen – wachen auf und merken: Eine Phase ist wie im Rausch verlaufen. Der Vorhang mag gefallen sein, doch die Orgie setzt sich im Gedächtnis auf einzigartige Weise bis auf Weiteres fort.

Riesenkompliment für Jansson und Co.

Mannschaft und Trainerstab der „Akademiker“ gebührt ein riesiges Kompliment: Sie haben mit ihrem unberechenbaren, überfallartigen Stil für denkwürdige Fest-Tage und Feier-Abende im Dome gesorgt. Sie haben ihre Leidenschaft fürs gemeinsame Ziel entdeckt und das scheinbar Unmögliche gegen den haushohen Favoriten FC Bayern mit seinen Topleuten und Weltmeistern ermöglicht. Die MLP Academics als Beinahe-Bayern-Bezwinger.

Vor allem aber: Sie haben die Fanherzen über die Basketball-Community hinaus erobert, wie das in der alten Basketball-Hochburg Deutschlands noch keinem Vereinskollektiv seit dem ersten und einzigen Double des USC Heidelberg 1977 gelungen ist.

Neues Team tritt in große Fußstapfen

Vergleiche sind meist müßig, weil die Korbjagd in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts unter gänzlich anderen Voraussetzungen über die Bühne ging, doch eines lässt sich mit Sicherheit festhalten: Welche Mannschaft auf diejenige der Saison 2024/2025 auch immer folgen mag, sie tritt in große Fußstapfen. Und es wird auch gar nicht so einfach sein, diese unglaubliche Erfolgsstory aus der 59. Spielzeit adäquat im 60. Jahr des Bestehens der BBL fortzusetzen. Die Jansson-Jungs aus „Highdelberg“ hat nun jeder andere Klub der Liga auf dem Radar. „Ich glaube, die wenigsten hatten uns heute auf dem Schirm, genau dann sind wir am stärksten“, sagte Paul Zipser nach dem Overtime-Krimi und traf damit den Nagel auf den Kopf.

Wie geht’s weiter? Erst einmal mit einer schöpferischen Pause, die sich die Academics verdient haben. Denn alle Beteiligten bewegten sich seit Sommer 2024 am Limit: Die Mannschaft mit ihrer dünnen Personaldecke (Mateo Seric und Osun Osunniyi wurden beim Saisonausklang schmerzlich vermisst!), aber eben auch Trainer-, Ärzte- und Physioteam sowie die mit überschaubaren personellen Ressourcen ausgestattete Geschäftsstelle in der Bahnhofstraße 34/1.

Was macht Ryan Mikesell?

Positiv ist, dass die langen Kerle im Kern zusammenbleiben. Die meisten der Leistungsträger sind vertraglich an die MLP Academics gebunden. Was mit Kapitän Ryan Mikesell geschieht, ist derweil ungewiss. Die Nummer 33 ist mit seinen Allround-Qualitäten ein gefragter Mann – die Gerüchte verdichten sich, dass der 2,01 Meter große Profi aus St. Henry/Ohio nach seiner geplanten Hochzeit am 21. Juni zum FC Bayern Basketball wechseln wird. Mit seinem Basketball-IQ und seiner Vielseitigkeit ist Mikesell jedenfalls für Klubs aus EuroLeague-Sphären interessant.

Die MLP Academics werden in der Champions League ihre internationale Premiere feiern. Die erforderlichen Lizenzunterlagen wurden eingereicht. Das ist einerseits attraktiv, andererseits muss die gesamte Infrastruktur angepasst werden. Auf nahezu allen Ebenen besteht Handlungsbedarf. Die Kurpfälzer benötigen für das nächste Riesen-Abenteuer und das Nutzen des Hypes mehr finanzkräftige Sponsoren, mehr hochwertige Spieler und mehr personelle Power im erweiterten Umfeld.

Aufgabe und Herausforderung

Das ist Aufgabe und Herausforderung zugleich, um angesichts der sich anbahnenden Doppelbelastung unliebsame Überraschungen vermeiden zu können. Es bleibt also spannend, wie die Universitätsstädter die nächste Stufe in ihrer Entwicklung erklimmen werden …

Doch erst einmal zählt das Erreichte – der Stolz ist berechtigt. Das größte sportliche Lob - siehe beispielsweise Gordon Herbert oder Niels Giffey - bekamen die MLP Academics vom Meister aus München, der zum zweiten Mal seit seinem letzten Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2011 den Titel verteidigen kann und muss. Captain Vladimir Lucic: „Ich hasse es, ohne Titel in den Sommer zu gehen. Ich bin generell unausstehlich, wenn ich verliere.“ Alles andere als der siebte Titeltriumph wäre für die Stars des FC Bayern unverzeihlich. Dass der Branchenprimus wackelt, war ebenfalls in der Halbfinal-Serie mit den kampfeslustigen, couragierten Heidelbergern zu sehen.

Paul und „Niki“ als Identifikationsfiguren

Und das Schönste an diesem Thriller par excellence waren ja ohnehin die Auftritte zweier Lokalmatadore und Identifikationsfiguren: Paul „Paule“ Zipser hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet, Niklas „Niki“ Würzner gelang gegen den FCB der finale Beweis, dass er fürs Academics-Team in komplizierten Situationen ein wertvoller Rollenspieler sein kann.

Bravissimo!

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