Redaktion NUSSBAUM
76703 Kraichtal

Konzentrationslager Vaihingen/Enz und die Historie des Friedhofes in Neuenbürg

Eine stabile Demokratie wirkt gegen Antisemitismus Die forcierte Auswanderung der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland war lange Zeit vorrangiges...
Die Tafeln auf dem Friedhof beschreiben 27 Lebensgeschichten.
Die Tafeln auf dem Friedhof beschreiben 27 Lebensgeschichten.Foto: of

Eine stabile Demokratie wirkt gegen Antisemitismus

Die forcierte Auswanderung der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland war lange Zeit vorrangiges Ziel nationalsozialistischer Politik. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs kam die jüdische Auswanderung jedoch faktisch zum Erliegen, wird von Historikern formuliert. Je weiter sich der nationalsozialistische Machtbereich in der Folge ausdehnte, desto weniger wurden die Befürworter von „Aussiedlungsideen“. Das NS-Regime radikalisierte seine antisemitische Politik und die damit einhergehende Diskriminierung. So mussten bereits 1939 Juden ihre Rundfunkgeräte und Wertgegenstände abliefern und sich an besondere Ausgangssperren halten. Ab September 1941 mussten alle Juden in Deutschland den „Gelben Stern“ tragen. Schon kurze Zeit später begannen die Deportationen aus dem „Altreich“ in den Osten, vor allem in die Ghettos des von den Deutschen besetzten polnischen „Generalgouvernements“. Doch die Kinder sollten weiterleben können. „Welchen Schmerz es bedeutet, die eigenen Kinder in ein fremdes Land reisen zu lassen, sie in unbekannte Hände zu geben, ohne eine konkrete Hoffnung auf ein Wiedersehen, können wir, die heute hier leben, kaum erfassen“, heißt es bei den Historikern, die die Geschehnisse von damals aufarbeiten. Politiker aller Parteien sind sich einig: „Die beste Möglichkeit, dem aufkommenden Antisemitismus entgegenzuwirken, ist eine stabile Demokratie.“ Vom KZ Vaihingen/Enz waren am Ende des Krieges etwa 500 Häftlinge nach Neuenbürg transportiert worden. Das Dorf, in dem heute genauso viele Einwohner leben, wurde binnen einer Stunde vom französischen Militär geräumt und die Menschen mussten ihren Heimatort verlassen. Erst jetzt, nach Öffnung der Archive, könne man den genauen Grund erforschen, warum damals das kleine Neuenbürg ausgewählt wurde, heißt es beim Heimatverein Neuenbürg. Man wolle das schreckliche Leben der Inhaftierten, von deren Verfolgung bis zur Vernichtung, an die nächsten Generationen weitergeben. Durch die Arbeit der heute in der KZ-Gedenkstätte ehrenamtlich tätigen Menschen wolle man „die damaligen Geschehnisse im Bewusstsein der Gesellschaft“ festhalten. Am 7. April 1945 wurde das Lager durch französische Truppen befreit. Insgesamt seien dort über 1700 Häftlinge verstorben. Das Arbeitslager mit einem großen Steinbruch war zum Sterbelager geworden. Die 2001 erbaute und 2017 erweiterte Gedenkstätte Vaihingen/Enz mit dem Konzept der drei Module und eines begehbaren Denkmals wird jährlich von rund 2.000 interessierten Menschen, darunter 60 bis 70 Schulklassen aufgesucht, heißt es. Alle Informationen gibt es unter www.gedenkstaette-vaihingen.de oder unter Telefon (07042) 817751.


Geschichte des Jüdischen Friedhofs Neuenbürg

Nach der Besetzung durch französische Truppen im Jahre 1945 wurden etwa 600 typhuskranke KZ-Häftlinge aus dem KZ-Außenkommando Vaihingen an der Enz zur Genesung nach Neuenbürg gebracht. Unter ihnen waren auch zahlreiche polnische Juden. Von den in der Folgezeit verstorbenen Häftlingen wurden 28 auf dem Neuenbürger Friedhof beigesetzt. Dazu noch ein Kleinkind einer Zwangsarbeiterin. Sieben der Verstorbenen waren Juden und wurden unmittelbar dem allgemeinen Ortsfriedhof auf einem jüdischen Grabfeld beigesetzt. Das jüdische Grabfeld lag 1945 noch außerhalb des allgemeinen Friedhofs und gehörte zum Feld eines Neuenbürger Landwirts. Zunächst hatte es nur auf zwei Feldern Grabsteine gegeben. 1965 wurden durch die Gemeinde auch auf den restlichen fünf Gräbern Grabplatten aufgestellt. Daraus entstand im Wesentlichen die Anlage des jüdischen Grabfeldes in ihrer, bis heute bestehenden Form. Von den nichtjüdischen Gräbern wurden inzwischen drei aufgelöst. Die sterblichen Überreste von zwei Militärinternierten aus Italien wurden auf einem Ehrenfriedhof in München umgebettet, das Einzelgrab des Kleinkindes wurde gleichfalls aufgelöst. Im Jahre 2020 hatte man als Gemeinschaftsprojekt der Stadtverwaltung Kraichtal, des Heimatvereins Neuenbürg, des Heimat- und Museumsvereins Kraichtal, des Vereins für jüdisches Leben im Kraichgau sowie der KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz Hinweis- und Gedenktafeln an den Gräberfeldern aufgestellt. Die Tafeln in Form eines aufgeschlagenen Buches erzählen 27 Lebensgeschichten und sollen zum Innehalten, zum Gedenken und Erinnern einladen. Der aufgespaltene, abgebrochene Granitstein soll die verletzten Stellen der Betroffenen darstellen, aber auch die Einheit und das Zusammenführen. Matthias Zimmermann vom örtlichen Heimatverein Neuenbürg hatte damals von der Wichtigkeit solcher Mahnmale „als Zeichen gegen das Vergessen, gerade in der heutigen Zeit“, erinnert. Dies gilt in verstärktem Maße auch vier Jahre später.

Wer mehr Literatur über den riesigen NS-Themenkomplex lesen möchte, empfiehlt der Autor dieser Zeilen ein Buch von Dr. Eva Umlauf aus München mit dem Titel „Die Nummer auf deinem Unterarm ist so blau wie deine Augen“ (Verlag Hoffmann und Campe). Eva hat das KZ Auschwitz überlebt und schildert eindrucksvoll, berührend, unter die Haut gehend ihre Erinnerungen an diese dunkle Zeit. (hjo)

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Ausgabe 22/2024

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von Redaktion Nussbaum
29.05.2024
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