Wer in Wiesloch und Umgebung wohnt, kennt selbstverständlich die Geschichte von Bertha Benz und ihrer Autofahrt über Wiesloch. Ohne Wissen ihres Mannes Carl wollte sie mit den beiden 13 und 15 Jahre alten Söhnen die Eltern in Pforzheim besuchen.
So startete sie mit dem von ihrem Mann gebauten dreirädrigen „Motorwagen“ von der Wohnung und Werkstatt in Mannheim und musste, da ihr der Sprit ausgegangen war, in der Stadt-Apotheke in Wiesloch Halt machen, um den Wagen mit Reinigungsbenzin aufzutanken. Diese gilt seither als erste Tankstelle der Welt. Weniger bekannt ist, wie Bertha ihren Mann kennenlernte, wie das Ehepaar zusammenlebte und welchen Anteil sie an der Arbeit ihres Mannes hatte. Antworten, auch darauf, wie die Umwelt auf das für das 19. Jahrhundert recht unkonventionelle Ehepaar reagierte, findet man in dem Buch von Alexander Schwarz „Bertha Benz und die Straße der Träume“, in dem der Autor Fiktives und Biografisches zu einem unterhaltsamen Roman verknüpft hat. Er stellte es dieser Tage in der Buchhandlung Dörner der Öffentlichkeit vor, unter den Gästen die in Mannheim lebende Urenkelin Jutta Benz. Ein nachgebautes Modell der einst „fahrenden Kutsche“ konnte man im Anschluss an die Lesung vor der inzwischen geschlossenen Stadt-Apotheke besichtigen und staunend feststellen, dass es mit einer Motorleistung von 0,75 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h erreicht.
Alexander Schwarz, geboren 1964 in Stuttgart, aufgewachsen in Pforzheim, studierte Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Linguistik und Politikwissenschaften in Freiburg im Breisgau und Utrecht. Er wohnt seit 1990 in den Niederlanden, unterbrochen von einem sechsjährigen Aufenthalt in Island, und arbeitet seit über dreißig Jahren als Autor und Fotograf. Zwanzig Jahre lang verlegte er selbst Bücher, heute ist er selbstständiger Literaturagent. Auf einer Fahrt von Holland zum Klassentreffen in Pforzheim kam ihm die Idee zum Buch über Bertha Benz und ihrer für die damalige Zeit sehr ungewöhnlichen Lebensgeschichte.
Bertha wurde 1849 in Pforzheim geboren. Ihr Vater, ein zu Wohlstand gekommener Zimmermann, war stolz auf seine technisch interessierte Tochter und erlaubte ihr, die dortige höhere Töchterschule zu besuchen und ihm in der Werkstatt zu helfen. Lange Zeit war sie an Jungs nicht interessiert, das änderte sich schlagartig bei einem Ausflug nach Maulbronn, als sie am Brunnenhaus auf einen attraktiven jungen Mann mit Backenbart stieß, Carl Benz. Die beiden hatten von da an regelmäßig Kontakt und verstanden sich immer besser. Bis es zur Heirat kam, vergingen allerdings noch Jahre, eines der Hindernisse war die Religion, denn er war katholisch, in Pforzheim war man evangelisch.
Bertha unterstützte ihren Mann von Anfang an bei seinen Versuchen in der Mannheimer Werkstatt. Er arbeitete an der Konstruktion eines „Gasmotors“, zuerst zum Antrieb von Maschinen, später dann zum Antrieb eines Fahrzeugs. Schon vor der Hochzeit im Jahr 1872 ließ sich Bertha ihre Mitgift und einen Teil ihres Erbes auszahlen, um dieses Vorhaben zu finanzieren. Obwohl sich immer wieder Investoren fanden, wollte sich der Durchbruch nicht einstellen. Bertha tat als Hausfrau alles, um die auf sechs Köpfe angewachsene Familie über die Runden zu bringen. Sie war aber auch, und da unterschied sie sich ganz wesentlich von den bürgerlichen Frauen ihrer Zeit, immer interessiert an der Arbeit ihres Mannes. Aus den Erfahrungen heraus, die sie in der Werkstatt ihres Vaters gesammelt hatte, konnte sie die technischen Probleme verstehen und ihm so unter die Arme greifen.
Da ihr Mann immer noch skeptisch war und sich nicht traute, mit dem inzwischen entwickelten „Benz Motorwagen Nr. 3“ an die Öffentlichkeit zu gehen, nahm sie kurz entschlossen, die Sache selbst in die Hand. Tatsächlich war der Wagen eine überall bestaunte Sensation und sie läutete damit den bis zum heutigen Tag andauernden Siegeszug des Autos ein. Allerdings gab es auch weitere Erfinder auf diesem Gebiet, manche arbeiteten mit Benz zusammen, andere erwiesen sich als Konkurrenten.
Schwarz hat einen überaus aktuellen Roman verfasst, der nicht nur das Ringen des Erfinders um Erfolg und Anerkennung sehr anschaulich beschreibt, sondern auch die Rolle seiner Frau Bertha, die mit ihrem Engagement ihrer Zeit weit voraus war, wie Buchhändler Uwe Dörner den interessierten Zuhörern erläuterte. Schließlich traute man es damals dem weiblichen Gehirn nicht zu, so komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Außerdem war der Platz der Frau in der Gesellschaft durch strenge Regeln vorgegeben. Die Urenkelin im Publikum wies während der Lesung immer wieder auf Unterschiede zwischen dem Geschehen im Roman und der mündlichen Überlieferung in der Familie hin. In einem abschließenden Kommentar zeigte sie aber Verständnis, dass es für einen Mann nicht einfach sei, die Biografie über eine Frau zu schreiben, und dankte ihm, dass er ihre Urgroßmutter wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt habe. (aot)
Info: Alexander Schwarz, Bertha Benz und die Straße der Träume, Knaur Verlag, ISBN
978-3-426-44737-6, 17,99 Euro