Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht erinnern Sie sich noch an die Himmelsleiter in St. Lamberti in Münster, von der ich vergangenes Jahr erzählte. Und auch heute geht es gedanklich nach Münster. Wie oft haben Sie schon den Satz gesagt: „Wenn diese Steine sprechen könnten“, um damit auf die unzähligen Geschichten und historischen Ereignisse hinzuweisen, die ein bestimmter Ort im Lauf der Jahrhunderte erlebt und gesehen hat. Ja, wenn der in der Lage wäre, zu erzählen.
Man könnte sagen, dass dies seit Anfang September in Münster in Westfalen so ist: denn da spricht der St. Paulus Dom noch bis Weihnachten zu all denen, die ihn an bestimmten Abenden in der Woche aufsuchen. Und der Dom klingt dabei wie Wilhelmine Klemm, die kettenrauchende Staatsanwältin aus dem Münsteraner Tatort. Kein Wunder: die großartige Mechthild Großmann hat dem Paulus-Dom ihre Stimme geliehen.
Die gebürtige Münsteranerin hat, wie sie selbst erzählt, als Kind immer ein Blümchen zum Grab von Kardinal von Galen in den Dom bringen müssen. Wenn das ihre Mutter noch erlebt hätte, dass sie dieser Tage dem Dom sogar ihre Stimme geben darf. Mechthild Großmann leiht ihre Stimme einem Kunstprojekt, das in Deutschland seinesgleichen sucht: Luminscence. Den Anlass dafür bildet das Domjubiläum. Denn 2025 gedenken Stadt und Bistum Münster der Grundsteinlegung des heutigen Doms vor 800 Jahren.
Ob ich es noch bis Weihnachten schaffen werde nach Münster? Wohl eher nicht. Aber Freunde, die Luminiscence gesehen haben, berichteten mir vor einigen Tagen lebhaft davon, wie Licht und Klang den Dom zum Leben erwecken, wie seine reiche Geschichte derart bildgewaltig erzählt wurde.
Erwachsene seien gebannt dagesessen wie ein kleines Kind: mit großen Augen, mit offenen Ohren, mit erfülltem Herz. Der ganze Dom ist im Inneren mit Videoprojektionen ausgestrahlt. Und dazu: die fantastischen Gesänge der Dommusik, die gewaltigen Klänge der Orgel.
Wirklich: ein Fest der Sinne für das sakrale „Herzstück“ des Münsterlandes. Denn das ist der Dom für viele Münsterländer. Und die Stadt Münster heißt schließlich Münster, weil da einst ein Kloster, ein Monasterium, gegründet wurde. Der Heilige Liudger, der dieses Kloster baute, ist der Gründervater der Stadt. Und da das Münsterland nun mal eben nach Münster benannt wurde, kann ich das verstehen, dass viele in der Region verwurzelte Menschen den St. Paulus-Dom die Herzkammer des Münsterlandes nennen.
Und das Projekt verschweigt auch nicht, dass einige der Bischöfe von Münster, die über Jahrhunderte auch weltlicher Herrscher waren, sich alles andere als christlich benommen haben, wenn er in diesem Kunstprojekt zu den Menschen spricht.
Z. B. erzählt der Dom von „Bomben-Bernd“, dem Bischof, der 1657 seine eigene Stadt bombardiert hatte, um sie in die Knie zu zwingen. Dabei war Christoph Bernhard von Galen, also „Bomben-Bernd“, nicht nur ein machtbewusster Wüterich, sondern auch ein tieffrommer Mann, der z. B. aus Glaubensgründen die Hexenprozesse in seinem Bistum verboten hat.
Der Dom, sprich Mechthild Großmann, erzählt schließlich auch von einem anderen Bischof aus dem Adelsgeschlecht derer „von Galen“, vom „Löwen von Münster“: Clemens August, Graf von Galen, der sein Bistum durch die dunklen Jahre der Nazi-Herrschaft geführt hat. Er tat dies als lautstarker Widerstandskämpfer, der gegen die Euthanasie wetterte, gegen die Tötung von Menschen mit Behinderungen.
Licht und Schatten: Beides gab es in der Geschichte des ältesten Gebäudes von Münster. Licht und Schatten gibt es in der Kirche. Davon sprechen die Steine des Doms bei Luminiscence in Münster. Große Kunst wird erst groß durch das Spiel von Licht und Schatten. Gut, dass das Münsteraner Domkapitel den Auftrag für diese Kunstinstallation gegeben hat, die Licht und Schatten gleichermaßen aufzeigt und auf diese besondere Art und Weise Steine davon sprechen lässt.
Ihr Pfarrer Ronny Baier