Aufgrund großzügiger Zuwendungen von Privatpersonen und dem 2005 gegründeten Freundeskreis Rossini in Wildbad e.V. kann ausgewählten jungen Künstlerinnen und Künstlern ein Stipendium angeboten werden, das neben der Teilnahme an den Meisterklassen und deren Konzerten auch häufig Rollenangebote für Opernaufführungen beim laufenden oder bei künftigen Festivals in Bad Wildbad enthält. So hat man einige der jungen Talente auch in den Abendproduktionen sowie in der für das Kinder- und Jugendtheater einstudierten Freiluftinszenierung von Rossinis „Cenerentola“ erleben können. Entsprechend dem seit 2022 auf einen Zeitraum von zehn Tagen verdichteten Festival gab es zwei Meisterklassen mit je einem Abschlusskonzert. Geleitet wurden diese wie in den letzten Jahren von Filippo Morace und Raúl Giménez. Im ersten dieser beiden jeweils ausverkauften Konzerte präsentieren sich sieben Sängerinnen und drei Sänger der Meisterklasse von Filippo Morace in Arien und Duetten. Neu an dieser Aufführung im Königlichen Kurtheater war, dass die einzelnen Musikstücke nicht einfach zusammenhanglos aneinandergereiht, sondern von Morace fast wie eine durchgängige Geschichte zusammengesetzt wurden. Im Mittelpunkt der mit viel Beifall bedachten Darbietungen stand die Liebe und die damit verbundenen Annäherungsversuche und Gefühlsbekundungen zwischen den beiden Geschlechtern. Diese wurden von den Damen nicht immer positiv erwidert, sondern auch mal keck abgewiesen, was für meist witzige Situationen sorgte. Ein besonderer Gag waren die ins Spiel gebrachten Shopping-Tüten mit der Aufschrift „JS Fashion“ und dem Konterfei des Festspielleiters Jochen Schönleber. Die Solistinnen und Solisten wurden wieder mit großem Einfühlungsvermögen und virtuosem Spiel von Gianluca Ascheri am Klavier begleitet.
Beim zweiten Konzert wurde Polina Anikina zur diesjährigen internationalen Belcanto-Preisträgerin gekürt. Die Nachwuchssängerin ist Schülerin der Mezzosopranistin Agata Bienkowska, die beim Rossini-Festival im Jahr 1999 erstmals den Preis gewann und nach ihrer internationalen Karriere am Konservatorium in Pesaro eine Gesangsklasse leitet. Anikina begeisterte beim diesjährigen Festival in der Titelpartie von Rossinis „L'italiana in Algeri“ im Königlichen Kurtheater das Publikum mit ihrem kraftvollen Mezzosopran und ihrem komödiantischen Spiel. Daneben sprang die in Russland aufgewachsene Solistin auch noch bei dem Ersatzkonzert für „Die zwei Gesichter des Gilbert-Louis Duprez“ mit der Auftrittskavatine des Tancredi und als Rosina in Rossinis „Barbiere di Siviglia“ ein. Mit Tancredis berühmten „Di tanti palpiti“ bereicherte sie zudem bereits am 22. Juli mit weiteren Stipendiaten das Serenadenkonzert auf der Hängebrücke „Wildline“. An diesem Vormittag gab sie zum Ende des Konzertes die große Arie der Leonora aus Donizettis „La favorita“, "Oh mio Fernando!", zum Besten. Dabei punktete sie mit virtuosen Koloraturen und dramatischen Höhen. Wie im vergangenen Jahr wurde der Internationale Belcanto-Preis erneut geteilt, weil es laut Schönleber mit Dogukan Özkan einen weiteren Kandidaten gab, der die Auszeichnung genauso verdient hat. Auch er hat wie Anikina bereits in diesem Jahr beim Festival sein Rollen-Debüt gegeben. In der Partie des Mustafà glänzte er in Rossinis „L'italiana in Algeri“ mit großartiger Komik und flexiblem, dunklem Bass. Zudem sprang er im „Ersatzkonzert“ mit ein. Im Kurtheater präsentierte er die Arie des Assur aus Rossinis „Semiramide“ mit großer Hingabe. Neben dem Internationalen Belcanto-Preis wird auch seit einigen Jahren ein nicht dotierter Publikumspreis vergeben, der laut Schönleber am Applaus für die einzelnen Beiträge gemessen wird. Dies sei auch in diesem Jahr aufgrund des einheitlich hohen Niveaus der beiden Meisterklassen kein leichtes Unterfangen gewesen, gestand der Intendant. Am Ende konnte sich die Sopranistin Sabrina Sanza über die Auszeichnung freuen. Sie glänzte im ersten Konzert mit den herzberührenden Kantilenen der Amina in Bellinis „La sonnambula“ und eine Woche später in der Arie der Fanny aus Rossinis „La cambiale di matrimonio“ mit mühelos gemeisterten, brillanten Höhen und großartigen Koloraturen.
Doch auch ansonsten hielt das zweite Konzert mit den neun Teilnehmerinnen und sechs Teilnehmern der Meisterklasse von Raúl Giménez, der dem Festival seit 2003 eng verbunden ist, einige Überraschungen bereit. Er schlug mit seinen Teilnehmern einen Bogen von geistlichem zu weltlichem Belcanto. Diese brachten in der ersten Hälfte Auszüge aus Rossinis liturgischen Werken zu Gehör, zunächst aus der „Petite messe solennelle“ das sehr schön gestaltete Duett "Qui tollis peccata mundi". Danach folgten fünf Auszüge aus Rossinis „Stabat mater“, die mit der gemeinsam gesungenen Chorarie "Inflammatus et accensus" einen fulminanten Abschluss erfuhren. Im zweiten Teil des Konzertes präsentierten sich die Stipendiaten jeweils mit einem Belcanto-Stück aus Opern von Mozart, Donizetti, Bellini und Rossini, welches sie in der Meisterklasse mit Giménez erarbeitet hatten. Zum Abschluss wurde es dann wieder geistlich mit dem neunten Satz aus Rossinis „Stabat mater“. A cappella gelang den Sängerinnen und Sängern ein eindrucksvolles "Quando corpus morietur". Gianluca Ascheri und Andrés Jesús Gallucci gestalteten abwechselnd am Klavier den passenden Klangteppich für die rundum gelungenen und mit viel Beifall bedachten Interpretationen und setzten dabei immer wieder effektvolle Akzente zur Betonung der jeweiligen Stimmungen. (kf)