Ein Bericht in vier Teilen
Teil 3:
Der Zug des Württemberger Haufens durch das Herzogtum
Am Morgen des Ostersonntags (16. April 1525) musste nun das Großbottwarer Landesaufgebot (Kontingent) unter Führung des Matern Feuerbacher zur Neckarstadt Lauffen ausrücken, um sich dort dem Landesangebot der Stuttgarter Regierung anzuschließen. Am Karfreitag war aber schon vom Weinsberger Haufen ein Schreiben in Großbottwar eingetroffen, das die Großbottwarer Bauern aufforderte, sich den Weinsberger Aufständischen anzuschließen, und nicht nach Lauffen zu ziehen, sondern auf den Wunnenstein. Die Großbottwarer sollten also einen Seitenwechsel von der Regierungsseite zu den Aufständischen vornehmen. Vom Wunnenstein wollte man dann die Orte der Umgebung zum Zuzug (Anschluss) auf den Berg auffordern. Matern Feuerbachen, der zur Ehrbarkeit der württembergischen Amtsstadt gehörte und sich der Obrigkeit gegenüber immer loyal verhielt (auch schon beim Aufstand des armen Konrad, 1514) war aber gegen den Seitenwechsel. Nach dem Erhalt der Nachricht von der Weinsberger Bluttat zogen nun am Abend rund 200 Großbottwarer ohne ihren Anführer Matern Feuerbacher auf den Wunnenstein, dabei hatten sie Fahne, Pfeifen und Trommeln, aber auch Harnisch und Waffen. Dort fanden sich auch bald Gleichgesinnte aus den Nachbarorten ein.
So zogen auch viele bewaffnete Bauern aus Ilsfeld mit auf den Wunnenstein, von denen ca. 30 Mann den Bauernkrieg überleben sollten. So hatte sich also am Ostersonntag der Wunnensteiner Haufen gebildet.
Feuerbacher hingegen beriet sich noch am Abend und in der Nacht mit dem befreundeten Adel, der ihm riet, in mäßigender Weise den Hauptmannsposten anzunehmen.
Ostermontag, 17. April: Am Morgen des Ostermontags ließen sich die Aufständischen in der alten Michaelskirche auf dem Wunnenstein die Messe lesen. Dem Pfarrer Wilhelm Helber aus Winzerhausen, dem Ort unterhalb des Wunnensteins, wurde versprochen, dass ihm nichts passieren werde. Auch Matern Feuerbacher kam auf den Wunnenstein und forderte die Aufständischen auf, nach Hause zu gehen, denn sie würden keinen Erfolg haben. Davon wollten diese jedoch nichts wissen und drohten, sich dem radikalen Weinsberger Haufen anzuschließen. Nach langem Wortwechsel nahm Feuerbacher die Wahl zum Hauptmann der Bauern des Bottwartals an, denn er wollte den radikalen Jäcklein Rohrbach von Württemberg fernhalten
Der „Helle Haufen“, wie sich die Aufständischen jetzt nannten (später „Heller Christlicher Haufen“), gab sich auch eine erste militärische Organisation, die den Bauern schon von regelmäßigen Musterungen und von den Landsknechten bekannt war. Diese anderen Ämter eines Heeres bzw. (Landsknechts-)Haufens, die noch vergeben wurden, waren weitere Hauptleute, Weibel, Trabanten, Steckenknechte u. a. Vom Wunnenstein wurden sofort Aufforderungen zu den umliegenden Ortschaften gesandt, um neue Anhänger zu rekrutieren. Diese Aufforderungen waren sehr gemäßigt und nicht mit der Radikalität anderer Haufen zu vergleichen. So kamen ebenfalls Bauern aus Oberstenfeld und Gronau auf den Wunnenstein. Auch Beilsteiner Bauern versorgten sich mit Brot und Wein aus den herrschaftlichen Vorräten im „Kasten“ und zogen auf den Wunnenstein. Der neue Bauernführer strebte sofort auch die Verständigung mit der Obrigkeit an. Er setzte Verhandlungen mit Landtagsvertretern an, denn der Landtag (Landschaft) tagte gerade in Stuttgart. Dieser wollte natürlich wissen, was die Versammlung auf dem Berg im Bottwartal vorhabe. Am selben Tag bat auch die Witwe des Dietrich von Weiler in flehentlichen Briefen um den Schutz des Bauernhauptmanns. Dieser kam der Bitte nach und legte eine Besatzung auf die Burg Lichtenberg. Diese Schutztruppe unter den Beilsteinern Lienhard Scherer und Marx Bychel hat sich dort nicht gut benommen und drohte, die Burg abzubrennen. Darüber beklagte sich Barbara von Weiler bei Feuerbacher. Sie bat um einen Schutzbrief, der ihr auch ausgestellt wurde, und Scherer und Bychel wurden verwarnt.
18. April (Dienstag nach Ostern):
Eine Gesandtschaft des Stuttgarter Landtags kam zur Mittagszeit auf den Wunnenstein, die durch Verhandlungen die Bauern hinhalten wollte. Feuerbacher erklärte den Stuttgartern, man wolle die brutalen „ausländischen“ fränkischen Bauernhaufen von Württemberg fernhalten. Auch vier Beschwerden bzw. Forderungen teilte der Bauernhauptmann den Landtagsabgeordneten mit, nämlich die Forderung nach Recht und Gerechtigkeit für alle, dass das Evangelium gepredigt werden solle, dass die besonderen Beschwerden eines jeden Fleckens erhoben werden und die „Zwölf Artikel“ der Bauernschaft (von Memmingen) abgenommen werden sollen. Diese forderten die freie Pfarrerwahl (1), die Abschaffung des Kleinzehnten, kirchliche oder gemeinnützige Verwendung der Großzehnten (2), die Aufhebung der Leibeigenschaft (3), die freie Jagd und Fischerei in Wald und Gewässern (4), die Rückgabe der Wälder zur Nutzung für alle (5), die Reduzierung der Frondienste (6), Einhaltung bestehender mündlicher Besitzbedingungen (7), Neufestsetzung der Abgaben an den Grundherren (8), feste statt willkürlicher Strafen (9), Rückgabe der Allmenden (Gemeindebesitz) (10) und Abschaffung des Todfalls (Abgabe beim Tod eines Bauern oder einer Bäuerin) (11). Der 12. Artikel erklärt die grundsätzliche Bereitschaft, auf alle Forderungen zu verzichten, die dem Wort Gottes nicht gemäß sind.
In der Nacht zum 19. April rückte der Bauernhaufen ab und begann seinen (Protest-)Zug durch Württemberg, bei dem den Aufrührern dann Dorf um Dorf, Stadt um Stadt und Amt um Amt zufallen sollten; zuerst freiwillig, später auch durch Drohungen und Zwang.
Über Ottmarsheim ging es nach Gemmrigheim, wo es schon bald etwa 3.000 Bauern waren. Dort musste der Pfarrer geschützt werden, weshalb das Hauptquartier ins Pfarrhaus gelegt wurde. Um die alte Kirche herum gaben sich alsbald viele Bauern dem Weingenuss hin. Die Stuttgarter Delegation kam nun hierher und schlug einen Landtag in Marbach vor. Feuerbacher lehnte aber ab, denn aus eigener Erfahrung war er der Meinung, dass schon viele Landtage nichts gebracht hätten. Er versprach der Delegation aber, ihr am nächsten Tag die Forderungen der Bauern schriftlich zu übergeben.
Unter Zuzug aus zahlreichen Orten ging es nun neckarabwärts in Richtung Lauffen. Jetzt gab es Gefahr für die Schlösser Liebenstein (bei Neckarwestheim) und Hohenstein (bei Kirchheim am Neckar) durch den radikalen Flügel der Bauern. Feuerbacher konnte sich durchsetzen, aber viele radikale Aufständische murrten und der Bauernhauptmann wurde wegen zu großer Weichheit abgesetzt.
Donnerstag, 18. April:
An Neckarwestheim vorbei ging es nach Lauffen, der württembergischen Amtsstadt am Neckar.
Die Lauffener hatten ja schon früher aus Stuttgart Hilfe erbeten, die jedoch nicht gekommen war, da sich die Regierung nicht mehr in Stuttgart aufgehalten hatte. Sie befand sich ja in Tübingen. Damals schrieben die Lauffener, dass der „gemeine Mann“ gänzlich aus dem Gleichgewicht gerate und der Bauernhaufen beim Kloster Schöntal sich ständig vergrößere. Dort sollen schon zehn- bis zwölftausend Bauern versammelt sein. Diese sollten beabsichtigen, gleicherweise nach Lauffen zu kommen, um das Prämonstratenserinnen-Kloster heimzusuchen. Da die Amtsstadt aus Stuttgart keine Hilfe erhalten hatte, traten die Lauffener jetzt auch auf die Seite der Bauern. Das Kloster wurde aber trotzdem noch geplündert und stark zerstört.
Die Abgeordneten aus Stuttgart kamen letztmalig, aber Feuerbacher machte ihnen vor den Toren Lauffens klar, dass er abgesetzt worden sei und nicht mehr verhandeln dürfe. Erfolglos brach die Delegation wieder nach Stuttgart auf. Der Württemberger Haufen beriet sich in Lauffen, aber kein besserer Führer wurde gefunden, somit wurde dem Abgesetzten wieder die Hauptmannschaft übertragen.
Es gab einen neuen Zuzug, der Zabergäuer Haufen unter Hans Wunderer schloss sich dem Württemberger Haufen an. Der radikale Wunderer hatte schon das Deutschordensschloss auf dem zu Brackenheim gehörenden Stocksberg geplündert und in Brand gesteckt. Er wurde sogar zum zweiten Hauptmann des Gesamthaufens gewählt.
Auch der von Weinsberg her berüchtigte Böckinger Bauer, Jäcklein Rohrbach, der noch weitere Plünderungen und Brandschatzungen begangen hatte, schloss sich mit 200 Heilbronnern den Württembergern an. Dies gefiel dem Großbottwarer Bauernführer natürlich überhaupt nicht. Und von nun an entschied auch der ganze Haufen als Bauernrat mit Stimmenmehrheit. Dieser war jetzt das entscheidende, demokratisch gewählte Organ der Aufständischen. Feuerbacher wurde mehrmals überstimmt und musste somit manches ausführen, was er nicht wollte. Er hatte ja den Württembergern den Stempel der Mäßigung aufgesetzt. Aber Raub und Mord ließ er nicht zu. Für die von den Bauern bedrohten Edelleute stellte er Schutzbriefe aus, was den radikalen Mitstreitern gar nicht gefiel. So konnte der Großbottwarer aber großes Unrecht vermeiden.
Am 22. April, das Württemberger Bauernheer war inzwischen auf rund 8.000 Mann angewachsen, zog man neckaraufwärts über Besigheim und Bietigheim weiter, jetzt auf der anderen Neckarseite.
Nun ging es auf die Landeshauptstadt Stuttgart zu. Da aber die Regierung und die Hofbeamten auf die Festung Hohentübingen geflohen waren, musste die Stadt die Kriegsgefahr selbständig lösen. Stuttgart wollte wie schon immer verhandeln und die Bauern hinhalten, bis Hilfe vom Schwäbischen Bund (Bündnis verschiedener Reichsstädte und Territorien) käme. Die Stadt bildete einen Gemeindeausschuss, zu dem auch der namhafte Künstler und sozialkritische Maler Jörg Ratgeb (geboren als Jörgen Schürz) gehörte.
Dessen Frau war Leibeigene des Herzogs Ulrich, was die gesellschaftlichen Möglichkeiten des Malers mit humanistischer Bildung einschränkte. Auch war er Mitglied der Gesandtschaft Stuttgarter Bürger, die mit den Bauern verhandeln sollte. Beim Zusammentreffen der Bauernhauptleute mit der Stuttgarter Delegation (mit Theus Gerber, Martin Nüttel und Jörg Ratgeb) gab es abermals keine Einigung. Den Bauern wurde eine Wiese in der Nähe des Vororts Berg zugewiesen. Jedoch brach da ein fürchterliches Unwetter mit strömendem Regen und Hagelkörnern aus, das alle Planungen über den Haufen warf. Die durchnässten Bauern stürmten in die Stadt und suchten dort Quartier. So wurde letztendlich Stuttgart doch besetzt, was dem Bauernheer nicht schwerfiel, da alle Verteidigungspläne durch Jörg Ratgeb verraten worden waren. Er hatte sich nämlich jetzt der Bauernsache verschrieben. Wegen Verrats sollte er später grausam hingerichtet werden. Er stieg binnen weniger Tage zum Bauernkanzler und Siegelbewahrer auf. An diesem hochgeschätzten Maler sieht man, dass nicht nur Bauern Träger des Aufstandes waren. Auch standen Bürger, Handwerker. Kaufleute. Priester und Edelleute auf der Seite des „gemeinen Mannes“. Ratgebs verdeckte Kritik an den herrschenden Zuständen ist an einer Tafel des Herrenberger Altars (Staatsgalerie Stuttgart) zu entdecken, wo er bei der Auferstehung Jesu das von den Herren gegen die einfachen Menschen eingesetzte Landsknechtswesen darstellt. Die Landeshauptstadt wurde zwar ohne Aufwand eingenommen, aber für die Aufständischen war es hier ernüchternd. Die Regierung, mit der man verhandeln und mit der man ein erfolgreiches Arrangement aushandeln wollte, war längst ausgewichen und traf ihre Entscheidungen von den militärisch gesicherten Festungen Hohentübingen und Hohenneuffen. Der württembergische Haufen bildete jetzt ein Heer von ca. 12000 Mann.
Hans-Wolfgang Bock
Fortsetzung in Teil 4