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Hochzeitsfoto mit Rita Halter, Pfingsten 1955
Hochzeitsfoto mit Rita Halter, Pfingsten 1955Foto: Cosma Unterforsthuber

Menschen … die Spuren hinterlassen haben

Johann Schimpl – ein Rückblick auf das bewegte Leben meines Großvaters

Johann Schimpl ist noch vielen Rutesheimern, insbesondere Heuweglern und Kleintierzüchtern, bekannt.

Er wurde am 10. Dezember 1925 in Elek (Ungarn) als János Schimpel geboren. Bis zu seinem Schulbeginn wuchs er auf dem landwirtschaftlichen Anwesen seiner Großeltern in Elek auf. Sie hatten damals einen großen Tierbestand. Ein erstes Hobby war es, mit seinem Großvater zu rechnen. Bei Schulbeginn konnte er so schon Rechenaufgaben bis 2.000 lösen. Die Elementarschule schloss er 1938 so als Bester ab, 1940 kam der Realschulabschluss. Sein Vater wollte, dass er in der Landwirtschaft weiterarbeitet und später den Hof übernimmt. Er wehrte sich dagegen und lernte von 1940-1943 den Beruf des Steinmetzes.

1944 wurden alle Deutschen in Ungarn zwangsgemustert und in die Hitler-Wehrmacht eingezogen. Eine russische Truppe zerschlug im November 1944 seine Einheit. Er kam in Gefangenschaft, hier gelang ihm jedoch die Flucht zurück nach Elek.

Im Januar 1945 verschleppten die Sowjets alle deutschen Frauen im Alter von 16,5 – 35 Jahren und Männer von 17,5 – 45 Jahren zur Zwangsarbeit nach Russland – so auch ihn. 1947 sollte er entlassen werden, seine Angehörigen wurden bereits nach Deutschland vertrieben. Dann wurde festgestellt, dass er SS-Angehöriger war (tätowierte Blutgruppe unter dem Arm) und er kam erneut in ein Lager. Im Juli 1948 folgte ein Internierungslager in Dnepropetrovsk in der Ukraine, anschließend ein SS-Kriegsgefangenenlager. Im Frühjahr 1950 kam er nach Kiew, im Dezember wieder nach Ungarn. 1.300 Ungarn-Deutsche wollten entlassen werden, es erfolgte jedoch erneut eine Musterung zur Zwangsarbeit in einem Schweigelager – ohne Kontakt zu Angehörigen. Im Oktober 1953 war die Spannung so groß, dass es zu einem Aufstand im Lager kam. Die Folgen: 5 Tote und 36 Schwerverletzte. Im November begannen dann doch die Entlassungen und Transporte sowohl in die BRD als auch in die DDR. Der letzte Transport war am 3. Dezember 1953 mit 400 Personen an die österreichisch-ungarische Grenze bei Bruck an der Leitha. Von dort ging es mit österreichischen Bussen nach Piding bei Bad Reichenhall. Am 8. Dezember folgte die Ankunft in Stuttgart. Johann erhielt eine Zuzugsgenehmigung nach Kornwestheim. Nach neun Jahren traf er das erste Mal seine Mutter wieder.

Die gesundheitlichen Folgen dieser entbehrungsreichen Lagerjahre hatten ihre Folgen: Extrem hoher Bluthochdruck, degenerative Wirbelsäulenveränderung und Veränderung beider Kniegelenke, chronische Bronchitis, Durchblutungsstörungen, Leberschäden, Herz- und Kreislaufstörung, Einnahme von 18 Medikamenten am Tag.

Noch 1953 traf er in Wiesenbach seine spätere Frau Rita – beide saßen zufällig bei einem Verlobungsfest nebeneinander. Es folgte ein ständiger Briefwechsel. Dank eines Spätheimkehrer-Rabatts von 25 % konnten auch Fahrkarten billiger erworben werden. Mit dem ersten Ersparten kaufte sich Johann für die Fahrten zu seiner Braut ein Motorrad. So begann eine gute Zeit. 1954 fand seine Mutter im Rutesheimer Heuweg einen Bauplatz, im Frühjahr 1955 war der Bauplan fertig und die Finanzierung abgesichert. An Pfingsten 1955 heirateten meine Großeltern Rita und Johann und am Gründonnerstag 1956 folgte der Einzug ins neue Heim im Heuweg. Viel Eigenarbeit am Haus war dabei angesagt, der Garten wurde angelegt, ein Kleintierstall gebaut, Bäume gepflanzt. Das Obergeschoss konnte vermietet werden.

Von 1954 bis 1960 war mein Großvater zunächst bei verschiedenen Betrieben im Großraum Stuttgart beschäftigt. 1960 ließ er sich in Leonberg an einer privaten Handelsschule zum Buchhalter weiterbilden. Von 1960 bis 1986 arbeitete er bei der Standard Elektrik Lorenz AG in Stuttgart.

1976 vergrößerte sich die Familie, die Tochter Tanja Bernadette kam dazu. Seine Einbürgerungsurkunde erhielt er erst 1977.

Eine große Leidenschaft meines Großvaters Johann war die Kleintierzucht mit Rassegeflügel, Tauben und Kaninchen. 1965 trat er in den Rutesheimer Kleintierzüchterverein ein und war von da an eine feste Größe im Verein. Zunächst diente die Kleintierzucht vor allem als Erwerbs- und Nahrungsquelle. In der Folge wurde es mehr und mehr zum reinen Hobby. Von 1978 bis 1990 wirkte Johann – oder auch Hans genannt – als 1. Vorsitzender im Verein. 1996/97 wurde unter seiner maßgeblichen Beteiligung das Vereinsheim Im Bonholz errichtet. Auch bei der Planung der Zuchtanlage und Ausstellungshalle auf dem Gelände, die bis heute noch so bestehen, engagierte er sich mit hohem Einsatz. Viele Male wurde er mit seiner Zucht Vereins- und Kreismeister, unzählige Ehrennadeln in Silber und Gold und weitere Preise folgten.

Am 7. Dezember 2007 verstarb mein Großvater kurz vor seinem 82. Geburtstag.

In jungen Jahren erlebte er eine schwere Lebensphase, die ihn in seinem weiteren Leben beeinträchtigte und zugleich prägte. Es folgte eine glückliche und erfüllte Zeit, sowohl im Beruf, in der Familie und seiner neuen Heimat Rutesheim.

Gerne erinnere ich mich an meinen Großvater Johann.

Cosma Unterforsthuber

Erscheinung
Stadtnachrichten – Amtsblatt der Stadt Rutesheim
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Ausgabe 24/2025
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