
Die Art solcher Termine waren für Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seiner 15-jährigen Regierungszeit eher selten. Und gerade deshalb war er beim Besuch der Maria-Sibylla-Merian-Grundschule am vergangenen Freitag umso entspannter und den Kindern zugewandt. Anlass war der bundesweite Vorlesetag, der seit 2004 durchgeführt wird und Kinder sowie auch Erwachsene zum Lesen animieren soll.
Die Bläserklasse (unter der Leitung von Simone Uhlig) und der Schulchor (unter der Leitung von Claudia Strobel) begrüßten den Regierungschef aus Baden-Württemberg mit „Freude schöner Götterfunken“ aus der Feder von Friedrich Schiller.
Die beiden Musikpädagoginnen hatten den Text jedoch in die heutige Zeit und kindgerechter umgetextet, was Winfried Kretschmann sehr gefiel: „Freue dich über alles Neue, das du lernst hier Tage für Tag. Hier bis du gut aufgehoben, ganz egal, was kommen mag …“.
Der Regierungschef war schwer beeindruckt vom Gesang und der Musik. Auch Schulleiterin Simone Starke hatte nur lobende Worte für die Schülerschar und „deren perfekte Darbietung, die zeigt, was wir hier alles zu bieten haben“.
Der Ministerpräsident wählte für den Vorlesetag das Buch „Deckel drauf und aufbewahrt - wie Frida ihre schönsten Erinnerungen bewahren wollte“ von Vera Brosgol. Von einer Bildpräsentation unterstützt las Kretschmann die Geschichte der kleinen Frida, die alles, was sie gerne hat und liebt, in Glasbehältern aufbewahren möchte.
Zuerst die Heidelbeermarmelade, dann den Regenbogen mit dem Einhorn, die Wolken, ihren Freund Paul und auch ihre Oma verstaut sie im Glas. Doch dann merkt sie, dass niemand mehr da ist, mit dem sie spielen oder sich unterhalten kann.
Winfried Kretschmann forderte die Kinder auf, ihm Antworten zur Geschichte von Frieda zu geben. Die Kinder fanden bald die richtigen Antworten. „Es sei schwer alles zu verpacken, denn dann fehle das Wichtige im Leben, aber nicht die Erinnerungen.“
So schmeckte Frida wieder die Blaubeeren auf ihrem Toastbrot und verband damit Erinnerungen an den Sommer und auch die Oma wurde wieder aus dem Glas geholt. Ein Mädchen formulierte es sehr schön: „Man schließt die Erinnerungen fest ins Herz ein.“
Nach dem Vortrag durften die Kinder Fragen an den Ministerpräsidenten stellen und so erfuhren sie, dass er drei Geschwister, drei Kinder, zwei Enkel hat, er 77 Jahre alt ist und seine Frau Gerlinde heißt, mit der er seit 50 Jahren verheiratet hat.
Die Frage nach seinem eigentlichen Berufswunsch beantwortete Winfried Kretschmann schmunzelnd mit „Stromer“: „Denn als ich die Männer auf den Stromkasten sah, wollte ich das auch machen.“ Auch Pfarrer stand auf seiner Berufsliste, doch die Erfüllung fand er als Lehrer, in dieser Zeit engagierte er sich bereits politisch.
Gefragt nach seiner schwierigsten Entscheidung, musste er nicht lange überlegen – es war der Volksentscheid zu Stuttgart 21. „Diesen Tiefbahnhof wollte ich auf gar keinen Fall, doch nach der Volksabstimmung musste ich das Bauprojekt durchziehen.“
Die glücklichste Entscheidung in seiner politischen Laufbahn sah er darin, „dass er Frauen und ihre Kinder, die in ihrem Heimatland schlecht behandelt wurden, aus der Hölle geholt habe und ihnen hier in Deutschland eine neue Perspektive gegeben hat.“
Die Frage nach seinem Nachfolger bei den kommenden Landtagswahlen im Frühjahr wurde sehr diplomatisch beantwortet: „Ich bin Ministerpräsident und kein König. Meinen Nachfolger wählen eure Eltern. Aber ich würde mich schon freuen, wenn er aus meiner Partei kommen würde.“
Zum Ende der Gesprächsrunde überraschte Winfried Kretschmann, in dem er ihnen sagte, dass Lesen zu seinen größten Hobbys zähle und er in seiner künftigen neu gewonnenen Freizeit Romane lesen möchte. „Ich muss heute zwar auch sehr viel lesen, aber das gefällt mir nicht immer.“
Und auch Wandern in der Natur möchte er wieder mehr, aber vor allem möchte er mit seinen beiden Enkelkindern viel Zeit verbringen und ihnen dann natürlich auch vorlesen.


