Einst war er fester Bestandteil des Wieslocher Frühsommers: der Nachbarschaftstag. In vielen Straßen traf man sich am dritten Juni-Wochenende zu Kaffee, Kuchen, Spielen und Gesprächen. Manche Straßen wurden für den Verkehr gesperrt, Tische und Bänke standen auf dem Asphalt, Kinder spielten auf selbstgemalten Straßenkreidefeldern, und die Erwachsenen nutzten die Gelegenheit zum Austausch. Das Nachbarschaftsfest entstand in Wiesloch Ende der 1990er Jahre.
Die Idee war, das Miteinander zu stärken – ganz ohne großen organisatorischen Aufwand. Urheber der Idee war der „Club of Wiesloch“, in dem bekannte Wieslocher Persönlichkeiten wie der damalige OB Gustav Bylow und der evangelische Pfarrer Engelsberger zusammenkamen. Die Stadt Wiesloch unterstützte das Vorhaben über viele Jahre durch Hinweise, Terminankündigungen und einfache Genehmigungsverfahren für Straßensperrungen.
Fragt man in Wiesloch und den Ortsteilen nach Plänen für den Nachbarschaftstag, hört man immer wieder Sätze wie „Früher war das mal eine große Sache, aber heute ist da nichts mehr“. Spontan können die Wieslocher meist verschiedene Adressen nennen, an denen in der Vergangenheit groß gefeiert wurde. Vereinzelt wird das Fest innerhalb einer Nachbarschaft auch zu einem anderen Termin, außerhalb der Pfingstferien, begangen. So war es ein eher ruhiger Sonntag in Wiesloch. Bei durchwachsenem Wetter plätscherten die Springbrunnen im fast leeren Gerbersruhpark, auch im Freibad war eher wenig los. Der ein oder andere schlenderte durch die Fußgängerzone und gönnte sich ein Eis.
Eine der wenigen, die noch dabei sind, ist eine Nachbarschaft in Frauenweiler. Der frühere Oberbürgermeister von Wiesloch, Franz Schaidhammer, ist mit seiner Familie seit Beginn aktiv am Nachbarschaftstag beteiligt. Als sich die Anlieger eines Wendehammers in Frauenweiler zum ersten Mal trafen, waren nur die Kinder dabei, heute sind es auch die Enkel. Jeder bringt Essen und Getränke mit, die mit allen geteilt werden. Jeder bringt sein Geschirr mit und setzt sich an die Bierbänke, die unter dem freigeräumten Carport eine lange Tafel bilden. Für Schaidhammer und seine Nachbarn hat die Initiative viel gebracht. Seit dem ersten Fest sind alle in der Nachbarschaft per Du. Man kennt sich besser, hilft viel untereinander aus und achtet viel mehr aufeinander. So werden zum Beispiel Haustiere während Abwesenheiten versorgt und versehentlich offengelassene Dachfenster vor einem Gewitter geschlossen.
Doch auch in Schatthausen wurde der Nachbarschaftstag zelebriert, wie Ortsvorsteher Patrick Schulz der WieWo mitteilte.
„Bekannt war mir ein Fest in der Straße 'Im Brühl'. Hierzu war auch ich als Ortsvorsteher eingeladen. Der Einladung bin ich natürlich gerne gefolgt. Das Fest bezieht sich auf die Nachbarschaft des 'unteren Brühls', so wird der untere Bereich der Straße von den AnwohnerInnen genannt, da die Straße 'Im Brühl' von einer Kreuzung etwas geteilt wird“, so Schulz.
Warum machen heute so wenige mit? Die Gründe scheinen vielfältig. Der Nachbarschaftssonntag liegt oft in den Pfingstferien, viele Familien sind verreist. Zudem haben sich Lebensstile verändert: Wochenenden sind stärker verplant, und manche fühlen sich in ihrer Nachbarschaft nicht mehr so verbunden wie früher. Schaidhammer vermutet die Corona-Zeit mit ihren Lockdowns als Auslöser. Andere sehen die Hochzeiten des Nachbarschaftstages noch viel weiter in der Vergangenheit.
„Der Nachbarschaftstag ist eine Einladung, innezuhalten und zu sehen, wer nebenan wohnt. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen anonym nebeneinander leben, ist das Miteinander wichtiger denn je“, lud OB Dirk Elkemann die Bevölkerung zum Mitmachen ein. Das Nachbarschaftsfest war einmal ein Ausdruck gelebter Gemeinschaft. Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich zu fragen: Wie möchten wir in Zukunft zusammenleben? Und braucht es dazu wirklich so viel Aufwand – oder nur einen Tisch, ein paar Stühle und die Bereitschaft, ins Gespräch zu kommen?