Bei Rottenburg öffnet sich das enge Neckartal in Richtung Tübingen zu einer breiten Ebene. In dieser weiträumig offenen und strukturreichen Feldflur liegen die Verbreitungszentren mehrerer Vogelarten des Offenlandes, wie Feldlerche, Grauammer und Rebhuhn. Dort ist der Anteil an ökologisch bewirtschafteten Äckern besonders hoch. Dennoch sind die genannten Feldvögel auch hier aus unterschiedlichen Gründen stark bedroht.
Für den Ökolandbau ist der Luzerne- und Kleegrasanbau u.a. in Hinblick auf die Beikrautunterdrückung und Stickstoffbindung im Boden ein wertvolles Glied in einer vielfältigen Fruchtfolge. Bedauerlicherweise birgt aber gerade diese Kultur zusätzliche Risiken für den Reproduktionserfolg gefährdeter Feldvögel. Für bodenbrütende Feldvögel bieten Luzerne- und Kleegrasäcker aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften hochattraktive Brutstandorte und laden somit zum Nestbau ein. Diese Konzentration von Bruten bringt aufgrund häufiger Bearbeitungsgänge (Ernte oder Mulchen) in der regulären Bewirtschaftung jedoch unweigerlich hohe Brutverluste von ca. 70 % mit sich. Derartige Verlustraten sind für die fragilen Bestände von Feldlerche, Grauammer und Rebhuhn auch im Neckartal und angrenzenden Gebieten höchst problematisch.
Im Kooperationsprojekt „Kleegras und Luzerne im Ökolandbau: Maßnahmen zur Vereinbarkeit mit dem Schutz gefährdeter Feldvögel“ (KLeVer) haben daher Landwirtschaft und Forschung gemeinsam neue Schutzmaßnahmen für Feldvögel im Luzerne- und Kleegrasanbau erprobt, die helfen sollen, diese „Falleneffekte“ zu reduzieren. Aufwendige Freilandversuche haben erste Erkenntnisse erbracht, die knapp 40 interessierten Gästen am Freitag, dem 11. Oktober 2024, im Landratsamt Tübingen vorgestellt wurden.
Dabei ging es u.a. um die Wirksamkeit von über- oder zweijährigen Schutzstreifen mit einer Breite von mindestens 20 Metern, veränderte Schnitthöhen und einer Mahdruhe von 10 Wochen während der Brutzeit im Kleegras- und Luzerneanbau. Für diese und andere Maßnahmen wurden die möglichen Schutz- und Lenkungsfunktionen für Feldlerche, Grauammer und Rebhuhn untersucht. Gegenstand der Untersuchungen waren weiterhin die betrieblichen Auswirkungen bspw. mit Blick auf das Aufkommen von Beikräutern, die Aktivitätsdichte von Feldmäusen und die betriebliche Umsetzbarkeit insgesamt.
Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass mehrjährige Schutzstreifen vor allem geeignet sind, die Brutverluste von Grauammer- und Rebhuhn zu reduzieren. Die Lenkungsfunktion, mit der die seltenen Brutvögel aus der regulär bewirtschafteten Fläche in diese Schutzstreifen gelockt werden sollen, gilt es in weiteren Praxisversuchen zu optimieren und an die Ansprüche der Zielarten anzupassen.
Für die Feldlerche wurden der Hochschnitt – also Mahd in ca. 14 cm Höhe – und eine Mahdruhe von 10 Wochen während der Brutzeit als erfolgversprechend eingestuft. Bei der Hochmahd mit einem Doppelmessermähwerk ist wiederum wichtig, das Mahdgut liegenzulassen und Gelege oder Jungvögel nicht in nachfolgenden Arbeitsgängen einem Tötungsrisiko auszusetzen.
Die Projektgruppe, zu der neben der Universität Tübingen der Ernährungsrat Tübingen, das Hofgut Martinsberg Rottenburg, der Verein VIELFALT als Landschaftserhaltungsverband Tübingen und das Landschaftsökologische Planungsbüro Geissler-Strobel gehören, betonte mehrfach, dass ohne die bemerkenswert hohe Bereitschaft der beteiligten Landwirte eine so umfangreiche Erprobung zielführender Maßnahmen zur Verringerung der Feldvogelverluste nicht möglich gewesen wäre.
Dieser Umstand stimmte dann auch optimistisch, dass es gelingen kann, solche Schutzmaßnahmen im Luzerne- und Kleegrasanbau künftig in den Agrarförderprogrammen so zu verankern, dass sie bei angemessener Vergütung auch Eingang in die Praxis finden. Welche Anforderungen hinsichtlich der Integration bspw. in das baden-württembergische Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT II) bestehen, wurde auf der Grundlage des fachlichen Inputs von Vera Brosche, beim Regierungspräsidium Tübingen für das BiodivNetz Baden-Württemberg zuständig, auch in der gemeinsamen Diskussion aufgegriffen. Man war sich einig, dass höchste fachliche und zeitliche Priorität besteht für die Umsetzung erfolgversprechender Schutzmaßnahmen für Feldvögel im Luzerne- und Kleegrasanbau.
Wie wichtig der Schutz dieser Arten ist, hatte eingangs bereits die Erste Landesbeamtin des Landkreises Tübingen, Dr. Daniela Hüttig, in ihrem Grußwort mit Blick auf die landes-, bundes- und europaweiten Bestandsentwicklungen der Feldvögel betont. Die Bestandszahlen der Feldvögel sind seit Jahren im freien Fall. Bei manchen Arten werden Rückgänge von 90 % verzeichnet. So gehört der Gesang der Feldlerche leider längst nicht mehr überall zur typischen Sommerakustik auf dem Feld. Im Landkreis Tübingen kann man dank der intensiven Schutzbemühungen der letzten Jahre und des tollen Engagements vieler Landwirte und Naturschützer diese besonderen Naturerlebnisse noch genießen. Hierauf will man gemeinsam aufbauen.