
Veronica Kerber, Mitbegründerin des Vereins „Unsere Sprachheimat“, setzt sich dafür ein, dass Dialekte in Nordbaden nicht aussterben. Im Gespräch erklärt sie, warum Mundarten ein wertvolles Kulturgut sind – und wie Kinder spielerisch daran herangeführt werden können.
„Wir können alles – außer Hochdeutsch“ – „S´gibt badische und unsymbadische“ – „I schwätz schwäbisch – ond Du?“ – diese Slogans waren vor der Jahrtausendwende im Südwesten Deutschlands quasi omnipräsent. Sie fanden sich auf Plakaten, an Haustüren und an den Heckscheiben zahlreicher Automobile im „Ländle“, das damals noch lange nicht „The Länd“ hieß, und sie zeugten von einem positiven Heimatgefühl und einer gewissen Unbekümmertheit angesichts der Tatsache, nicht so feingeschliffen reden zu können wie die Menschen in Hannover oder wie der Tagesschausprecher Karl-Heinz Köpcke. Heute ist dies komplett anders. Zwei Jahrzehnte haben genügt, um die Vielfalt der Dialekte nahezu flächendeckend zu verdrängen. Nicht nur an Universitäten und Gymnasien, sondern in jeder Schulform, in Kindergärten und Tagesstätten wird ausschließlich Schriftdeutsch gesprochen.
Einer solchen Übermacht sind unsere Mundarten, wenn sie denn noch innerhalb der Familie gesprochen werden, kaum gewachsen. „Die Wortschatzexplosion setzt im Alter von eineinhalb bis zwei Jahren ein, und die Kinder nehmen generell die Sprache an, die sie am meisten hören, auch wenn sie andere durchaus verstehen“ – diese wissenschaftlich fundierte Feststellung trifft Veronica Kerber im Gespräch mit der Weingartener Woche. Sie ist Mitbegründerin des 2023 gegründeten Vereins „Unsere Sprachheimat“ und damit Teil einer wachsenden Gegenbewegung, die die Vielfalt unserer Dialekte als wertvolles Kulturgut betrachtet und sich nicht damit abfinden möchte, dass in weniger als einer Generation unwiederbringlich verlorengeht, was über Jahrhunderte gewachsen ist.
NUSSBAUM.de: Frau Kerber, Sie sind Vorständin im Verein „Unsere Sprachheimat“. Was hat Sie dazu bewogen, einen großen Teil Ihrer Energie und Ihrer freien Zeit für den Erhalt unserer Mundarten im Südwesten einzusetzen?
Veronica Kerber: Es begann alles mit einer sehr persönlichen Erfahrung. Ich bin in der Ortenau aufgewachsen und nach dem Abitur zum Studium nach Karlsruhe gekommen. An meinem Gymnasium wurde durchaus noch Alemannisch nicht nur toleriert, sondern auch gesprochen. Dementsprechend hatte ich die Erwartung, dass dies im nicht weit entfernten Karlsruhe ähnlich sei. Ich traf jedoch völlig unvorbereitet auf eine rein hochdeutsche Umgebung. Mit einem Mal fühlte ich mich regelrecht unwohl, entfremdet, nicht mehr zu Hause, und mir wurde nach und nach bewusst, dass mein Dialekt ein integraler Bestandteil meiner Identität ist, dass ich dazu stehen und diesen nicht verlieren wollte. Ich begann daher, auch in meinem Dialekt zu schreiben und stieß dabei auf den alle zwei Jahre stattfindenden Mundartwettbewerb „De gnitze Griffel“. Bei meiner ersten Teilnahme erhielt ich eine lobende Erwähnung, später war ich mehrfach Preisträgerin.
NUSSBAUM.de: Damit war noch lange kein Verein gegründet, wie ging es dann weiter?
Kerber: Ich begann zu entdecken, welche unendlichen Möglichkeiten sich in der Mundart auftun. Im Dialekt geht alles. Ich nahm an wirklich ernstzunehmenden Lesungen teil und lernte dabei eine quirlige und lebendige Szene kennen. Endgültig vorwärts ging es jedoch für mich persönlich im Zusammenhang mit meinen „Alemannischen Abendliedern“. Diese Sammlung, die man übrigens gesungen von Mary Roos Weber aus Ettlingen auch bei Spotify und YouTube anhören kann, wurde von weiteren Mundartautoren in ihre jeweiligen Dialekte übersetzt. Ja, das geht tatsächlich, denn Dialekte sind linguistisch gesehen extrem eigenständig und komplex und damit fast wie richtige Sprachen.
Der baden-württembergische Heimatpreisträger und Vorsitzende des Vereins „schwäbische mund.art e. V.“, Dr. Wolfgang Wulz, hat einige der Abendlieder ins Schwäbische übersetzt und mich dabei ermutigt, einen eigenen Verein für den nordbadischen Sprachraum zu gründen. In dieser Region gab es im Gegensatz zum alemannischen und schwäbischen Sprachgebiet noch nie einen Mundartverein, wohl aber viele engagierte Solistinnen und Solisten. Die Gründung selbst ging dann von mehreren Aktiven aus. Diese schlossen sich relativ schnell zusammen. Unter ihnen waren der Mundartsänger Charly Weibel und bekannte Autoren wie Thomas Liebscher, Bernd Siemers und Wolfgang und Rosie Müller. Unterstützt wurden wir vom Regionalverband Mittlerer Oberrhein und auch vom Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Karlsruhe e. V., der die Vereinsgründung sehr begrüßte. Gleich 40 Gründungsmitglieder kamen damals im kurpfälzischen Reilingen zusammen, um „Unsere Sprachheimat – schwätze, redde, babble“ ins Leben zu rufen.
NUSSBAUM.de: Was macht den Dialekt in Nordbaden aus?
Kerber: Er ist vor allem vielfältig! Unser Vereinsgebiet erstreckt sich über den Regierungsbezirk Karlsruhe mit Dialekten wie Kurpfälzisch, Südfränkisch, Oberrhein-Alemannisch und Westschwäbisch sowie über den kompletten übrigen fränkischen Sprachraum in Baden-Württemberg mit Ost- und Unterostfränkisch und einem großen Gebiet, in dem ein schwäbisch-fränkischer Übergangsdialekt gesprochen wird. Alle Dialekte haben ihre Eigenheiten und sind teils sehr verschieden.
Im Vergleich zu meinem oberrhein-alemannischen Dialekt, der voll von der Lautverschiebung im Mittelalter erfasst war, haben die fränkischen Mundarten die zweite Lautverschiebung nur teilweise oder gar nicht mitgemacht. Der fränkische Dialekt hat auch charakteristische Vokalsysteme, andere Diphthonge als im Alemannischen, eine andere Satzstellung sowie eine andere Grammatik. Als Beispiel: Im südfränkischen Ettlingen sagt man „ned“ und ich „nit“, „Haus“ und ich „Huus“, „Haisle“ und ich „Hiisli“, „Mädle“ und ich „Maidli“. Eine für mich witzige Besonderheit ist, dass der Karlsruher Brigand gerne doppelt: „heut gibt´s griener Salad, griener“ oder „braide Nudle, braide“.
NUSSBAUM.de: Der Verein „Unsere Sprachheimat“ besteht nun seit über zwei Jahren. Sind Sie mit seiner Entwicklung zufrieden?
Kerber: Ja, es geht wirklich voran. Unsere Mitgliederzahl ist mittlerweile deutlich dreistellig, ein gutes Drittel davon wohnt im Landkreis Karlsruhe. Ebenfalls erfahren wir politische Unterstützung, denn auch die Landesregierung bekennt sich zum Erhalt unserer Mundarten. Darüber hinaus sind wir Mitglied im neu gegründeten Dachverband der Dialekte Baden-Württemberg und können dadurch landesweit für eine starke Stimme sorgen. Der Dachverband unterstützt seine Mitgliedervereine und arbeitet zusätzlich an Partnerschaften und Verknüpfungen in andere Bundes- und Nachbarländer. Auch freuen wir uns über Mitglieder aus dem Elsass, der Pfalz oder anderen Gebieten. Bei uns darf jeder schwätze, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und was man da so alles hört, macht einfach unglaublich Spaß!
NUSSBAUM.de: Wo sehen Sie die wirksamsten Ansätze zum Erhalt unserer Mundart?
Kerber: Ganz klar bei den Kindern und in den Familien. Schwätze Sie ruhig Dialekt – Hochdeutsch lernt das Kind automatisch. Es gilt über die längst erwiesenen Vorteile gegenüber Dialektsprechern aufzuklären, die Wertigkeit der Mundarten zu stärken, Rückenstärkung zu geben und auch Material zu bieten! Eine wunderbare Sammlung findet sich auf unserer Kinderhomepage www.babbelbobbel.de. Es reicht nämlich nicht, unsere Sprache in eine Art verbales Heimatmuseum zu stellen, sie muss benutzt, gepflegt und weitergegeben werden.
Es bedarf also eines veränderten Bewusstseins – ganz besonders in den Einrichtungen, in denen unsere Kinder über immer längere Zeit außerhalb des privaten Raums verweilen. Das landesweite Projekt „Mundart in der Schule“ ist hier von zentraler Bedeutung. Über die Homepage des Dachverbands können sich Schulen kostenlos einen Mundartkünstler für eine Unterrichtsstunde Dialekt buchen.
NUSSBAUM.de: Und wie kann man Ihre Bemühungen unterstützen?
Kerber: Durch eine aktive oder passive Mitgliedschaft und durch den Besuch unserer Lesungen und Mundartabende. Wir haben den jährlichen Beitrag mit 20 € bewusst niedrig angesetzt, schon alleine um klarzumachen, dass es sich nicht um ein Eliteprojekt handelt. Auch freuen wir uns, wenn Kommunen, Kirchen, Firmen oder Vereine uns Räumlichkeiten für unsere Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Es reicht aber auch schon, wenn viele „Badener“ an dem gegenwärtig zu beobachtenden Bewusstseinswandel teilnehmen und ihren Dialekt nicht mehr als Makel, sondern als wertvolles kulturelles Erbe betrachten. Geht dies verloren, so wird der Verlust endgültig sein.
NUSSBAUM.de: Do kamma jo zum Schluss bloß alles Guude wünsche …
Das Gespräch mit Veronica Kerber führte unser Freier Mitarbeiter Matthias Görner.
