Der Sommer hatte dann doch ein Einsehen. Vielleicht, weil die Veranstaltung seine Bezeichnung in ihrem Namen trug. Wie dem auch sei: Der „Sommer am Schloss“, der viel Musik im Gepäck hatte und am Samstag seinen Höhepunkt in einem echten Festival feierte, startete in den Strahlen der untergehenden Donnerstagssonne – und mit Piet Klocke und seinem anarchischen Humor.
Er kann es. Einen Satz zu Ende bringen. Nur wendet er dieses Können äußerst selten an. Viel lieber verliert sich der Komiker in Halbsätzen, in einzelnen Worten – um alles in der Luft hängenzulassen, wenn er den Ausflug seiner Gedanken nicht mit einem „ist auch egal“ selbst abwürgt, um zurückzukehren zu – ja, was denn eigentlich? Piet Klocke zu folgen, heißt, sich in Irrungen und Wirrungen zu verlieren. Seinen Irrungen und Wirrungen, alles entsprungen aus den Bahnen seines „neuronalen Substrats“. „Und wenn eine Frage ist, einfach unterdrücken“, ermuntert er sein Publikum, das aus dem Giggeln nicht herauskommt. Einen roten Faden braucht der Komiker mit seinen abstrusen Aneinanderreihungen von Affirmationen à la „du musst dir nichts mehr überweisen“ und Aphorismen wie „erst am Mittag entsteht die Freundschaft zwischen frühem Vogel und Wurm“ nicht. Scheinbar aneinanderreihend, was ihm gerade in den Sinn kommt, seinem Soundboard seltsame Beats entlockend, hat er eine Programmchoreografie, die sich jedwedem Sinn entwindet – und dann mit Momenten wahrlich zu entzücken. Etwa dann, wenn Klocke mit Mundharmonika und Stimme zum Beat einen lupenreinen Blues in die Runde schmeißt. Wichtig: Der muss einen Text haben, „sonst weiß ja keiner, worunter Sie leiden“. Hinhören lohnt sich bei Klocke, diesem Mann der wenigen Worte, der zu Beginn „hohe und unkontrollierbare Minne“ samt Lesung verspricht – immer. Denn jeder noch so hirnrissige Einstieg führt zur Pointe. Wenn nicht gesagt, dann schwebt sie doch zumindest in Gedanken direkt in den Kopf. Ein Auftakt nach Maß.
Am Freitagabend dann ist es der Odenwälder Shanty Chor, der die Bühne im wahrsten Sinne des Wortes bevölkert. Platz war nicht mehr viel – gleiches galt für die Zuschauerreihen. Der Chor hat sich halt sein Stammpublikum erobert. Kein Wunder – 35 Jahre sind sie schon unterwegs. Mit „Alte Freunde kann man sich nicht aussuchen“ kreierten sie 2019, damals zum 30-jährigen Jubiläum, ihr ganz eigenes Best-of-Programm. Natürlich geht es um Schann Scheid, den Held der sieben Weltmeere aus Fränkisch-Crumbach, um den „Weißen Wal“ – und sie tauchen natürlich auf, die liebgewonnenen Freunde der letzten Jahrzehnte. Darunter Trapper Toni, bei dem jeder Gastwirt weiß, wie viel „Dorscht“ er hat und daher „Flasche leer“ stöhnt. Und auch Professor Alfons Netwohr, Leiter des Instituts für spekulative Heimatgeschichte, ist natürlich mit von der Partie und darf über die speziellen Odenwälder Grammtik, mit Blick auf die Zeit, die Quantsche Plankenphysik aber links liegenlässt. Vorausgesetzt, Manfred Maser steht nicht gerade als „himself“ und damit Erzähler des Scheid’sen Lebens auf der Bühne. Fast drei Stunden geht es durch Musik und Erzählung, mal melancholisch, mal humorvoll, mal in Englisch, mal in Mundart-Sprooch. Alles untermalt mit Instrumenten, die den Aktustik-Stil unterstreichen, und bei denen natürlich vor allem das Akkordeon in den Händen von Tobias Escher für das authentische Shanty-Gefühl sorgt. So geht es bis zu Schant Scheids Beerdigung, der er vorneweg geht, für die der Chor „Northwest Passage“ anstimmt. Dass man den Chor äußerst gerne auch in Hemsbach sieht, das zeigt sich in den stehenden Ovationen am Ende des Konzerts, dass die Sängerinnen und Sänger mit „Bembelspeed“ beenden. Und weil dunkle Wolken aufziehen, lassen sie sich für die Zugabe nicht lange bitten. Das kann nur das Lied sein, das in den vergangenen fast zwei Jahrzehnten zur heimlichen Hymne geworden ist. Und so ertönt ein beschwingtes „Schenk nochmal ein vom französischen Wein“ durch die aufziehende Nacht, die merklich kühl geworden ist.
Das Open-Mind-Festival am Samstag eröffnen die Lokalmatadoren von Ringo Ska. Die Band um das Brüderpaar Robert und Martin Führer bringt nicht weniger als zwei Stunden Musik auf die Bühne. Und vor sich sehen sie Menschen, die es sich bei Sommertemperaturen auf der Wiese hinterm Schloss auf Sonnenstühlen und Picknickdecken bequem machen – wenn sie nicht gerade tanzen oder auf der Hüpfburg Spaß haben; die ist allerdings den jüngsten Gästen des Festivals vorbehalten. Tanzen ist bei den Jungs von Ringo Ska schon Programm, wenn sie die alten Beatles-Klassiker von melancholischen Nummern à la „I will“ über das rockige „I saw her standing there“ bis hin zum gefälligen und beliebten „Penny Lane“ in ihren Beat kleiden. Die wenigen Tropfen, die der Himmel in Erinnerung an einen bisher alles andere als sonnigen Sommer mal kurz ausschüttet, stören niemanden. „Ihr habt einen langen Abend vor euch“, ruft Sänger Robert Führer der da noch kleineren Menge zu. Klein bleibt sie aber nicht. Das Gelände füllt sich zusehends, und als Boppin‘ B in Saiten und Tasten greifen, da geht die Party richtig los. Die Jungs sind Stammbesetzung im Café Central und Garanten für gute Stimmung. Das stellen sie auch in Hemsbach unter Beweis. Mit bunten Hemden bringen sie den Sommer ans Schloss, und mit Einlagen à la Spielen des Kontrabasses über Kopf während eines Ausflugs durch das Publikum oder Gitarrenbearbeitung auf dem Schlagzeug sorgen Boppin‘ B auch für jede Menge gute Laune. Die haben die Jungs selbst auch, nehmen sich mit lockeren Sprüchen gegenseitig hoch und sind alles in allem der wohl beste Anheizer für den Headliner, der am späteren Abend dann wartet: Dr. Woggle and the Radio. Im Gepäck: Ska und Reggae, Neues und Altes – und jede Menge Fans, die den Auftritt der Formation feiern. Im Rhythmus des Offbeats verwandelt sich der Bereich vor der Bühne zu einer wogenden Masse. Und wie Boppin‘ B bleibt es auch bei den Woggles äußerst humorvoll. „Einen haben wir noch“, heißt es da etwa seitens Sänger Nikolaus Knapp nach 20 Minuten, man würde heute mal nach dem Motto „weniger ist mehr“ auf der Bühne stehen. Als Sänger Niko Knapp nach sechs Jahren neue Aufnahmen ankündigt, ist die Menge erst recht hin und weg. Und dann wird gekniet und gehüpft und gefeiert, bis die Dämmerung längst vergangen und die Nacht sich über Hemsbach gesenkt hat.
Café-Central-Chef, Michael Wiegand, schaut sich das alles an. Insgesamt, so sagt er, ist er mit den drei Tagen zufrieden. „Es hätten ein paar mehr Besucher sein können“, sagt Wiegand. Doch er weiß auch, dass gerade an diesem Wochenende jede Menge Veranstaltungen in Konkurrenz zum „Festival am Schloss“ stehen – angefangen von den kleineren in der unmittelbaren Umgebung bis hin zum Open Air von AC/DC auf dem Hockenheimring. Und wie geht es mit dem Festival in Hemsbach weiter? „Im kommenden Jahr wird das Open Mind anlässlich der Heimattage in Weinheim stattfinden, das muss sein“, schaut Wiegand ins Jahr 2025. Aber Hemsbach ist deswegen nicht gestorben. „Das ist hier ein schöner Platz, da werden wir wieder etwas machen“, verspricht er. (cs)