Johann Sigmund Kersten gehört zu den schillerndsten Persönlichkeiten, die im 17. Jahrhundert im Zabergäu lebten
Von Cosima Kroll Der Haberschlachter Pfarrer und Arzt verband nicht nur katholisches und protestantisches Gedankengut, sondern auch theologisches und medizinisches Wissen. Als Arzt war Johann Sigmund Kersten, der von 1637 bis 1684 lebte, weit über das Zabergäu hinaus bekannt.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der von 1618 bis 1648 Elend und Verwüstung über das ganze Land brachte, wütete die Pest. Wer die Belagerung der feindlichen Truppen überlebt hatte, wurde von der Seuche heimgesucht. Wer all dies überlebt hatte, kämpfte dann ums nackte Überleben.
Als Johann Sigmund Kersten ins Zabergäu kam, hatte er bereits viele Gegenden Europas bereist und sich ein umfangreiches Wissen, nicht nur auf theologischem Gebiet, angeeignet. Geboren wurde er 1637 mitten im Dreißigjährigen Krieg als Sohn katholischer Eltern in Schwäbisch Hall. Da der Vater bei der kaiserlichen Artillerie diente, zog die Familie mit dem halbjährigen Sohn nach Österreich, da die Truppen dorthin verlegt wurden. Dort besuchte er die Lateinschule in Graz und wurde im Franziskanerkloster im katholischen Glauben erzogen. Zusätzlich führten ihn Privatlehrer in die Grundlagen der Medizin ein, die ihn offenbar so stark interessierte, dass er bereits mit 15 Jahren an die Universität Padua ging, um Botanik und Anatomie zu studieren. Spätere Reisen führten ihn zu Studienzwecken durch Osteuropa, wobei er sich vor allem für medizinische Fragestellungen interessierte und versuchte, sich darin zu perfektionieren. Seine Erkenntnisse verknüpfte er jedoch gleichzeitig mit seiner theologischen und philosophischen Grundhaltung.
Mit 19 Jahren trat er in ein ungarisches Franziskanerkloster ein, wo er, da es dort keinen Arzt gab und er über große Fachkenntnisse verfügte, nicht nur die Mitbrüder, sondern auch die schwachen und kranken Menschen der Gegend versorgte. Als 1664, acht Jahre später, der Krieg gegen die Türken begann, wurde Kersten als Feldprediger im Heer verpflichtet, wo er auch sein medizinisches Wissen einsetzte. So konnte er bei der Versorgung der Verletzten sein Wissen im Bereich der Anatomie vertiefen.
Wieder in Deutschland bat er beim Oberkirchenrat in Stuttgart um die Erlaubnis, am Tübinger Stift evangelische Theologie studieren zu dürfen. Sein Wechsel zum Protestantismus erklärte er damit, dass er durch das Studium evangelischer Bücher und die „Wirkung des Heiligen Geistes, der dort weht, wo er will“, von der Wahrheit der evangelischen Lehre überzeugt worden sei. Er trat eine Vikarstelle im Raum Göppingen an und arbeitete später als Diakon in Knittlingen, wo er heiratete und eine Familie gründete.
Nach zwei Jahren wurde ihm 1670 die Pfarrei Haberschlacht übertragen. Wie überall auf dem Land war die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auch hier sehr schlecht. Es gab zwar in der nahen Amtsstadt Brackenheim seit 1617 eine Apotheke, aber in der gesamten Umgebung keinen Arzt. Da akademisch gebildete Ärzte meistens sehr teuer waren, wandten sich die einfachen Leute vorwiegend an heilkundige Nachbarn oder „weise Frauen“. Wunden und Operationen führten handwerklich ausgebildete Barbierchirurgen durch. Quacksalber verkauften den Kranken allerlei Mittel und Methoden zur Heilung.
In der dörflichen Umgebung sprachen sich die medizinischen Kenntnisse des neuen Pfarrers bald herum und da im weiteren Umkreis kein Arzt zu finden war, befasste er sich mehr und mehr mit den Gebrechen der Hilfesuchenden. Johann Kersten schien sein Amt in Haberschlacht gut zu versehen, was auch aus dem Brief seines Vorgesetzten, dem Lauffener Dekan hervorgeht: „Dieser Pfarrer ist ein gelehrter Mann, sowohl in theologia als in medicina (…).“ Seine therapeutischen Erfolge müssen beachtlich gewesen sein, denn nach und nach kamen die Patienten nicht nur aus Güglingen, Brackenheim oder Lauffen, sondern auch als Calw und Neuenstadt. Angehörige hoher Stände reisten sogar aus dem Kraichgau und der Pfalz nach Haberschlacht.
Kersten wusste, dass ihm als Pfarrer das Therapieren und Ausgeben von Medikamenten im Grunde nicht gestattet war und durch die württembergische Apothekerordnung unter Strafe stand. Wollte er einen Beruf daraus machen, hätte er seinen Kirchendienst aufgeben müssen. Seine Vorgesetzten rieten ihm jedoch, so weiter zu machen wie bisher. Jahrelang arbeitete Kersten nun als Pfarrer und Mediziner. Erst als sich ein akademisch gebildeter Arzt in Brackenheim niederließ, kam es zu Streitigkeiten, da aus wirtschaftlichen Gründen die Konkurrenz in Haberschlacht nicht gut für den neuen Arzt war. Als dann auch noch Kersten seine Patienten nicht mehr in die Brackenheimer Apotheke schickte, da er mit der Qualität dort nicht mehr zufrieden war, sondern nach Heilbronn, gab es von Arzt und Apotheker erbitterte Klageschriften an den württembergischen Herzog. Schließlich wurden Ärzte des württembergischen Hofes beauftragt, die Sache zu untersuchen. Sie kamen zu dem Schluss, dass man Johann Kerstens ärztliche Betätigung verbieten müsse, denn trotz seines angefangenen Medizinstudiums und seiner religiösen Motivation greife er unbefugt in ein fremdes Amt ein. Der Kompetenzstreit und die zunehmende Abgrenzung zwischen examinierten und nichtexaminierten Medizinern wird hier deutlich. Auffällig dabei ist, dass die Stuttgarter Behörden das Urteil auffällig hinauszögerten.
Als das Urteil aus Stuttgart kam, war Kersten – wahrscheinlich durch Überlastung – bereits schwer erkrankt. Seine Bitte, ihm wegen seiner nachlassenden Kräfte einen Vikar zur Seite zu stellen, wurde nicht erfüllt. Als er schließlich 1684 nach vierjähriger schwerer Krankheit starb, war er erst 46 Jahre alt.
Johann Kerstens Lebenslauf zeigt einen bedeutenden Mann, der im 17. Jahrhundert den Mut besaß, neue Wege zu gehen. Sein Lebensweg führte ihn vom Franziskanerorden zum Protestantismus, von Ungarn nach Württemberg. Und das Haberschlachter Pfarrhaus wurde während seines Wirkens zum Sammelpunkt für Schwache und Kranke der näheren und weiteren Umgebung.