Gefährliche Pilze
Schädliche Pilze gab es auch früher schon. Doch jetzt begünstigen Klimawandel und Globalisierung extrem aggressive Arten, gegen die sich die Bäume kaum mehr wehren können.
Was wäre der Wald ohne Pilze, Steinpilz, Pfifferling, Parasol – jedes Exemplar ein Schatz für den Finder. Dem Wald schadet es nicht, wenn wir die besten Stücke mit nach Hause nehmen. Denn wir ernten ja nur die Fruchtkörper alias „Schwammerl“, und die fallen mengenmäßig kaum ins Gewicht. Der eigentliche Pilzkörper lebt weiter. Er durchdringt mit seinen zarten Hyphen den Waldboden, umhüllt selbst die feinsten Wurzeln und zieht sich von einem Baum zum nächsten. So eng sind Wurzeln und Hyphen verwachsen, dass es einen eigenen Namen dafür gibt: Mykorrhizen, zu Deutsch Pilzwurzeln.
Mykorrhizen sind die Lebensversicherung der Bäume. Denn Pilzhyphen sind zigmal länger und sehr viel dünner als jede noch so feine Pflanzenwurzel – und können deshalb viel mehr Wasser und Mineralien aus dem Boden ziehen als jene. Einen Teil davon überlassen sie den Bäumen, die alleine nicht genügend Nährstoffe aufsaugen könnten. Was also wäre der Wald ohne Pilze. Es gäbe ihn gar nicht. Verschwänden nämlich alle Pilze aus dem Boden, wäre der Wald nach wenigen Tagen tot. Steinpilz und Co. halten die Bäume freilich nicht aus Selbstlosigkeit am Leben. Mangels Blattgrün können sie keine Kohlenhydrate herstellen. Das schaffen nur grüne Pflanzen, durch Photosynthese. Und so treten die Bäume ihren unterirdischen Partnern, quasi als Gegenleistung für gelieferte Mineralien, 20 bis 30 Prozent ihrer Photosynthese-Produkte ab. Das ist der Preis für die Lebensversicherung.
Trockenheit raubt den Bäumen ihre Vitalität
Nicht alle Pilze gehen einen Tauschhandel mit lebenden Bäumen ein. Porlinge wie der Zunderschwamm, aber auch Speisepilze wie Hallimasch und Stockschwämmchen, zehren von totem Holz – und befallen gelegentlich auch geschwächte Bäume. An jeder Baumart gibt es Pilze, die das Holz angreifen. Andere, wie zum Beispiel die Schüttepilze, schädigen die Nadeln und bringen sie zum Absterben. In der Regel ist das für die betroffenen Baumarten kein existenzielles Problem, weil sie sich über Jahrmillionen mit ihren Widersachern arrangiert haben. Derzeit kommen aber zwei neue Bedrohungen dazu: Zum einen der Klimawandel. Hitze und Trockenheit rauben vielen Bäumen ihre Vitalität, sodass ein Pilz, den sie bisher im Zaum halte konnten, nun die Oberhand gewinnt. Sie bringt krank machende Pilze und Insekten aus Nordamerika oder Asien nach Europa. Unsere Bäume sind an diese Neulinge nicht angepasst und können sich schlechter gegen sie wehren als gegen altbekannte heimische Erreger.
Immer häufiger treten beide Bedrohungen in Kombination auf. Die Folgen zeigen sich unter anderem an den Bergkiefern, die im Gebirge als niederliegende Latsche, in tieferen Lagen als hochwüchsige Hakenkiefer oder Moorspirke vorkommen. Alle drei Formen können von einem aus Amerika eingeschleppten Pilz identifiziert werden; er lässt die Nadeln braun werden und schließlich absterben. Die Nadelbräune wurde schon vor 30 Jahren in Bayern nachgewiesen. Damals trat sie überwiegend in Moorgebieten auf und hat nur einzelne Latschen moderat geschädigt Wären die befallenen Latschen entfernt worden, wäre das Ökosystem empfindlich gestört worden. Also hat man sich entschlossen, abzuwarten.
Das Gleichgewicht droht zu kippen
Mittlerweile ist der Erreger europaweit verbreitet. Auch in Südbayern tritt er seit einigen Jahren deutlich aggressiver auf. Noch ist der Bergwald als Ganzes nicht bedroht. Doch während sich geschädigte Bergkiefern bis vor Kurzem nur in Moorgebieten fanden, sind inzwischen auch Latschenkiefer und Spirken im Nationalpark Berchtesgaden betroffen. Da kippt das Gleichgewicht zwischen Erreger und Wirt. Denn offenbar geht es dem Pilz im Klimawandel besser, während die Bäume infolge von Hitze und Trockenheit an Vitalität einbüßen. Einem ähnlichen Muster folgt die Rußrindenkrankheit, ebenfalls von einem Pilz verursacht. Er infiziert Ahornbäume, lässt ihr Holz faulen und färbt mit einen Sporen die Rinde schwarz. Obwohl der Erreger schon vor mehr als 60 Jahren aus Nordamerika eingeschleppt wurde, hat er kaum nennenswerte Schäden verursacht. Erst mit der Erderwärmung tritt er aggressiver auf und infiziert unsere drei weitverbreiteten Ahornarten. Leider haben sich durch den Klimawandel in Bayern schon 30 bis 40Prozent aller Waldstandorte so stark verändert, dass beispielsweise der Berghorn, der nur bei gemäßigten Temperaturen und viel Niederschlag optimal wächst, Probleme bekommt und sofort die Rußrinde zuschlägt.
Auch das seit Langem bekannte Ulmensterben geht weiter. Erfreulich ist immerhin, dass unsere Feld- und Bergulmen noch nicht ausgestorben sind. Sie haben den Kampf gegen den Erreger nicht aufgegeben und schaffen es immer noch, sich zu verjüngen. Und auch die Echsen sind noch nicht verloren. Zwar hat das aus Asien eingeschleppte Eschentriebsterben, bezogen auf die betroffene Waldfläche, für größere Verluste gesorgt als jede andere Pilzkrankheit. Es trifft junge Bäume ebenso wie alte. Doch auch in Beständen, wo massiv Eschen absterben, gibt es immer einzelne Bäume, die offensichtlich nicht geschädigt sind. Die haben eine natürliche Toleranz, was langfristig zu einer Anpassung an den Erreger führen kann. Solche Anpassungen hat es in der Natur immer schon gegeben und wird es auch künftig geben; sie sind so sicher wie das Amen in der Kirche.