Heutzutage wird dem Theater viel zu wenig Beachtung geschenkt – eigentlich schade, denn das Entertainment ist auf einem ganz anderen Niveau. Diese Erfahrung konnten wir, einer der drei Deutsch-Leistungskurse der Wilhelm-Röpke-Schule, am Abend des 19. März machen. Gemeinsam mit unserer Deutschlehrerin Frau Freudenmann besuchten wir im Theater Baden-Baden den 44. Poetry-Slam.
Keiner von uns wusste, was genau da auf uns zukommen sollte. Es wird wahrscheinlich vielen so gehen, jedoch sind die Regeln eines Poetry-Slams überraschend simpel: sechseinhalb Minuten Redezeit, kein Gesang und als Gedankenstütze lediglich ein Blatt Papier, so wurde es uns erklärt.
Bereits beim Einlass waren wir verzaubert. Die atemberaubende Kulisse des Baden-Badener Theatersaals schuf eine ganz andere, ungewöhnliche Atmosphäre: Der Stil des französischen Rokokos ließ uns staunen. Die handbemalte Decke stellte Engel im Himmel dar und die Kronleuchter warfen ein angenehmes goldenes Licht auf die Szenen.
Zunächst wurden uns die fünf Teilnehmer vorgestellt und dann ging es auch schon los mit der Ballade von Willi der Weinbergschnecke, die vergorene Trauben nicht mochte, gefolgt von dem frustrierenden Alltag eines Deutschlehrers. Danach lauschten wir einem „Lifecoach-Sabine-Bullshit-Bingo“ mit überflüssigen Kalendersprüchen. An vierter Stelle lachten wir über eine „Ich bin eine 10 von 10, aber“-Beichte nach dem Vorbild eines Tik-Tok-Trends und zu guter Letzt hörten wir einen humorvollen, aber durchaus sehr ernsten Text über den Klimawandel. Die „10 von 10“-Beichte hatte sogar so viel Aussagekraft, dass sie den Vortragenden direkt ins Finale katapultierte.
Doch nach der Pause wurden die Texte ernster. Texte über Krieg, Vertreibung und Flucht füllten und bedrückten den Saal, ebenso wurde über Freundschaft und den tieferen Sinn des Lebens sinniert. Doch es gab auch heitere Momente, wie die Frustration des Karlsruher Mitstreiters über seine Pollenallergie.
Das Finale des Poetry-Slams war von starken Emotionen und tiefgründigen Gedanken über das Leben geprägt. Der Text des Landauer Finalisten „Papa, warum weinst du nicht?“ erzählte von der Vergangenheit des Vaters im Krieg und den Spuren, die zurückblieben. Diese emotionale Unnahbarkeit, das Klischee des „echten, nie weinenden Mannes“ seines Vaters, hat, wie er selbst sagte, ein prägendes Bild über „den Mann“ in der Gesellschaft hinterlassen, aber auch Zweifel. Ein Leben, das von vielen harten Momenten geprägt war, wie der Umzug nach Deutschland, um Geld für die Familie zu verdienen und ihnen in ihrer Heimat so ein besseres Leben zu ermöglichen.
Der Tod des Vaters spielte eine zentrale Rolle beim zweiten Finalisten, dem Deutschlehrer aus Freiburg. Über einen langen Zeitraum hinweg wurde dessen Familie von der Krankheit des Vaters auf eine harte Probe gestellt und viele Dinge, über die man eigentlich hatte sprechen wollen, blieben ungesagt. Erinnerungen aus scheinbar längst vergessenen Kindheitstagen tauchten wieder auf. Der Tod warf schließlich viele Fragen auf, brachte aber auch Gewissheiten, wie zum Beispiel der, dass das nie vorhandene Vorbild des Autors schon immer der Vater gewesen war, doch ihm das erst nach dessen Tod bewusst wurde. Diese Texte trieben einigen von uns Tränen in die Augen und ließen diesen Theaterbesuch unvergesslich werden.
Der Gewinner des Abends, so fanden wir zu Recht, war im wahrsten Sinne des Wortes die 10 von 10. Doch auch unser LK gewann etwas: neue Erfahrungen und einen wunderbaren Beweis, dass das Theater auch im modernen 21. Jahrhundert definitiv einen Besuch wert ist!
Alina Cudzich, WG J1-1