Wirklich beeindruckend ist die Vielfalt an Ideen, Motiven, Inhalten, Stilen und Techniken der Ausstellung „Print Stories“ im Xylon. Im Museum für Druckkunst zeigen aktuell 18 internationale Kunstschaffende druckgrafische Werke.
Eines haben die aktuell präsentierten Künstlerinnen und Künstler gemeinsam: Sie arbeiten in der Kupferdruckwerkstatt Gentinetta in Zürich. Deren 25-jähriges Bestehen ist Anlass für die Ausstellung, die am Samstagabend eröffnet wurde. Eine vergleichbare Ausstellung gibt es auch in Zürich.
Giampolo Russo, Künstler und Initiator des Ausstellungsprojekts, erzählte, wie er das Xylon Museum + Werkstätten zufällig bei einem Schlossgartenbesuch entdeckt hatte, denn es erinnerte ihn sofort an die Kupferwerkstatt von Mathias Gentinetta, wo er seit über 15 Jahren ab und zu an seinen grafischen Blättern arbeite. Hier wie da können Profis und Laien ihre Ideen und Projekte drucktechnisch umsetzen, was wiederum eine seltene Möglichkeit ist. So machte Russo den anderen Künstlerinnen und Künstlern den Vorschlag, in Schwetzingen auszustellen – und sie waren sofort begeistert. Obgleich die meisten auch diverse andere Genres der bildhaften Darstellung verfolgen, einigte man sich auf wenige drucktechnische Werke, die man nach Schwetzingen mitnehmen wollte.
Liegt der Schwerpunkt im Xylon seither auf dem künstlerischen Hochdruck, so begrüßte Museumsleiterin Dr. Kristina Hoge die Zusammenarbeit mit der Tiefdruckwerkstatt aus Zürich. Aktuelle Druckgrafik erlebbar und einer weiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sei ein Kernanliegen des Xylon Museums. Hoge wies darauf hin: „Künstlerische Drucktechniken des Hochdrucks, Tiefdrucks, Flachdrucks, Durchdrucks und deren Mischformen gehören seit 2018 zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe.“ Damit würdigte das Expertenkomitee Drucktechniken als „Kulturform, die durch kreative Weiterentwicklungsmaßnahmen mit künstlerischen Mitteln in die Zukunft getragen wird“. Tatsächlich sind gedruckte Text- und Bildmedien seit mehr als 500 Jahren Teil der europäischen Kultur. In Deutschland stehen Johannes Gutenberg und Albrecht Dürer stellvertretend für die Anfänge.
Die Ausstellung „Print Stories“, an der so viele Kunstschaffende beteiligt sind, erzählt „Geschichten vom Drucken, einer alten, handwerklich geprägten Technik und ihren so vielfältigen und innovativen Nutzungsmöglichkeiten“, erläuterte Hoge. In Hinblick auf die Geschichte von Drucktechnik, referierte sie, dass früher der Kupferdruck für die Verbreitung von bildlichen Informationen notwendig unbedingt notwendig war; mit der Zeit entwickelten sich jedoch andere Verfahren, Bilder zu verbreiten; so wurde der Kupferdruck ein künstlerisches Experimentierfeld, das spezielle Techniken wie Kaltnadel, Radierungen, Aquatinta, Monotypie, Intagliotypie einbezog. All diese Verfahren sind in der aktuellen Ausstellung im Xylon zu sehen.
Gezeigt werden Werke von Künstlern, die unterschiedlichen Generationen angehören und auf unterschiedliche Wissensstände zurückgreifen können. Es sind zugleich Zeugnisse ihrer Geschichte, von Dingen, die sie bewegen. Beispielsweise zeigt der in Lecce, Italien, aufgewachsene Giampolo Russo Radierungen von dunklen, verfallenden Dörfern. „Die Häuser verfallen wegen der Migration in den Norden“, erzählte er, „aber alte Häuser haben eine eigene Ästhetik; es hat etwas Natürliches wie Menschen im Alter.“
Die Stadt zwischen Abbruch und Neubau stellt für Martin Fischer Fundgruben zur visuellen Spurensicherung dar; Objekte werden zerlegt, fotografisch gesichert und neu zusammengesetzt, um schließlich als Druck auf dünnes Chinapapier in eine neue, fragile Geschichte überzugehen.
Die Auseinandersetzung mit der gefährdeten Umwelt ist auch Thema von Jean-Pierre Schmid. Man sieht Berglandschaften mit Streifen, präzise und schön gearbeitet, aber hinter all dieser offensichtlichen Ästhetik liegen Gefahr und Zerstörungen. „Tuchbruch“ bezeichnet der ehemalige Maschinenbauzeichner einer Textilfabrik die Motive seiner Bilder. „Ich will nicht die durch den Eingriff des Menschen veränderte Landschaft zeigen, sondern die Veränderung selbst“, erklärt er. Gletscher werden zugedeckt, damit sie nicht so schnell schmelzen, die ganze Landschaft werde überdeckt durch Gebäude, Straßen und Befestigungen. Der Stoff habe indessen vielfältige Funktionen: Er könne ebenso schützen, wie zerstören, sichtbar machen, wie verhüllen.
Als Werkstättenbetreiber nimmt Mathias Gentinetta eine zentrale Stellung ein. Die gezeigten Bilder sind surreal anmutende Collagen aus Schaufensterdekorationen und Fragmente berühmter Malereien. „In früheren Zeiten gab die manuelle Druckgrafik Zeugnis von gesellschaftlichen Umbrüchen,“ erläuterte er. „Die aktuelle Arbeit zeichnet meinen bildlichen Umgang mit einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation nach. Um die Komplexität und die schnelle Abfolge der Ereignisse darzustellen, benutze ich die Technik der Bildcollagen.“ Er nennt diese Collagen „Bilderbaukästen“.
Eine Verbindung zwischen traditioneller Technik und künstlicher Intelligenz schafft Joel Giroud: In seiner Serie „Automaten“ generiert er mittels KI-Techniken Druckvorlagen, die er dann mit Kupferstichtechnik aus dem 15. Jahrhundert auf Papier überträgt.
Mit Migration, dem Schicksal von Geflüchteten befasst sich Artemis Tsakiri; sie nennt ihre Bilder eine „Hommage an die Geflüchteten“. Reisen und Erinnerungen sind Themen von Andra Pfister. Reisen und die Begegnung mit Menschen anderer Kulturkreise spielen auch für die Portraits von Beat Reck eine große Rolle. Pflanzen und Blüten sind die Motive von Susanne Lemberg und auch von Alice Heri, die Schönheit im Vergänglichen findet.
Dies sind nur einige wenige Beispiele der Ausstellung. Die Beschreibung aller Künstler und Künstlerinnen und der Werke würde den Rahmen eines Zeitungsartikels deutlich sprengen. Umso mehr lohnt sich der Besuch der vielseitigen Ausstellung. Save the date: Finissage mit Künstlergespräch ist am So. 22. Juni, um 16 Uhr. (rw)