Rettigheim – rka – Am Waldrand direkt oberhalb des Rettigheimer Friedhofs liegt umgeben von einem wunderbaren Laubwald die Lourdes-Marien-Kapelle aus dem Jahre 1891. Für sie, die auf Initiative des Heimatvereins und seines Vorsitzenden Ewald Engelbert renoviert und in den Originalzustand versetzt werden soll, hat der Auswahlausschuss der LEADER Aktionsgruppe Kraichgau im Rahmen des Förderprogramms „Regionalbudget“ eine erfreuliche Entscheidung getroffen. In einer Sitzung in Oberderdingen wurden die 19 ausgewählten Projekte bekannt gegeben, die „zur Dorfentwicklung und zum Dorfleben beitragen“. Unter den ausgewählten Projekten befindet sich auch die Lourdes-Marien-Kapelle in Rettigheim, die einen Zuschuss von
15.000 Euro erhält, um Renovierungsarbeiten durchzuführen und historische Veränderungen auszugleichen. Die Erzdiözese Freiburg steuert 12.300 Euro bei. Im Gespräch mit der RNZ erläutert der Vorsitzende des Heimatvereins Rettigheim, Ewald Engelbert die vorgesehenen Maßnahmen, die er laut Kostenvoranschlag mit 41.000 Euro beziffert. „Wir wollen unserer Marienkapelle ein würdiges, ansprechendes und historisches Aussehen wieder zurückgeben und sie zu einem Schmuckstück und Anziehungspunkt für Besucher, Betende, Wallfahrer und Pilger aus nah und fern machen“, so Engelbert. Dabei weist er auch auf den direkt an der Kapelle vorbeiziehenden Jakobsweg von Rothenburg ob der Tauber nach Speyer hin. Von der Neueindeckung des Dachs mit „Biberschwänzen“ über die Außenrenovierung mit Fassadenreinigung und Anstrich über die Sanierung der Stützen, Balken und Sparren des Vordachs soll bereits der erste Anblick einladend sein. Noch aufwändiger wird die Innenrenovierung mit einem neuen Fußoden, der Reinigung der Kirchenbänke und dem Innenanstrich. Möglicherweise soll auch der übertünchte, blaue
Sternenhimmel wieder freigelegt werden. Sein besonderes Augenmerk wird der Restaurator auf die Lourdes-Grotte legen, die aus Lösskindlsteinen gemauert ist. Diese sind im Löss zu finden und durch die Verkalkung von Wurzeln entstanden. Im Zentrum wird die restaurierte Lourdes-Madonna ihren Platz finden. Sie wartet zusammen mit zwei Heiligenfiguren am sicheren Platz auf das Ende der Renovierungsarbeiten. Die Fenster bestehen derzeit aus bunten Glasbausteinen, die durch bleiverglaste Fenster ersetzt werden sollen.
Bei der Besichtigung im Innern der Kapelle weist Ewald Engelbert auch auf die vielen Votivtafeln mit der Inschrift „Maria hat geholfen“ hin. Besonders groß und auffallend ist eine Tafel, die auf den besonderen Schutz beim Abwurf von Fliegerbomben im August 1944 hinweist. Einen geheimen Wunsch verrät Ewald Engelbert zum Ende des Gesprächs: Einen „Dachreiter“ würde er gerne oben drauf setzen – natürlich mit einem kleinen Glöckchen. Zum Abschluss des Gesprächs bittet Ewald Engelbert noch auf eine Bank an der Westseite der Kapelle mit dem „Zwei-Kirchen-Blick“, auf die Kirche St. Nikolaus in Rettigheim und St. Juliana in Malsch. Daraus soll in naher Zukunft ein
„Drei-Kirchen-Blick“ werden. Wenn einige Sträucher zurückgeschnitten werden, wird der Blick noch frei zur Kapelle auf den Letzenberg. Die Geschichte der Kapelle hat der Heimatforscher Rainer Werner zusammengetragen.
Stifter der Kapelle ist der am 12. Oktober 1825 in Rettigheim geborene Franz Reiß. Er hatte mit seiner Frau Juliana vier Töchter und fünf Söhne. Neben seiner Landwirtschaft betrieb er auch eine Zigarrenfabrik. Einer seiner Söhne, ebenfalls mit dem Namen Franz, erkrankte in jungen Jahren an der damals unheilbaren Tuberkulose. Noch heute erzählt man sich, dass der junge Franz am Waldrand, dort wo heute die Kapelle steht, gesessen sei und versprochen habe. „Sollte ich gesund werden, bauen wir hier eine Kapelle.“ Obwohl sein Wunsch nicht in Erfüllung ging – er starb im Alter von 24 Jahren – ließ sein Vater die Kapelle bauen. Nachdem die Kapelle im Spätsommer 1891 fertig gestellt war, wurde die Weihe auf Sonntag, 18. Oktober festgelegt. Dieses Ereignis muss großes Aufsehen erregt haben, denn drei überregionale Zeitungen berichteten über das Ereignis. So schreibt der „Pfälzer Bote“: „Auf die Einladung zur Einweihung der neuen Lourdeskapelle sind
Tausende von Menschen herbei geströmt. Die Feier nahm, vom Wetter begünstigt, einen schönen Verlauf.“ Der „Katholische Volksbote“ lobte vor allem den Stifter Franz Reiß und die „vielen Gutthäter von Rettigheim“, durch die es möglich geworden sei, „einen längst gehegten Lieblingswunsch dieser Gemeinde zu verwirklichen, nämlich an einem Plätzchen oberhalb des Gottesackers eine Kapelle zu erbauen.“
Den umfangreichsten Bericht brachte der „Badische Beobachter“ am 31. Oktober 1891. Aus ihm lässt sich der Weihetag gut nachvollziehen: „Die Ortspfarrer von Malsch, Malschenberg und Mühlhausen kamen mit ihren Pfarrkindern als Prozession nach Rettigheim. Hier schlossen sie sich der Prozession an, die sich von der Pfarrkirche zur neuen Kapelle bewegte. Dies unter Glockengeläut und Böllerschüssen. Dem zahlreich vertretenen Klerus stand der Dekan des Kapitels St. Leon, Pfarrer Götzinger, vor.“ Man hatte vor der Kapelle sogar eine provisorische Kanzel errichtet, damit der Prediger auch einigermaßen gut zu sehen und zu hören war. Heute erzählt man sich noch in Rettigheim, dass viele Besucher auf die Bäume kletterten, um das Weihegeschehen besser verfolgen zu können. Zum Abschluss des Tages organisierte der Rettigheimer Militärverein bei Einbruch der Dunkelheit einen Fackelzug zur Kapelle, begleitet von
Gesang und Böllerschüssen.