Im Jahr 2024 starben in Baden-Württemberg 195 Personen an den Folgen ihres Rauschgiftkonsums. Das sind 38 Prozent mehr als im Vorjahr und ist damit der höchste Wert seit 20 Jahren. Auffällig ist vor allem der zunehmende Drogenkonsum bei jungen Menschen. Von den 12- bis 17-jährigen Jugendlichen haben im Jahr 2023 deutschlandweit 10,4 Prozent und von den 18- bis 25-jährigen Erwachsenen 46,4 Prozent Cannabis zumindest einmal ausprobiert.
Besorgniserregend ist auch die Zunahme chemisch erzeugter Drogen, von denen eine große gesundheitliche Gefahr für die Konsumenten ausgeht, die oft nicht wissen, was sie tatsächlich und in welcher Dosis konsumieren. Fentanyl beispielsweise wirkt um ein Vielfaches stärker als Heroin. Hinzu kommt eine schnelle und dramatische Verschlechterung der sozialen Situation.
Um Drogenabhängige von ihrer Sucht wegzubringen, bedarf es großer medizinischer, psychischer und sozialer Anstrengungen. Es reicht nicht, dass Drogenabhängige „entgiftet“ werden, was im PZN geschieht, sie müssen vor allem in die Lage versetzt werden, ihren Alltag zu bewältigen, genauso wie ihre Psychosen, die sie häufig im Laufe der Erkrankung entwickeln.
Um suchtkranke Menschen nach der Entgiftung mit maßgeschneiderten individuellen Konzepten behandeln zu können, errichtet der „Baden-Württembergische Landesverband für Prävention und Rehabilitation“ (bwlv) zurzeit auf dem Gelände des PZN eine der modernsten Reha-Kliniken für die Behandlung drogenabhängiger Menschen im Alter von 18 bis 35 Jahren. Das Richtfest fand dieser Tage statt, die Eröffnung ist für Oktober 2026 geplant. Hier bekommen in Zukunft rund 100 Patienten eine zeitlich begrenzte Übergangshilfe durch ärztlich verordnete Ersatzmedikamente. Diese sollen gesundheitliche Risiken verringern und sie in die Lage versetzen, einem Beruf nachzugehen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Suchtkranke Eltern können ihre Kinder mit in die Klinik bringen, wo sie in einem eigenen Kindergarten oder an externen Schulen betreut werden. Mit gezielten Eltern-Kind-Aktivitäten werden die Kompetenzen in Erziehung und Interaktion gefördert. Nicht selten leiden junge Patienten mit einer Cannabis- zusätzlich an einer Internetabhängigkeit. Für sie gibt es ein Angebot, den Umgang mit Medien zur Alltagsbewältigung zu erlernen.
Die positiven Wirkungen von Sport und Bewegung auf körperliche und seelische Erkrankungen sind bekannt, sie helfen auch Suchtkranken wieder zu sich selbst zu finden, Regeln zu akzeptieren, Wutausbrüche in den Griff zu bekommen und Ausdauer zu trainieren – alles Eigenschaften, die im Alltags- und Berufsleben wichtig sind. In der zweiten Hälfte der Behandlung werden Patienten angehalten, auch Sportangebote der ortsansässigen Vereine wahrzunehmen. Beim Malen, Gestalten von Collagen und Bildhauerarbeiten werden Eigenaktivität, Selbstwahrnehmung und Kreativität gefördert. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, neue Materialien und Medien zu entdecken und mit ihnen experimentell umzugehen.
Die selbstständige Einrichtung wird eng mit dem PZN Wiesloch und dem Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim zusammenarbeiten, um neueste Erkenntnisse der Forschung in den Behandlungsalltag zu integrieren. Die Digitalisierung wird breiten Raum einnehmen, dabei geht es nicht nur um die Patientenakte und -dokumentation, sondern auch um Therapiesteuerung und -controlling. Betroffene, Suchtberatende und Behandler nehmen während und zum Abschluss der Behandlung an Videokonferenzen teil. Zur Vorbereitung auf ihre berufliche Wiedereingliederung arbeiten die Patienten in einer virtuellen Übungsfirma.
Der Standort auf dem Klinikgelände des PZN ermöglicht es, die bestehende Infrastruktur zu nutzen, wie Energieversorgung, Zufahrtsstraßen und Parkplätze, Zentralküche und -wäscherei und die Sportstätten. Der ärztliche Bereitschaftsdienst des PZN wird die Sicherheit der Patienten und Mitarbeiter abdecken.
Oliver Kaiser, Geschäftsführer der BWLV, wies bei der Begrüßung der Richtfest-Gäste darauf hin, dass der Zeitplan bisher eingehalten wurde, was bei dem steigenden Bedarf an Behandlungsplätzen von großer Bedeutung sei. In die neue Fachklinik, die zwei veraltete Häuser ersetzt, werde man 21 Millionen Euro investieren. Möglich sei dies aber nur durch zur Verfügung gestellte Drittmittel, das sind fünf Millionen Euro von der Eva-Mayr-Stihl-Stiftung und 1,5 Millionen durch die Dietmar-Hopp-Stiftung. Oberbürgermeister Dirk Elkemann hob hervor, dass die neue Suchtklinik ein weiterer Baustein sei, um Patienten nach der Akutbehandlung im PZN engmaschig zu helfen und Hilfestellung bei der Wiedereingliederung zu leisten.
Bernhard Bauer, Geschäftsführer der Bauunternehmung „Diringer & Scheidel“ dankte den Bauherrn für das Vertrauen, das sie in seine Firma gesetzt hätten. Zum Schluss sprach der Polier Andreas Imparato den Richtspruch: „Ein Ort, der Hoffnung neu entfacht und Wege in die Zukunft macht.“ Nachdem sein Glas am Boden zerschellt war, wurde die Richtkrone unter Trompetenklängen nach oben gezogen. (aot)