Ein insgesamt beeindruckendes, wenn auch in gewissen Abschnitten weniger überzeugendes Eröffnungskonzert des Belcanto Opera Festivals „Rossini in Wildbad“ erlebten die zahlreichen Besucher am Donnerstagabend auf dem Turm des Baumwipfelpfades. Mit Blick auf die umliegenden Wälder und die untergehende Abendsonne kam Gioachino Rossinis „Messa di gloria“ für Soli, Chor und Orchester unter der musikalischen Leitung von José Miguel Pérez-Sierra zur Aufführung. Das einstündige, in Rossinis fruchtbarster wie experimentierfreudigster Opernphase der Neapolitaner Jahre 1820 komponierte Werk vereint tiefe Vergeistigung wie jubelnden Wohlklang. Bei der sakralen Komposition handelt es sich um eine Art „Messe light“, bestehend aus den alleinigen „Kyrie“ und „Gloria“, ohne die übrigen liturgischen Teile „Credo“, „Sanctus“ und „Agnus Dei“. Damit lässt sich auch der eher weltliche, glorifizierende Charakter der Huldigungsmesse und deren opernhafter Stil erklären. Gerade diese, wie von Licht durchflutete, transzendentale Offenheit und die zum Teil engelsgleichen Chorpassagen, die lediglich im „Qui tollis“ dramatische Züge annehmen, prädestiniert sie für den in den Himmel ragenden Aussichtsturm als idealen Aufführungsort.
Der durchgängig überzeugende Philharmonische Chor Krakau (Einstudierung: Piotr Piwko) setzte mit dem „Kyrie eleison“ und dem „Cum sancto“ einen glanzvollen Anfangs- und Schlusspunkt. Das von den beiden Tenören Mert Süngü und Patrick Kabongo innerhalb des „Kyrie“ gesungene „Christe eleison“ offenbarte jedoch bereits die Schwächen von Süngü, der sehr zurückhaltend und deutlich unter dem Niveau seines Partners agierte. Im anschließenden „Gloria“ übernahm Kabongo die Einwürfe des zweiten Tenors. Völlig unvorbereitet und entsprechend verkrampft wirkte Süngü schließlich in seinem Solo-Part des „Gratias“. Seinen Blick und seine Hände in keinem Moment vom Notenpult abwendend und emotional unberührt, quälte er sich durch die Danksagung, als ob ihm eine Zwangsjacke übergestülpt worden wäre. Befreiend sicher nicht nur für ihn, sondern auch für das Publikum, als er nach dem Auftritt wieder zwischen den anderen Solisten Platz nehmen durfte. Tröstlich, dass es bei diesem Ausfall blieb und die in Tokio geborene Yo Otahara mit klarer Artikulation und schöner Phrasierung davor das „Laudamus“ gestaltet hatte. Ihr weicher, dunkel angehauchter Sopran hatte jedoch nicht die für einen Lobgesang zu erwartende helle Strahlkraft. Stimmliche Höchstleistungen, vor allem in den extrem hohen Lagen, wurden Tenor Patrick Kabongo in den Solo-Passagen des „Qui tollis“ abgefordert. Kabongo meisterte die virtuosen Koloraturen bis zur brillanten Cabaletta „Qui sedes“ mit großer Hingabe. Erst im vorletzten Satz kommt Bassist Dogukan Özkan zur Geltung. Das von ihm mit sonorem Wohlklang interpretierte „Quoniam“ enthält auch eine längere virtuose Kadenz des Solisten, in die schließlich wieder das Orchester einfällt.
Zu den Glanzpunkten der Aufführung gehörte sicher neben dem „Qui tollis“ das „Domine Deus“, in welchem Otahara, Kabongo und Özkan dessen kontemplativen Charakter in Soli und Terzett sehr schön wiedergeben. José Miguel Pérez-Sierra führte das Orchester der Szymanowski-Philharmonie Krakau umsichtig und mit großem Augenmerk auf einer harmonischen Ausgewogenheit zwischen den Registern. Überhaupt sind die Orchesterpassagen immer wieder tragendes Element des Sakralwerks, mit melodisch wunderschönen Soli von Englischhorn im „Gratias“ und Klarinette im „Quoniam“. Vorausgegangen war der „Messa di Gloria“ die Ouvertüre zu Otello, dirigiert von Antonino Fogliani, dem musikalischen Leiter des Festivals. Mit ihren prächtigen Klangfarben passte sie gut zur triumphalen Einleitung von deren „Gloria“. Lange anhaltender Applaus strömte nach dem vom Winde getragenen letzten Ton von oben auf die Ausführenden. Olaf Zemanek vom Karlsruher Stadtbuch Verlag zeigte sich gegenüber dem Wildbader Anzeigenblatt beeindruckt: „Es war eine tolle Erfahrung, Rossini in diesem wunderbaren Ambiente über den Bäumen zu erleben – bei Abendsonne, sanftem Wind und leisem Vogelgezwitscher. Natur und Kultur verschmelzen in dieser Atmosphäre zu einem wahren Gesamtkunstwerk.“ (kf)
extra Kasten:
Im Rahmen des Eröffnungskonzertes zum diesjährigen Rossini-Festival auf dem Baumwipfelpfad wurde José Miguel Pérez-Sierra von Intendant Jochen Schönleber die besondere Ehrung „Il Rossini in Cima“ verliehen. „Seit zehn Jahren ist uns José Miguel eine wichtige Stütze“, betonte Schönleber. „Sowohl er als auch sein Kollege und musikalischer Leiter von ,Rossini in Wildbad', Antonino Fogliani, der im letzten Jahr die Auszeichnung erhielt, verstehen sich sehr gut mit dem Orchester“, führte er aus. Er wünschte dem in Madrid lebenden Spanier „alles Gute auf seinem weiteren Weg mit uns“. Wie dem Programmheft für „Messa di gloria“ zu entnehmen ist, „spürt Pérez-Sierra in seinen Interpretationen von Rossinis Werken dessen Melodien und Rhythmen nach und bringt sie zu voller Entfaltung“. Weiter ist dort zu lesen: „2013 debütierte er mit ,Ricardo e Zoraide' bei den Bad Wildbader Festspielen und kehrte seither – mit Ausnahme von 2014 und 2020 – jährlich in die Bäderstadt zurück. Er dirigierte hier acht Opern und verschiedene Konzerte. Damit gehört der kürzlich zum Direktor des Teatro Zarzuela in Madrid berufene Dirigent zum Urgestein des Festivals.“ Musikalisch vorangestellt wurde der Ehrung und der „Messa di Gloria“ die von Fogliani dirigierte Ouvertüre zu der Rossini-Oper „Otello“, in Bad Wildbad in ihrer Gänze 2008 von ihm geleitet. Sichtlich gerührt bedankte sich Pérez-Sierra mit einer innigen Umarmung bei seinem Kollegen. (kf)