Die gebürtige Durlacherin Mathilde Pfister, geb. Rohrer, Jahrgang 1930, berichtet den Leser*innen vom Wochenjournal Durlach, wie sie mit ihrer Familie die letzten Kriegsmonate erlebt hat. Wir stellen ihren Bericht in gekürzter Fassung vor.
Sie sagt: „Wir wohnten in der Eichelgasse. Da gab es keinen Keller, und so ging unsere Familie, als die Fliegeralarme immer häufiger wurden, abends zu Frau Wolfhard im Hause der Frau Dais in die Dürrbachstraße. Von da war es nicht so weit zu den Luftschutzkellern in den Bier- und Eiskellern in der Rittnertstraße.“
Sie berichtet weiter: „Am 4. Dezember 1944 ertönte die Sirene, als wir beim Abendessen saßen – Vor-Alarm! – Meine jüngere, 12 Jahre alte Schwester Annemarie, packte ihr Köfferle und rannte in die Rittnertstraße zum Luftschutzkeller. Da jedoch mein älterer Bruder Herbert, 16 Jahre alt, auf Heimaturlaub war, meinte unsere Mutter, wir sollten bei Frau Wolfhard bleiben." Wie aus den weiteren Schilderungen hervorgeht, ist Folgendes zu nennen: „Es dauerte nicht lange – Voll-Alarm! Draußen standen schon die 'Christbäume' am Himmel. So wurden die leuchtenden Markierungszeichen für die Flieger genannt, die die Abwurfstellen erkennen lassen sollten. Schon begann die Flak, so die gängige Abkürzung für die Flug- oder Fliegerabwehrkanone, auf dem Turmberg ihr fürchterlich donnerndes Abwehrfeuer und wir liefen schnell in den Keller. Das Haus war aus den Dreißiger-Jahren, eine Bombe hätte es da leicht gehabt. Da saßen wir nun, die drei Frauen, Herbert und ich. Wir hatten alle Angst. Die erste Bombe fiel dann auch in unmittelbarer Nähe an der Ecke Turmberg-/Dürrbachstraße in den Garten. Wir hatten Glück, es war ein Blindgänger.“
Weiter geht die Erzählung mit Folgendem: „Am nächsten Tag erfuhren wir, dass eine zweite Bombe vor dem Parkschlössle und eine bei der Stadtgärtnerei eingeschlagen waren. Doch dann haben die Flieger ihr Ziel, Karlsruhe, erreicht, wo sie ihre tödliche Last abwarfen und unzählige Menschen den Tod fanden. Durlach blieb verschont. Nach der Entwarnung gingen wir zu Annemarie in den Luftschutzkeller. Sie hatte nach ihrer Mutter geschrien und war erst zu beruhigen, als sie uns gesund sah.“
Wie man erfuhr, musste Herbert wieder fort. Er war als Luftwaffenhelfer Richtung Front verlegt worden. So heißt es in der Darstellung „Ein schwerer Abschied – würde man sich jemals wieder sehen? Wir blieben danach nicht in Durlach, sondern flüchteten zur Familie Straub, Verwandten meines Patenonkels nach Stetten bei Engen im Hegau. Der Patenonkel, Ludwig Riedmüller, war Bäcker bei Schillinger in der Neuensteinstraße. Unser Großvater fand bei Verwandten in Wolfratshausen eine Bleibe. Onkel Ludwig kam krank vom Krieg heim, Schillinger hatte 1941 die Bäckerei verkauft, und unser Onkel eröffnete in Grötzingen eine eigene Bäckerei, die er aber krankheitshalber nicht lange halten konnte. In der Nacht vom 12. auf 13. Dezember 1944 stiegen wir in Grötzingen in einen Zug Richtung Pforzheim, um nach Stetten zu gelangen. Das Wetter 1945 war eisig im Januar, dann kam ein sehr schöner Vor-Frühling, aber danach kamen im Mai die Eisheiligen! Am 1. Mai hatte unsere Mutter Geburtstag, mit Wintermantel und Handschuhen versuchten wir, einen Blumenstrauß unter der Eisdecke zu pflücken. Am 8. Mai 1945 war der unselige Krieg zu Ende und Mutter wollte mit uns so schnell wie möglich nach Hause.“
Mathilde Pfister erzählt weiter: „Die Heimfahrt am 12./13. Juni 1945 ist mir unvergessen. Viele Brücken waren kurz vor Kriegsende gesprengt worden. Die Schwarzwaldbahn war nicht mehr zu befahren. Karlsruhe war nur über Friedrichshafen, Ulm und Stuttgart zu erreichen. Zum Glück stand ein langer, offener, amerikanischer Güterzug, beladen mit leeren Benzinkanistern, in Ulm am Bahnhof. Er sollte bis Stuttgart fahren. Also kletterten wir auf einen Wagen, warfen unser Gepäck rein, räumten Kanister beiseite und hatten so einen tieferen Sitzplatz, und seltsam, grad als wir alle drei drin waren, tat es einen Ruck und der Zug fuhr los. Langsam erreichte er die Höhe der Schwäbischen Alb. Es wurde wieder Nacht, und auch wenn es Juni war, die Nacht im offenen Güterzug war kalt. Ich war tagelang heiser danach. Irgendwann sind wir vor Müdigkeit eingeschlafen. “ Weiter ging es in der Schilderung: „Es wurde früh hell und wir kamen auf Stuttgart zu. Die Leute in den Wagen waren wach geworden. Sie waren fröhlich, weil der Krieg aus war und sie sangen. Doch da kam das Viadukt bei Mühlhausen bei Stuttgart. Der Zug fuhr ganz langsam, das Singen verstummte, alle hatten Angst – ob die Brücke hält?! Sie hat gehalten. Überraschend fuhr der Zug weiter, auch die Brücke in Bietigheim hielt. Wir kamen nach Pforzheim, das wie Dresden im Februar 1945 total zerstört worden war. Nun waren wir schon im Pfinztal und bald werden wir daheim sein!, dachten wir.“
„Wir hatten wieder Glück! Ohne Ankündigung hielt der Zug direkt in Durlach. Wir haben schnell unser Zeug gepackt und sind rausgeklettert. Auf dem Bahnsteig stand ein französischer schwarzer Besatzungssoldat, der uns freundlich kontrollierte. Durch die Pfinzstraße liefen wir zur Eichelgasse. Das Haus stand noch, nichts fehlte! Wir hatten ja keine Kostbarkeiten und mein Schiedmayer Tafelklavier, das acht Zentner wog, hatte auch keiner mitgenommen. Nur in der Werkstatt fehlte Vaters Fräsmaschine. Die hatte sich der Schuhmacher-Kollege aus der Jägerstraße mit Erlaubnis eines Nachbarn, Herrn Schäfer, geholt. Er hat sie auch wieder rechtzeitig gebracht, denn am 12. August 1945 kam Vater halbverhungert heim. Herbert kam am 11. September 1945 aus russischer Gefangenschaft heim, der Großvater kam aus Bayern. Die Familie war wieder vollzählig!“ So ergehen sich die Schilderungen, bearbeitet von rist. (rist)