Geballte Kompetenz beim Männerfrühstück: Es referierten Herr Kai Müller – 17 Jahre bei „Stuttgarter Zeitung“ und „Nachrichten“, seit 3 Jahren Chefredakteur der „Nürtinger und Wendlinger Zeitung – und Redakteur Herr Andreas Warausch. Dieser ist der „Nürtinger“ seit seinem Studium treu geblieben und engagiert sich besonders für Zeitungsprojekte in Schulen und Kindergärten. Fake oder Fakt? In sozialen Medien werden immer mehr Falschmeldungen, Lügen und gefälschte Bilder verbreitet und in einen falschen Zusammenhang gestellt. Aus Sensationslust und Wichtigmacherei oder aus politischen Motiven würden Nachrichten erfunden, Teilwahrheiten aufgeblasen und schnelle Urteile gefällt, ohne sich zuvor zu vergewissern, was wirklich passiert ist. Die Referenten nannten mehrere Beispiele aus der Region, die für Aufsehen sorgten: den Busunfall beim Max-Planck-Gymnasium, dessen Ursache in den Medien schon feststand, bevor die Polizei sich ein Bild verschaffen konnte; „die Blutspur im Tiefenbachtal“, die sich als bloßer Wildunfall herausstellte, oder der „Hubschrauber-Einsatz an der Denkendorfer Raststätte“ mit angeblichen Schwerverletzten, der sich als medizinischer Notfall mit zufällig anwesendem Hubschrauber herausstellte. Durch solche Meldungen würden Gerüchte in die Welt gesetzt, die sich im Netz in Windeseile verbreiten. Sie bedienten die Sensationsgier und verstärkten Vorurteile, die in der jeweiligen Blase sowieso verbreitet seien. Aufgabe des Qualitäts-Journalismus sei es hingegen, sich vor dem Schreiben ein Bild von den Tatsachen zu machen, was oft mühselig und langwierig ist. Es gelte nachzufragen, aus welchen Quellen die Nachrichten stammen und zu überprüfen, ob diese den Tatsachen entsprechen. Dies falle immer schwerer, weil die digitalen Medien in sekundenschnelle Informationen hinausjagen, sodass die Zeitung nur noch hinterherhinken könne. Während die Redakteure früher oft 1 - 2 Wochen Zeit hatten, um einen Artikel zu recherchieren und zu verfassen, müssten sie jetzt sofort reagieren. Sie stehen also unter großem Zeitdruck. Außerdem gelte für den seriösen Journalismus auch heute noch der Grundsatz, dass Tatsachen und Meinungen streng zu trennen sind. Deshalb müssen die Kommentare in den Qualitätsmedien deutlich gekennzeichnet werden. Wenn sich der Journalist eine Meinung bildet, sollte er verschiedene Perspektiven berücksichtigen (auch die andere Seite hören!). Herr Müller und Herr Warausch wiesen immer wieder darauf hin, dass die Arbeit des Journalisten schwieriger geworden ist, nicht nur wegen der Konkurrenz der sozialen Medien, sondern auch durch Einsparungen in den Redaktionen und durch die Zusammenlegung von Zeitungen. Aktuell hat die Neue Pressegesellschaft, Herausgeberin der Südwestpresse, verschiedene Regionalzeitungen der Südwestdeutschen Medienholding übernommen, darunter Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten und Schwarzwälder Boten. Durch solche Konzentrationsprozesse werde die Meinungsvielfalt naturgemäß eingeschränkt. Sorgen bereitet den Journalisten auch das Verschwinden der Print-Ausgaben, welches auch dadurch befördert wird, dass sich ein Verlagshaus das Netz aus Zustellern nicht mehr leisten kann, wenn die Zahl der Abonnenten zurückgeht und die Kosten durch den Mindestlohn eher steigen. Im Anschluss an den informativen, aber höchst lebhaften, witzigen und dialogischen Vortrag kam es noch zu einer interessanten Fragerunde: z. B. erfuhren die Zuhörer, dass die „Nürtinger Zeitung“ fast alle Leserbriefe veröffentlicht (Nicht gedruckt werden Lügen, Blödsinn und Äußerungen, welche Gesetze und Menschenwürde verletzen), dass die beiden Redakteure zwar selbst keine direkten Angriffe erlebt haben, dass aber bei großen Demonstrationen besondere Polizeibeamte eingesetzt werden müssen, um Journalisten vor Übergriffen zu schützen. Deutlich wurde an diesem Männerfrühstücks-Vormittag, der auf breites Interesse stieß, wie wichtig ein guter Journalismus für eine lebendige Demokratie (als „Vierte Gewalt“) ist. Daneben fördert er vor Ort das Heimatgefühl, indem er ganz verschiedenen Menschen, Initiativen und Gruppen eine Stimme gibt.
Erich Schmidtblaicher