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Rutesheim im Zweiten Weltkrieg

In der Leonberger Kreiszeitung erscheint aktuell die Serie „ Stuttgart im Zweiten Weltkrieg “. Zahlreiche Fotos und Filmausschnitte aus dem Stuttgarter...
Emilie Duppel hinterließ 10 Kinder
Emilie Duppel hinterließ 10 KinderFoto: AK Geschichte vor Ort

In der Leonberger Kreiszeitung erscheint aktuell die Serie „Stuttgart im Zweiten Weltkrieg“. Zahlreiche Fotos und Filmausschnitte aus dem Stuttgarter Stadtarchiv werden hier anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren gezeigt.

Auch wir wollen mit einer Serie in vier Teilen an das Ende des Krieges in Rutesheim erinnern:

  • Teil 1 – Das Dritte Reich zwischen 1933 und 1944
  • Teil 2 – Fünf Tragödien zwischen dem 20. Februar und 20. April 1945
  • Teil 3 – Erinnerungen an die letzten Kriegsjahre in Perouse
  • Teil 4 – Das Kriegsende und der Einmarsch der Franzosen

Teil 2 – Fünf Tragödien zwischen dem 20. Februar und 20. April 1945

Viele Jahre war der Krieg weit weg. 1945 kam er erbarmungslos auch direkt in Rutesheim an – mit vielen Toten und Verletzten.

Ein entsetzliches Unglück geschah am 20. Februar 1945. An diesem Tag sollte beim Jagdgeschwader 53-PikAS bei der Rutesheimer Festhalle Unterricht an der Panzerfaust stattfinden. Die Kompanie war um 8 Uhr angetreten. Oberfeldwebel Schultheiß von der Stabsstaffel hielt eine Panzerfaust in der linken Hand, Spitze nach unten, gab noch einmal eine Erklärung zum Einführen von Zündsatz und Schlagbolzenansatz. Er sagte: „Beide Teile müssen so eingeführt werden, dass Loch auf Loch …“ Dies waren seine letzten Worte. Eine gewaltige Explosion erfolgte. Der Panzerfaustkörper war ihm in der Hand explodiert und hatte seinen Körper zerrissen. Die ganze Kompanie lag auf dem Boden. Es gab 9 Tote und 170 Schwer- und Leichtverletzte. Einige der Toten wurden auf unserem Rutesheimer Friedhof begraben.

Am 20. März 1945 stand Emilie Duppel am Küchenfenster ihres Hauses in der Heimerdinger Straße/Ecke Zeppelinstraße. Sie wurde von einem heranfliegenden Jagdbomber tödlich getroffen. Besonders tragisch: Sie hinterließ 10 Kinder im Alter von 1–21 Jahren. Und dies wenige Wochen vor Kriegsende.

Ein tragisches Unglück ereignete sich am 9. April 1945 im Bereich der Pforzheimer Straße. Gegen 9.30 Uhr flogen von Perouse her Jagdbomber und beschossen mit ihren Bordwaffen Gebäude und Menschen auf der Straße. Es schlug Rauch aus dem Dachladen des Hauses in der Pforzheimer Straße 14. Heu oder Stroh hatten auf dem Dachboden durch den Beschuss Feuer gefangen. Die Hausbewohner, Verwandte und Nachbarn wollten retten, was noch zu retten war. Man war bemüht, möglichst viele Möbel, Kleider und Gebrauchsgegenstände zu bergen. Tragisch: Am Abend zuvor hatten Soldaten auf dem Rückzug drei Fahrzeuge, die mit hochexplosiven Panzerfäusten beladen waren, in der Scheuer abgestellt. Als die Flammen die Panzerfäuste erreichten, gab es eine gewaltige Explosion.

Das Unglück verursachte einen großen Brand. Durch Funkenflug und brennende Holzstücke wurden noch weitere Häuser, vor allem an der Kirchstraße, der Pfarrstraße und der Pforzheimer Straße, in Brand gesteckt. Die Feuerwehren von Rutesheim und Leonberg waren bei der Brandbekämpfung angesichts des Flammenmeers überfordert, zumal der See nicht genügend Löschwasser hatte. 10 Wohnhäuser und 22 Scheunen wurden durch den Großbrand zerstört. Weitere Gebäude wurden durch den Jabo-Beschuss beschädigt. Zahlreiche Kühe und Pferde, die ihre Ställe verloren hatten, irrten durch die Straßen und mussten, wenn sie verletzt waren, erschossen werden. Mehrere Zivilisten erlitten durch den Beschuss der Jabos Verletzungen, andere verloren ihr Leben. Es starben Doris Berner,Rosa Länder, Friderike Kohler, Luise Renner (Schultheißenwitwe), Friedrich Binder, Gottlieb Schwarz und ein Mann aus dem Kreis Vaihingen, der sich an diesem Tag in Rutesheim aufhielt.

Einen Tag später, am 10. April 1945, flogen erneut zwei Jagdbomber von Perouse her der Autobahn entlang. Plötzlich machten beide eine scharfe Linkskurve und gingen im Sturzflug zum Angriff auf Rutesheim über. Im Tiefflug rasten die Flieger über die Häuser. In der Hofrainstraße im Haus des Karl Philippin drang eine Kugel durchs Küchenfenster und tötete den 8-jährigen Sohn Gerhard Philippin.

Ein weiterer schlimmer Unglückstag war der 20. April 1945. Es war der letzte Kriegstag in Rutesheim.

Dieser 20. April war ein wunderschöner Sonnentag, mit blauem Himmel, ohne Wolken. Um die Mittagszeit herrschte eine gespenstische Stille im Ort, man erwartete die „feindlichen Truppen“. Den ganzen Morgen schon flogen Aufklärungsflugzeuge über den Ort. Gegen 14.30 Uhr war es dann so weit – von allen Richtungen kamen französische Kolonialtruppen (überwiegend Tunesier und Marokkaner) in den Ort.

Im Teil 4 berichten wir ausführlich über das Kriegsende und den Einmarsch der Franzosen.

Gegen 17.30 Uhr an diesem Tag trafen sich sieben Nachbarskinder und junge Leute im Hof des Gasthauses Ochsen und erzählten sich gegenseitig ihre Tageserlebnisse. Die Unterhaltung wurde jäh unterbrochen, denn im selben Augenblick explodierte auf dem Pflaumenbaum im Hof eine Granate. Auf dem Scheunendach schlugen eine und auf dem Hof drei weitere Granaten ein. Es handelte sich um reine Splittergranaten mit Aufschlagszündern. Hunderte von Splittern flogen nach allen Richtungen. Durch den ungeheuren Luftdruck wurden die Kinder zu Boden oder an Häuserwände geworfen. Fensterscheiben splitterten. Große Staubwolken, die im Augenblick wie Rauchwolken aussahen, wirbelten hoch. Äste des Pflaumenbaums, Ziegel, Glasscherben und tote Hühner lagen im Hof und blockierten den Weg. Ein entsetzliches Geschrei der zum Teil schwer verletzten Kinder und jungen Frauen folgte der Explosion der Granaten. Fluchtartig verließen sie, soweit sie noch konnten, den Hof und suchten in der Nachbarschaft Unterschlupf.

Die 20-jährige Anna Berner wurde durch Splitter an der Halsschlagader schwer verletzt. Sie rannte noch verzweifelt ins Nachbarhaus, wo sie vor der Kellertreppe zusammenbrach und kurz darauf verblutete. Ihre neunjährige Schwester Else Berner wurde durch einen Splitter am Kopf verletzt. Die Familie Berner bewirtschaftete zu dieser Zeit den „Ochsen“. Das zweite Todesopfer war der 14-jährige Helmut Gölz, dem durch einen Granatsplitter die Schädeldecke vom Kopf abgetrennt worden war. Der 15 Jahre alte Gerhard Jüngling wurde am Knöchel schwer verletzt und ins Krankenhaus nach Karlsruhe gebracht. Die neunjährige Marianne Eisenhardt hatte einen Oberschenkeldurchschuss. Sie wollte auf dem gesunden Bein über die Holderstraße hüpfen, blieb aber entkräftet auf der Straßenkreuzung liegen. Ein Nachbar hörte ihr schmerzhaftes Schreien, eilte ihr zu Hilfe, brachte sie zu ihrem Haus und verständigte die Mutter. Als diese ihre verletzte Tochter geborgen wusste, suchte sie ihren 13-jährigen Sohn Werner, den sie im Keller des eigenen Hauses fand. Seine Tante hatte ihm bereits einen Notverband am Kopf angelegt. Sein Gesicht war blutverschmiert, ein Splitter war ihm in die Wange, ein zweiter ins Knie eingedrungen. Erst im Juli 1988 konnte der Splitter aus dem Knie von Werner Eisenhardt entfernt werden. Im Hof lag, sehr schwer am Bein verletzt, die 22-jährige Klara Gölz, die unter furchtbaren Schmerzen litt. Trotz des beständigem Beschusses gelang es, sie in den nächsten Luftschutzkeller zu verbringen. Ihre Schwester Rosa kam mitten in der Nacht mit einem französischen Offizier in den Luftschutzraum. Dieser ließ Klara in ein notdürftig eingerichtetes Lazarett im Gasthaus Hasen bringen. Sie wurde dort von einem französischen Arzt sehr gut behandelt, verpflegt und gegen morgen ins Krankenhaus nach Öschelbronn bei Pforzheim überführt. Nach acht Tagen musste ihr rechter Fuß amputiert werden, erst Ende September konnte sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Mitte Dezember bekam sie ihre erste Prothese.

Diese Geschehnisse in Rutesheim liegen nun 80 Jahre zurück. Wir wollen die Erinnerung wachhalten. Die vielen Opfer sollen weiterhin auch Mahnung für die Zukunft sein.

Harald Schaber

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Stadtnachrichten – Amtsblatt der Stadt Rutesheim
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Ausgabe 14/2025

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