Mit der Premiere des Stückes „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch wurde am Freitag die Spielzeit 2024/25 im „Theater am Puls“ eröffnet. Damit haben Regisseur Joerg Mohr und seine Assistentin Jana Schäfer angesichts der aktuellen Krisen, Kriege und zunehmenden Sympathien für radikale Kräfte ein brisantes Thema inszeniert. Denn auch heute möchte man manchmal alle schlechten Nachrichten ignorieren; aber dabei läuft man Gefahr, sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, indem man seiner Bequemlichkeit frönt, ohne die Gefahren der Selbsttäuschung zu hinterfragen.
Gottlieb Biedermann, ein wohlsituierter Haarwasserfabrikant, liest zu Beginn des Stücks Zeitung in seinem Wohnzimmer. Er echauffiert sich über die Meldungen von Brandstiftungen und findet, dass man die Brandstifter aufhängen müsse. Da steht plötzlich ein ungebetener stämmiger Gast im Zimmer, der sich als Josef Schmitz vorstellt, arbeitsloser Ringer, leider ohne Obdach. Er sagt, er habe Hunger und bitte um eine Schlafmöglichkeit – aus „Menschlichkeit“.
Da er sich nicht abweisen lässt, sondern mit Scherzen, plumpen Vertraulichkeiten und sentimentale Erzählungen über sein schweres Leben seinen Gastgeber einlullt, lädt Biedermann ihn zu einer Brotzeit ein, denn er sei ja kein Unmensch. Biedermann ahnt schon früh die wahre Absicht des Eindringlings, tut dies aber schnell als sonderbaren Humor ab und lässt Schmitz auf seinem Dachboden übernachten.
In der Nacht wird Biedermann durch laute Geräusche auf dem Dachboden geweckt und möchte Schmitz rausschmeißen. Doch da steht noch ein anderer Mann vor ihm, der ehemalige Kellner Wilhelm Eisenring. Die Beiden haben Benzinfässer auf dem Dachboden deponiert.
Die Absicht der beiden Männer, Biedermanns Haus anzuzünden, tritt immer offener zutage. Aber Biedermann ignoriert das weiterhin – trotz verschiedener Hinweise und Warnungen des Chors, dem Misstrauen seiner Frau, der Abneigung des Dienstmädchens Anna gegenüber den beiden Männern, selbst als die beiden Gäste gestehen, dass sie tatsächlich Brandstifter sind.
Als dann irgendwo der Himmel brennt, ist Biedermann erleichtert und sagt: „Zum Glück nicht bei uns“. Stattdessen reicht er seinen vermeintlichen Freunden sogar Zündhölzer. Draußen explodiert ein Gasometer und noch einer. Ein Lehrstück ohne Lehre, heißt die Überschrift bei Max Frisch aus der neutralen, „unabhängigen“ Schweiz.
Tatsächlich hat der Autor keine Lehre auf dem silbernen Tablett serviert, wie es manchmal sein Zeitgenosse Bert Brecht in seinen Lehrstücken tat, sondern regt zum Nachdenken an. Man stellt sich unweigerlich die unangenehmen Fragen: Wie viel Biedermann bin ich selbst? Und wie viel Brandstifter steckt in mir?
Für die Vorstellung war die Bühne als rotes Zimmer ausstaffiert. Links befand sich ein Fenster mit dem Bild einer Stadt und deutete Tageszeiten, Wetter und Himmel an. Rechts war ein Fahrstuhl, durch den die Protagonisten kamen und gingen.
Die hintere Wand war flexibel: Ein großer Teil konnte weggeschoben werden, wodurch der Blick auf den Dachboden als weiteren Raum freigegeben wurde. Das Mobiliar bestand aus nur einem Stuhl, später kam noch ein gedeckter Tisch hinzu. Die Inszenierung blieb sehr nahe am Originaltext des Klassikers. Das Stück „drückt Aktualität auf in der jetzigen Zeit,“ sagte Regisseur Joerg Mohr während eines Interviews.
Der Biedermann war seine 99. Inszenierung. Die Inszenierung sei etwas Besonderes, kommentierte Christoph Kaiser, der Biedermann in dem Stück. Mohr habe klare Vorstellungen, und er habe für die Darstellung eigenen Ideen einbringen können. Kaiser als Biedermann berührte. Wenngleich sich die sture, ignorante Haltung von Gottlieb Biedermann nicht änderte, sah man ihm an, wie viel Kraft ihn diese Naivität kostete. Kaiser überzeugte durch starke, passende Mimik, durch Gesten und Bewegungen sowie durch seine subtile Wandlung vom biederen Geschäftsmann zum besoffenen Gastgeber kurz vorm Untergang.
Max Rohland als Sepp Schmitz verkörperte von Anfang an einen unsympathischen Gesellen, der durch Unflätigkeit und völlig unzivilisiertem Benehmen wie Rülpsen, Senf aus der Tube essen, Grenzüberschreitungen auffiel – alles Dinge, die im Originaltext stehen und von dem Schauspieler so klar und eindringlich vor Augen geführt wurde, dass man als Zuschauer*in dachte, dass man mit dem nichts zu tun haben wollte.
Etwas Humor bitte! Dafür sorgte Karlheinz Schmitt als Wilhelm Eisenring, der schlaksige ehemalige Oberkellner mit mehr Anstand und „Bildung“ als sein Kumpane Schmitz, den er auch immer wieder zurechtwies. Die Rolle habe ihm viel Spaß gemacht, gestand Schmitt später, denn er konnte einmal alles zeigen, was man normalerweise nie zeigen könne.
Frisch, jung, spritzig, laut und stets Kaugummi kauend stellte Marie Eberhardt als Dienstmädchen Anna einen Kontrast dar zu den düsteren Figuren von Biedermann und den Brandstiftern. Das Stück wurde am 29. März 1958 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Mit der Figur der Anna gelang der Schauspielerin ein erfrischender Transfer in die Gegenwart, was wiederum die Aktualität des Stückes unterstrich.
Und da war noch Babette, gespielt von Susanne von Grumbkow. Sie war die herzkranke Gattin von Biedermann, die von niemand so richtig ernst genommen wurde und sich auch mit ihren Bedenken den Fremden gegenüber nicht durchsetzen konnte. Durch ihre feine Mimik wirkte sie menschlich. Zu erwähnen sei noch Uwe von Grumbkow, der mehrere Nebenrollen spielte und seine Verwandlungsfähigkeit zeigte. Überraschend konzipiert für die Vorstellung war der Chor, den Max Frisch im Stil griechischer Tragödien in sein Stück eingeflochten hatte, um das Geschehen zu kommentieren und Warnungen auszusprechen.
Regisseur Joerg Mohr hat hierfür vier Kinder in Feuerwehruniformen ausgewählt. Ihr gleichzeitiges Sprechen, ihre synchronen Bewegungen wirkten befremdend und hoben sich geschickt ab von der eigentlichen Handlung – eine hervorragende schauspielerische Leistung der Kinder.
Im Theater am Puls ist es Usus, dass man nach der Vorstellung zum kommunikativen Austausch, auch mit Regisseur und Assistenz sowie den Darstellenden, eingeladen wird. Die Resonanz auf das Stück war durchweg positiv. Als sehr gelungen, vor allem die Modernisierung durch Andeutungen zum Beispiel durch gesummte Lieder, fand André Zimmermann, FSJler im Theater, das Stück.
Lehrerin Birgit Schillinger war inspiriert, das Stück mit ihren Deutsch-Klassen anzuschauen und dabei die Frage zur Diskussion zu stellen, wer denn die Brandstifter in unserer Gesellschaft sind. Sie gab zu, dass sie auch die Verhaltensweisen von Biedermann durchaus verstehe. Nico Davis, ein Besucher, meinte, dass alle ein bisschen Biedermann und auch ein bisschen Brandstifter seien.
Eine andere Besucherin, die ihren Namen nicht nennen wollte, fasste das Verhalten von Biedermann kurz und bündig zusammen mit den Worten: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ So richtig unberührt blieb niemand der Zuschauer*innen im ausverkauften Theater. Die nächste Vorstellung des Stücks findet am Sa., 19. Oktober, um 19.30 Uhr statt; sie ist jedoch bereits ausverkauft. Für die Aufführungen am So., 17. November, und am Fr.,13. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr, gibt es noch Karten. (rw)