Dr. Albrecht Ernst, der stv. Leiter des Hauptstaatsarchivs in Stuttgart führte am 10. April 2025 eine höchst interessierte Gruppe des Vereins für Heimatpflege Gerlingen e. V. in die der Allgemeinheit nicht zugänglichen bis ins 3. Untergeschoss reichende Schatzkammer unseres dokumentären Kulturerbes. Von der Goldenen Bulle aus dem Jahr 1356, die als UNESCO-Weltdokumentenerbe geschützt ist, über die Beförderung von Kurfürst Friedrich zum König von Württemberg mit der Unterschrift Napoleons bis zu den manchmal delikaten Unterlagen zur Aufhebung der Immunität von Landtagsabgeordneten finden sich hier Bücher, Dokumente und Urkunden aus 900 Jahren südwestdeutscher Geschichte. So auch das 1732 bis 1754 in 67 Bänden von Johann Heinrich Zedler herausgegebene „Große vollständige Universallexikon aller Wissenschaften und Künste“ als höchst beeindruckender Vorläufer unseres Brockhaus.
Dr. Ernst zeigte zur besonderen Freude nicht nur unseres Gerlinger Archivleiters Klaus Herrmann und unseres Altbürgermeisters Albrecht Sellner zahlreiche Archivalien mit Gerlingen-Bezug. Dazu gehörte der uns bislang unbekannte, schön colorierte Bauantrag aus dem Jahr 1720 für das um 1963 abgerissene alte Pfarrhaus und ein Vermerk des Innenministeriums von 1958 mit Bedenken gegen die dann aber doch erfolgte Stadterhebung Gerlingens, „weil es mehr dörfliches als städtisches Gepräge habe“.
Beeindruckend war auch die überraschend umfangreiche Akte zum Wengerter Hans Keil, der 1648 im letzten Jahr des 30-jährigen Krieges berichtete, er habe in seinem Weinberg Engelserscheinungen gehabt. Die weitreichenden politischen und kirchlichen Reformforderungen, die ihm der Engel (vermutlich aber der damalige Gerlinger Pfarrer) untermalt von blutenden Weinreben angeblich auftrug, sorgten für erhebliche Unruhe nicht nur in Württemberg, sondern dank gedruckter Flugblätter bis weit nach Norddeutschland. Im Staatsarchiv finden sich nicht nur die umfangreichen Vernehmungsprotokolle, professorale Gutachten zur Wahrscheinlichkeit eines Engelsauftritts und schließlich sein Lügen-Geständnis und das Gerichtsurteil mit lebenslanger Verbannung ins badische Ausland.
Zahlreiche Fragen und zum Schluss langanhaltender Beifall zeigten, wie gut Dr. Ernst mit seiner fachlich fundierten und zugleich unterhaltsamen Führung unseren Wissensdurst gestillt hat.
Jürgen Wöhler
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de