Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat die Schließung von 18 Notfallpraxen bekanntgegeben, die über die nächsten Monate vollends vollzogen werden soll. Davon betroffen sind auch die Standorte Nagold und Herrenberg. Noch versuchen verschiedene Akteure, dies zu verhindern.
Das Problem hinter der Schließung ist kein Neues: Es mangelt an Ärzten. „Unser Problem ist die Aufrechterhaltung der Regelversorgung, also der Versorgung zu den Sprechzeiten der Haus- und Facharztpraxen“, erklärt die Kassenärztliche Vereinigung auf Nachfrage. „Hier werden die Versorgungsengpässe immer größer, so dass wir im Bereitschaftsdienst handeln müssen.“ Bereits heute könnten knapp 1.000 Hausarztsitze nicht besetzt werden. Hinzu kommt: „Uns steht eine Ruhestandswelle bevor. Etwas mehr als 20 Prozent unserer Hausärzte ist älter als 65 Jahre und damit in einem Alter, in dem sie in jedem anderen Beruf in den Ruhestand wechseln würden.“ Und noch ein weiterer Aspekt spielt rein, wie die Kassenärztliche Vereinigung weiter ausführt: „Wir haben immer mehr Angestellte. Das ist im Bereitschaftsdienst problematisch, da Angestellte keiner Dienstpflicht unterliegen. Das bedeutet, dass die Dienstpflicht beim Praxisinhaber liegt, wodurch es noch einmal unattraktiver wird, eine Praxis selbstständig zu führen.“ Daraus ergibt sich eine ebenso einfache wie ernüchternde Konsequenz: Es fehlen künftig schlichtweg die Kapazitäten. „Wir gefährden die Regelversorgung, wenn wir keine Anpassungen vornehmen.“
Die Auswahl der Bereitschaftspraxen, die geschlossen werden, erfolgte auf Basis mehrerer Kriterien: In jedem Stadt- oder Landkreis gibt es mindestens eine allgemeine Bereitschaftspraxis, die Praxen müssen an einem Krankenhausstandort mit einer Notaufnahme angesiedelt sein, 95 Prozent der Bevölkerung sollen in 30 Fahrminuten mit dem PKW eine Praxis erreichen und alle müssen in 45 Fahrminuten eine Bereitschaftspraxis erreichen. All diese Eckpunkte seien noch gegeben, wenn die Bereitschaftspraxen in Nagold sowie Herrenberg geschlossen werden. Im Landkreis Calw gibt es weiterhin die Bereitschaftspraxis in Calw, im Landkreis Böblingen bleiben die Praxen in Sindelfingen und Leonberg sowie die Kinderbereitschaftspraxis in Böblingen bestehen.
Den Betroffenen in Nagold und Herrenberg reicht das aber nicht aus. Oberbürgermeister Nico Reith übergab in Stuttgart am Mittwoch, 22. Januar, über 12.000 Unterschriften der Petition zum Erhalt der Notfallpraxis in Herrenberg persönlich an Dr. Doris Reinhardt, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Die Petition, die von Bürgern der Region mit großem Engagement vorangetrieben wurde, verzeichnete eine beeindruckende Anzahl an Unterstützern. Mit den gesammelten Unterschriften wird ein klares Signal für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Herrenberg und der umliegenden Region gesendet. „Die Notfallpraxis ist ein unverzichtbarer Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung in unserer Stadt. Ihr Erhalt ist ein zentrales Anliegen, das uns alle betrifft“, betont Nico Reith. Er dankt allen Bürgern, die mit ihrer Unterschrift dazu beigetragen haben, diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen.
Die Initiative entstand vor dem Hintergrund der Ankündigung, dass die Notfallpraxis in Herrenberg möglicherweise ab November 2025 geschlossen werden könnte. Dies hatte in der Bevölkerung Besorgnis ausgelöst, da der Zugang zu medizinischer Versorgung außerhalb regulärer Öffnungszeiten eine essenzielle Rolle spielt. Mit der Übergabe der Petition wird an die KVBW appelliert, die Bedeutung der Notfallpraxis für die Region zu berücksichtigen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um die medizinische Grundversorgung vor Ort weiterhin zu gewährleisten. Dr. Doris Reinhardt, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) teilte mit, dass eine Bürgerinformationsveranstaltung in Herrenberg geplant sei.
Auch Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann hat von der KVBW gefordert, ihren Entschluss zu revidieren. „Ich war bei mehreren Veranstaltungen des Städtetages und des KVBWs und habe unsere Position dort erklärt. Die Stadtverwaltung Nagold zieht auch juristische Schritte in Erwägung, wobei ich es sehr begrüße, dass der Klinikverbund Südwest beabsichtigt, gegen diese Schließungen in Herrenberg und Nagold vorzugehen.“ Die Gespräche seien noch nicht beendet und der Oberbürgermeister stehe weiter im Austausch mit dem KVBW, dem Klinikverbund Südwest und dem Landkreis.
Die Bürger Nagolds haben ebenfalls ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. „Sie sind zum einen besorgt wegen längerer Anfahrtswege und zum anderen wegen der Konzentration durch wenige Standorte, die dann auch längere Wartezeiten auslösen wird“, berichtet Großmann.“ Die Bürgerschaft empfindet diese Schließung als signifikante Schwächung ihrer medizinischen Versorgung.“ Das Nagolder Krankenhaus sei Schwerpunktkrankenhaus mit den entsprechenden Bereitschaftsdiensten, wo auch die Integrierte Notfallversorgung vorgehalten werde, „weshalb es großen Sinn macht, die Notfallpraxis am Standort Nagold aufrecht zu erhalten“.
Die KVWB nehme die Schreiben ernst, teilt die Vereinigung mit, und prüfe, „ob es Argumente oder Lösungsvorschläge gibt, die wir bisher nicht gekannt oder berücksichtigt haben“.