Bei der vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge und der Stadt Gerlingen veranstalteten Feierstunde zum Volkstrauertag in der Jahnhalle stand die Gedenkansprache in diesem Jahr unter der Überschrift „Schritte zum Frieden“. Beeindruckend waren auch die Redebeiträge der Schülerinnen und Schüler der Realschule Gerlingen, in denen die Erlebnisse und Empfindungen von Menschen zu Wort kamen, die Krieg, Gewalt und Leid selbst erlebt haben.
Zur Feierstunde zum Volkstrauertag konnte der erst vergangene Woche neu eingesetzte Ortsbeauftragte des Volksbundes Frank Oliver Jutz zahlreiche Gäste in der Jahnhalle begrüßen, unter ihnen Bürgermeister Dirk Oestringer, der ehemalige Vizepräsident des Europäischen Parlaments Rainer Wieland, der Landtagsabgeordnete Konrad Epple, der Gerlinger Ehrenbürger und Bürgermeister im Ruhestand Albrecht Sellner, Bürgermeister in Ruhestand Georg Brenner, der Leiter des Stadtarchivs, Klaus Herrmann, Gemeinde, Kreis- und Jugendräte und Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Der heutige Volkstrauertag sei für ihn eine Premiere, erklärte Jutz und bat darum, ihm zu verzeihen, falls noch nicht alles so gut klappe wie bei seinen Vorgängern. „Ich bin noch dabei zu lernen.“ Gleichzeitig dankte Jutz allen Mitwirkenden der Feierstunde, angefangen beim Diakon in Rente und Projektleiter des Gustav-Adolf-Werkes (GAW) Hilfstransporte Osteuropa und Ukraine, Ulrich Hirsch, den Musikern des Musikvereins Stadtkapelle Gerlingen unter der Leitung von Hermann Röser, dem Jugendkammerchor der katholischen Kirche unter der Leitung von Cornelia Karle sowie den Vertretern des Deutschen Roten Kreuzes, der Feuerwehr und der Bundeswehr und dem städtischen Hauptamt für ihre Unterstützung bei der Veranstaltung.
„Ich bin gegen Krieg und gegen das unendliche Leid, das durch Krieg entsteht“, erklärte Jutz und hielt fest, dass die Welt durch das Ergebnis der Wahl in den USA nicht sicherer geworden sei. Weiter stellte Jutz fest, wie schön es doch wäre, wenn die Vision von Micha vor 3.000 Jahren – die in der Bibel niedergeschrieben sei, Wirklichkeit würde. Jener Micha, der davon sprach, dass die Menschen lernen würden, nie mehr Krieg zu führen, und dass Schwerter zu Pflugscharen würden. „Stellen Sie sich vor, dass statt gewaltiger Aufrüstungsprogramme abgerüstet wird, weil man die Waffen nicht mehr braucht.“ Dass aus Eisen Hilfsmitteln würden, um den Boden und die Ernte einzubringen, und dass ein Leben ohne Angst vor Krieg und Gewalt möglich wäre. An der Stelle danke der neue Ortsbeauftragte des Volksbundes allen, die zu der Feierstunde in die Jahnhalle gekommen waren und damit ein Zeichen gegen Krieg und Gewalt setzen würden und auch all jenen, die im täglichen Leben dabei mithelfen, dass sich Mobbing, Hass und antidemokratische Tendenzen nicht ausbreiten können. „Vielleicht gelingt es mit Ihrer Hilfe, dass Schwerter wirklich zu Pflugscharen werden.“
Ulrich Hirsch hatte seine Gedenkansprache mit „Schritte zum Frieden: Vertrauen wagen – Brücken bauen – Verantwortung leben“ überschrieben. „Áldás, Békesség – Segen und Frieden.“ Mit diesen Worten würden sich Menschen der ungarisch-reformierten Kirche begrüßen, hielt Hirsch eingangs seines Vortrags fest. „Gibt es Besseres, als dass Menschen sich mit solchem Wunsch begegnen? Gibt es Wichtigeres am Volkstrauertag, als davon zu reden? Áldás, Békesség“. Eine Kostprobe von diesem Wunsch habe er am 31. Oktober erlebt, nachdem der 50. Hilfstransport, der im Auftrag des GAW in die Ukraine geschickt wurde, beladen war. Mit zehn Menschen sei er danach zum Abschluss der Arbeit beim Essen in einem Gasthaus gewesen. „Am Tisch herrschte eine vertrauensvolle Atmosphäre”, erzählt Hirsch. „Die meisten kennen sich von früheren Lkw-Beladungen.“ Fünf Sprachen seien zu hören gewesen – Englisch, Russisch, Ungarisch, Deutsch und Ukrainisch. Drei geflüchtete Ukrainer aus Odesse, Butscha und Charkiv und ein aus Transkarpatien geflüchteter Ungar seien mit sechs Deutschen am Tisch gesessen. Das, habe er zu seinen Tischnachbarn gesagt, sei doch ein Stück praktizierten Friedens in chaotischer Kriegszeit. „Können so Schritte zum Frieden aussehen? Wenn Menschen mit unterschiedlichen Biografien und Kulturen miteinander reden, essen und anpacken“, so der Referent.
Und weiter: „Heute sind es 408 Tage seit Beginn des kriegerischen Infernos in Nahost. Am 19. November sind es 1.000 Tage seit Beginn des Ukraine-Krieges mit unfassbarem Leid und Zerstörung. Namen wie Butscha, Chan Yunis, aber auch Beirut, Mali, und andere wecken in uns Bilder des Grauens mit Flucht und Vertreibung. Schon einmal war es so ab 1938, auch im November, als in Deutschland Synagogen brannten. Bei manchen Älteren unter uns tauchen da dunkle Schatten der Kindheit auf. Die Folgen der Kriege damals und heute: Millionen von Toten, Verlust der Heimat, entsetzliches Leid. Aber jeder getötete Soldat – egal mit welchem Pass – ist einer zu viel! Daran hängen doch Familien, Schicksale, Völker! Nicht zu vergessen die Millionen von Geflüchteten. Mehr noch: Mitten unter uns Anschläge und Gewalt-Verbrechen. Städte wie Solingen, Mannheim oder Kassel erinnern daran. Wie kommen wir heraus aus der Spirale von Hass, Hetze und Gewalt? Schritte zum Frieden gelingen da, wo wir Vertrauen wagen, Brücken bauen und Verantwortung leben!“, so Hirsch weiter.
Vertrauen werde beginnen, wenn der Gegenüber erkennt, dass man ihm freundlich begegnet und ihn nicht ins „offene Messer“ laufen lässt. Dazu gehöre, dass man andere annimmt, so wie sie sind. „Vertrauen wagen” lautete die Losung des DDR-Kirchentages 1983. Seit damals wagten es DDR-Bürger, aufzubrechen, Brücken zu bauen zu Vopos und Soldaten der NVA.“ Im Sommer 1989, noch vor dem Mauerfall, habe Klaus Peter Hertzsch in Jena gedichtet: „Vertraut den neuen Wegen und wandert in die Zeit! Gott will, dass ihr ein Segen für seine Erde seid. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit“
Hans Rosenthal, den beliebten Entertainer der Quizsendung „Dalli Dalli” habe man am Ende seines Lebens nach dem Grund seines Erfolgs gefragt. Seine Antwort: „Man muss die Menschen mögen!“ Und Hirsch verwies auch an einen 20-Jährigen namens Norbert: „Er war Konfirmand unseres Partners, Pfarrer Péter Szeghljánik, in der Westukraine. Mit Beginn des Ukraine-Krieges muss er zwei Jahre an die Front, mit traumatischen Erfahrungen. Nach einer Woche Heimaturlaub versteckt er sich vor der Militärbehörde. Vor wenigen Wochen wurde ihm die Verantwortung für ein Hilfsgüter-Depot im ungarischen Ausland anvertraut. Seine panische Angst vor Drohnen und Panzern weicht langsam. Sie lässt zunehmend Raum für Vertrauen und Lebensmut.“
Im Herbst seien bei der UNO Vollversammlung in New York alle Staaten beieinander gesessen – darunter auch Vertreter von Kriegsparteien. „Aber sie vermögen es nicht, Gespräche aufzunehmen und die Waffen endlich zum Schweigen zu bringen! Hilflos müssen wir zusehen! Wie enttäuschend! Auch im Blick auf die fatalen Folgen für Städte, Länder und das Ökosystem unserer Erde! Ohne Vertrauen ist konstruktives Miteinander nicht möglich. Das haben auch die letzten Tage im politischen Berlin gezeigt.“
Wer dagegen Vertrauen wage, werde aufbrechen und versuchen Brücken zu bauen. Wer Vertrauen wage, werde darüber nachdenken, wie er die „andere Seite“ erreicht. Dazu brauche es „Brückenbauer“ – im mehrfachen Sinn des Wortes. Früher hätten Menschen zum Überqueren großer Flüsse Fähren benutzt. Mit ihnen konnte man von einem Ufer zum anderen „übersetzen“. Wer heute den Begriff „übersetzen“ verwendet, denkt zuerst an das Verstehen einer Fremdsprache. Dafür braucht es Dolmetscher oder „Übersetzer“. Weil aber Fähren nur begrenzt zum Einsatz tauglich waren, baute man mit zunehmenden technischen Kenntnissen Brücken. Sie verbinden auf Dauer das eine mit dem anderen Ufer. Solche „Brückenbauer“ im tieferen Sinn braucht es unter Menschen. Ob als Diplomaten, Handwerker, Seelsorger, Lehrerin oder Angestellte in Büros und Einkaufszentren, als Schülerinnen und Lehrlinge – vor allem aber als „Menschen wie DU und Ich“, als Nachbarn, Klassenkameraden oder Vereinskollegen.
Wer Vertrauen wage, wolle auch wissen, wie es andern geht, werde Risse kitten und Gräben – auch von Vorurteilen – zuschütten. Wer Vertrauen wage, widerstehe der Gewalt, stemme sich gegen Hass und Hetze in der Öffentlichkeit. „In einer Zeit mit vielen Fremden unter uns ist dazu Bildung erforderlich für ein friedliches Zusammenleben.“
Zwangsläufig stehe die Frage im Raum, wie wir mit Geflüchteten unter uns umgehen. „Stellen wir ‚Schutzzäune‘ auf und bauen meterhohe Mauern – auch in unseren Köpfen? Oder vollziehen wir eine Wende in unserem Herz, wie ein Priester im Zweiten Weltkrieg.“ Damals hätten französische Soldaten einen getöteten Kameraden zum Friedhof gebracht, um ihn dort zu begraben. Der Priester habe erklärt, dass es ein katholischer Friedhof sei und gefragt, ob der Kamerad katholisch sei. Als seine Kameraden erklärt hätten, dass sie das nicht wissen, habe der Priester das Begräbnis auf dem Friedhof nicht erlaubt. Seine Kameraden begruben ihn daraufhin außerhalb des Friedhofzauns. Am nächsten Tag suchten sie das Grab, fanden es aber nicht mehr. Beim enttäuschten Weggehen sei der Priester auf sie zugekommen und habe ihnen erzählt, dass er es nicht übers Herz gebracht habe, den toten Soldaten außerhalb des Friedhofes begraben liegen zu lassen, nur weil es nicht zulässig war. Also hat er frühmorgens den Zaun versetzt, um das Grab des Soldaten in den Friedhof einzuschließen. „Wenn es schon bei Friedhöfen notwendig ist, Zäune niederzureißen, wie viel mehr unter Menschen, Religionen und Nationen.“
In seiner Rede hielt Hirsch weiter fest, dass der, der Vertrauen wagt und Brücken baut, auch Verantwortung übernehmen wird. Er werde sich einsetzen für Gerechtigkeit in allen Beziehungen und Ebenen. Dazu gehöre auch ein sensibler Umgang mit anvertrauten Gütern. Genau das habe er in Gerlingen erlebt. „Im August 2023 haben wir an der Realschule Gerlingen nicht mehr benötigte Schulmöbel für die Weiterverwendung in der Ukraine geladen. Bei diesem 19. Truck im zweiten Kriegsjahr hat der Erste Beigeordnete Stefan Altenberger eine symbolische Übergabe vorgenommen. Anfang November 2024 hat die Gerlinger Pestalozzi-Schule weitere Schulmöbel für die Ukraine angeboten. Eindrucksvolle Beispiele, wie Verantwortung in Ihrer Stadt wahrgenommen und gelebt wird.“ Jeder Mensch sei eingeladen, Verantwortung zu leben.
„Gaben sind Aufgaben. In diesem Sinne gilt es, eigene Fähigkeiten einzusetzen und nutzbar zu machen – zum Wohl des Ganzen, zum besseren Verstehen und Zusammenleben.“ So sei Abbau von Misstrauen und Angst möglich. Solches Handeln geschehe schon jetzt. Menschen würden Verantwortung übernehmen als Abgeordnete oder Stadträte, als Chorleiter oder Kirchengemeinderäte, als Vereinsvorsitzende oder Musizierende im Jugendchor und der Stadtkapelle oder in der Schülermitverwaltung. Viele Formen bürgerschaftlichen Engagements würden das zwischenmenschliche Klima befrieden – ob im Tafelladen, bei der Fahrradwerkstatt oder im Asylkreis. „Jede und jeder kann ein kleines Mosaiksteinchen beitragen zum großen Bild des Friedens. Und wer die Fülle sieht, aus der wir leben, der wird auch dankbar für Frieden, Freiheit, Sicherheit, Wohlstand.“ Er werde anfangen zu teilen, über Brücken gehen und mit Kurt Rommel singen: „Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehn. Ich möchte hinter Zäune schauen und über hohe Mauern gehn. Ich möchte gerne Hände reichen, wo jemand harte Fäuste ballt. Ich suche unablässig Zeichen des Friedens zwischen Jung und Alt. Ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür. Ich möchte keinen Streit anfangen; ob Frieden wird liegt auch an mir.“
Als Christ glaube er, dass Frieden zutiefst von dem kommt, der ihn selbst bringt. Das letzte gesprochene Wort im Gottesdienst heiße „Frieden“. „Als Versprechen und als Verpflichtung nehmen wir es mit in unseren Alltag. Mit seinem Frieden überwindet Jesus Christus Hass und Gewalt durch Gerechtigkeit und Liebe. Sein Kreuz steht auf unzähligen Friedhöfen auf dem ganzen Globus. Dieses größte Pluszeichen über dieser Erde ist nicht Symbol des Todes, sondern Zeichen des Lebens!“ Die Kreuze auf den Gräbern würden dazu mahnen, den Weg der Versöhnung zu suchen.
Wie wir persönlich dazu beitragen können, habe Haroutune Selimian beschrieben. Er sei Pfarrer der armenisch-evangelischen Gemeinde in Aleppo. Zur Zeit des schrecklichen Syrienkrieges habe er allen, ohne Ansehen ihres Glaubens, geholfen. Eine angebotene Ausreise in sichere Länder habe er mit den Worten „Jetzt ist nicht die Zeit zu fliehen“ abgelehnt. Bei der Verleihung des Friedenspreises „Schwerter zu Pflugscharen“ habe er 2017 formuliert: „Schwerter in Pflugscharen verwandeln heißt, Schritt für Schritt Frieden zu kultivieren. Man kann Frieden nicht durch einzelne politische Entscheidungen einfach so einführen. Man muss ihn in den Köpfen und Herzen der Menschen vorbereiten ...“. In diesem Sinne: Áldás, Békesség = Segen und Frieden!
Die Schüler der Klassen 9b und 9c der Realschule hatten für ihren von den Schülersprechern moderierten Beitrag zur Gedenkstunde aufrüttelnde Beispiele von Menschen ausgewählt, die ihre Erfahrung mit dem Krieg und dessen Auswirkungen niedergeschrieben haben. Die Gefühle eines Soldaten mit schwersten posttraumatischen Störungen, der feststellt, dass seine Verletzungen der Seele keiner sehen kann, gehörten genauso dazu, wie die Erzählung eines Jugendlichen, der seine Mutter im Krieg verloren hat und erklärt, dass seine Verletzungen zwar verheilt seien, die große Wunde in seinem Herzen aber nicht heilen kann. Geschichten von Schicksalen, die keinen im Raum unberührt ließen. Begleitet worden waren die Schüler von ihren Lehrerinnen Vaithehi Logananthem und Roxanne Adler.
Die traditionelle Totenehrung übernahm der Ortsbeauftragte Jutz dann zusammen mit der Sprecherin des Jugendgemeinderates Josefin Schulz.
„Wenn die Macht der Liebe über die Liebe der Macht siegt, wird die Welt Frieden finden“ – mit diesem Zitat von Jimi Hendrix eröffnete Bürgermeister Dirk Oestringer seine Schlussworte, hieß noch einmal alle Gäste der Gedenkveranstaltung in der Jahnhalle willkommen und bedankte sich bei allen Mitwirkenden. Einen besonderen Dank sprach das Stadtoberhaupt Frank Oliver Jutz für seinen Redebeitrag und sein Engagement im Rahmen seines ersten Volkstrauertages als Ortsbeauftragter aus. „Ich freue mich sehr, dass wir mit Herrn Jutz einen sehr engagierten Nachfolger für Thomas Bleicher gefunden haben, der sein Amt nach 18 Jahren leider aus gesundheitlichen Gründen niederlegen musste. Dies bedauern wir sehr und möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei ihm für sein langjähriges Engagement bedanken.“ Mit Jutz habe man einen Nachfolger gefunden, der die Ziele und Werte des Volksbundes vertritt und dem der Frieden, die Demokratie und die Freiheit eine wirkliche Herzensangelegenheit seien.
„Kriegerische Auseinandersetzungen gehören nicht der Vergangenheit an und der Wunsch einzelner Persönlichkeiten nach Macht und Reichtum fordern tagtäglich Opfer von Krieg und Gewalt und lassen alte weltpolitische Konflikte neu entfachen.“ Der Volkstrauertag sei ein Tag des Innehaltens und der Trauer. Ein Tag, an dem den Menschen, die diesen Konflikten, den Kriegen in unserer Welt zum Opfer gefallen sind und noch immer mit ihnen konfrontiert seien, gedacht – Menschen, die Lebensträume hatten, Menschen, die den Mut hatten, ihre Meinung zu sagen, Menschen, die bereit waren, sich für ihr Land einzusetzen. Menschen, die sich am Leben erfreuten und dennoch damit bezahlen mussten. All diese Menschen würden Anerkennung und Respekt verdienen, der ihnen mit dem Volkstrauertag geschenkt werde. Mit dem Volkstrauertag werde zudem das höchste Anliegen der allermeisten Menschen ausgesprochen – die Sehnsucht nach Frieden. „Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind fast 80 Jahre vergangen. Lange hatten wir seitdem das Privileg, in einem friedlichen Europa zu leben und konnten als vereintes Europa viele Herausforderungen gemeinsam meistern.“ Das 60-jährige Partnerschaftsjubiläum mit Gerlingens französischer Partnerstadt Vesoul habe noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass aus Feinden auch wieder Freunde werden können. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder auch der Krieg im Nahen Osten hätten diesem Frieden in Europa ein Ende gesetzt. „Die schlimmen und traurigen Erfahrungen des Schreckens des Krieges sind erneut Teil der eigenen Identität von vielen Menschen, ja auch von Europäern geworden“, so Oestringer.
Deshalb sei der Volkstrauertag nicht nur ein Tag der Erinnerung, sondern auch ein Tag der Besinnung. Die aus den aktuellen Europa- und weltpolitischen Konflikten resultierenden Auseinandersetzungen, die auch in Deutschland zu beobachten seien, seien Anzeichen „also ob die Mahnung, aus der Vergangenheit lernen, im Nichts verfallen würde.” Jeder wisse, wie viel Not und Leid ein Krieg oder auch die Unterdrückung einzelner Bevölkerungsgruppen verursachen kann und dennoch würden immer wieder scheinbar überzeugende Argumente gefunden, Gewalt als einzige Option zur Konfliktlösung zu betrachten. „Frieden kann nicht erzwungen werden“, hielt das Stadtoberhaut fest. Ulrich Hirsch habe in seiner Ansprache thematisiert, dass es verschiedene Schritte brauche, um Frieden in die Welt zu bringen. „Lassen Sie uns heute gemeinsam Gedanken darüber machen, wir wir unsere Zukunft gestalten möchten und verhindern können, dass Dinge, die nicht noch einmal passieren dürfen, Realität werden. Wer sich das Vergangene nicht bewusst macht, läuft Gefahr, die Schrecken zu wiederholen. Doch gleichwohl müssen wir aufgrund der neuesten Ereignisse auch die Entwicklungen unserer Zeit in unsere Gedanken einfließen lassen.”
Auch wenn bei uns kein Krieg herrsche, bekommen man die Auswirkungen dennoch zu spüren. Tausende, sogar Millionen Menschen würden fliehen, um Krieg und Gewalt zu entkommen. „Das Tragische ist, dass sie niemand gefragt hat, ob sie überhaupt bereit dazu sind, ihre Heimat, ihr Hab und Gut zurückzulassen oder gar diese Opfer und Schrecken zu erleiden.“ Sie seien vor vollendete Tatsachen gestellt worden. „Wir versuchen, für diese Menschen, die ihre Heimat zurücklassen mussten oder auch Angehörige verloren haben, Zufluchtsort zu sein und ihnen eine Perspektive zu schenken.“
Völkerverständigung, Verzicht auf Bedrohung und Gewalt sei das Gebot der Stunde – mehr denn je, hielt Oestringer zum Schluss seiner Ausführungen fest. Die jüngsten politischen Ereignisse, sowohl in Deutschland als auch in den USA, seien ein Aufruf, jetzt aufeinander zuzugehen, bevor noch größere Risse in unseren Gesellschaften entstehen. „Es liegt in unserer Hand, wie das 21. Jahrhundert weiter verlaufen wird und ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr wieder einen Schritt nach vorne machen – einen Schritt Richtung Frieden in der Welt.
„Gehen Sie heute in Erinnerung und Besinnung durch diesen Tag und bleiben Sie immer dem Frieden, der Freiheit, der Demokratie und vor allem der Menschlichkeit verbunden“, hielt Oestringer nach der Kranzniederlegung am Mahnmahl an der Petruskirche noch einmal fest.
Text/Fotos: Tommasi