Wenn die Schwetzinger Konzertpianistin Tatjana Worm-Sawosskaja einlädt, kann man Exquisites erwarten – sogar von Lernenden, die sie in ihremKlavierstudio für begabte Kinder und Jugendliche betreut. Denn die charismatische Konzertpianistin ist eine ungewöhnliche Pädagogin, die es versteht, ihre Zöglinge zu höchsten Leistungen zu motivieren. Mit ihrem runden Konzept aus zweimal wöchentlichem Klavierunterricht sowie einmal wöchentlichen Musiktheorie/Gehörbildung und Musikgeschichte gelingt es ihr, den Kindern und Jugendlichen fundiertes Musikverständnis beizubringen. Das Ergebnis davon hörte und sah man bei dem Schülerkonzert ihres Klavierstudios für begabte Kinder und Jugendliche am letzten Samstag im Juni im voll besuchten Palais Hirsch. Die künstlerische Leitung hatte Svetlana Zaharova, inne; sie ist eine von sieben Unterrichtenden des Klavierstudios. Die Moderation übernahmen Lernende des Klavierstudios Matilda Getto, 13 Jahre, Stefan Patrik Simu, 10 Jahre, und Juliane Weber, 18 Jahre (als Gast) und bedienten sich des „3D Formats“: Moderation – Bildprojektionen – Musik. Die projizierten Bilder zeigten passende Szenen, von denen einige die Kinder selbst gemalt hatten.
Kinderwelt in Klavierwerken
Es ist absolut erstaunlich, ja unglaublich, was selbst kleinere Kinder auf dem Klavier zaubern können – und das womöglich ohne Noten, denn auch das Auswendigspielen gehört zu den Fertigkeiten, die sie bei dem musikbegeisterten Dozententeam, bestehend aus Konzertpianisten und Diplomierte Klavierpädagogen, im Unterricht lernen. Auf den Spuren von Robert und Clara Schumann und Pjotr Iljitsch Tschaikowski wandelnd, zeigten die Schülerinnen und Schüler im Alter von sieben bis fünfzehn Jahren ihr Können. Diese drei großen Komponisten der Klassik hatten sich um die musikalische Schulung von Kindern bemüht und Musik zum Unterrichten und Lernen komponiert. Robert Schuman verfasste im Jahre 1848 ein „Album für die Jugend“ (Opus 68), ein zweiteiliger Zyklus von 43 Klavierstücken, wovon die ersten achtzehn Stücke für Kinder bzw. Anfänger geeignet sind, während die anderen technisch anspruchsvollere sind; Schumann selbst hatte den Zusatz “Für Erwachsene“ hinzugefügt.
Orientiert an den Interessen und der Fantasie von Kindern gab Schuman den Stücken Titeln wie „Soldatenmarsch“, den die zehnjährige Kira munter und stramm interpretierte, und „Volksliedchen“, gespielt von der achtjährigen Emilia. Schwungvoll spielte der zehnjährige Leon das Stückchen „Sizilianisch“, der ebenfalls zehnjährige Stefan Patrick befasste sich mit dem „Kleinen Morgenwanderer". Richtig Presto war die Darbietung des neunjährigen Gioele beim "Wilden Reiter" ; mit ungeheurer Sicherheit und Wechsel zwischen laut und leise widmete sich der siebenjährige Anselm dem „Knecht Ruprecht“.
Nun kamen die schwierigeren Stücke dran. Die fünfzehnjährige Maria spielte Schumanns „Erinnerungen“. Es war fast zu erwarten, dass Gioele auch in dieser Kategorie mitmachte; der Neunjährige mit italienischen Wurzeln hatte bereits nacheinem Semester Unterricht den ersten Preis bei dem 24. Badener Klavieretüden-Wettbewerb in St. Georgen im Schwarzwald gewonnen; heute präsentierte er „Das Lied der italienischen Marinari“. Ganz viele erste Preise, zum Beispiel bei „Jugend Musiziert“ kann die dreizehnjährige Matilda Getto vorweisen; außerdem hat sie bereits eine CD aufgenommen, nachdem sie 2023 als Finalistin beim Song Contest „Dein Song für EINE WELT“ teilgenommen hatte. Diesmal präsentierte sie Schumanns „Fremder Mann“. Und schließlich spielte Max Paul „Von fremden Menschen und Ländern“, ein Stück aus Schumanns „Kinderszenen“, die Schumann bereits 1838 komponiert hatte.
Robert Schumann hatte seinen Schülerinnen und Schülern nicht nur Notenlesen beigebracht, sondern auch musikalische Haus- und Lebensregeln gegeben. Einige dieser Regeln lasen die Kinder vor. Da wäre zum Beispiel: „Die Bildung des Gehörs ist das Wichtigste. Bemühe dich frühzeitig, Tonart und Ton zu erkennen. Die Glocke, die Fensterscheibe, der Kuckuck — forsche nach, welche Töne sie angeben.“ Die abschließende Regel lautet: „Es ist des Lernens kein Ende“ - und dies gilt nicht nur für junge Pianisten sondern für alle!
Nach einer kurzen Pause boten die Kinder und Jugendliche vierhändige Stücke von Pjotr Iljitsch Tschaikowskij aus dessen „Kinderalbum“ (Opus 39). Er hatte 1878 nach dem Vorbild Schumanns ebenfalls ein Lernzyklus für Kinder geschrieben und dabei an den Tagesablauf eines Kindes gedacht. Dazu gehören beispielsweise das „Morgengebet“ und der „Marsch der Zinnsoldaten“ oder auch „Die kranke Puppe“. Auch Tänze waren den Kindern zu Lebzeiten Tschajkowskijs im 19. Jahrhunderts nicht unbekannt, daher komponierte er eine kleine Polka. Und natürlich durften „Der Leierkastenmann“ und „Die Hexe“ nicht fehlen.
Geschafft!
Fast alle Kinder waren hatten bereits Wettbewerb und etliche erste und zweite Preise gewonnen. Doch: Wie kommt man zu solch einer grandiosen Leistung, zu diesem verbuchten Erfolg? Tatjana Worm-Sawosskaja befürwortet die frühkindliche Erziehung, beginnend ab dem 4. Lebensjahr, und steht damit im Widerspruch zu den Standards in deutschen Schulen, die in der Regel erst ab der ersten Klasse Grundschule Instrumentalunterricht anbieten - und das nur für wöchentlich eine Stunde; auch komme die Musiktheorie viel zu kurz, kritisiert Tatjana Worm-Sawosskaja, die sowohl für sich als auch für ihre Schüler*innen große Erfolge nachweisen kann. Tatsächlich erhalten die Schülerinnen und Schule in ihrem Klavierstudio wöchentlich zwei Musikstunden, für die Kleinen im Vorschulalter 30 Minuten, für die Größeren in den Klassen 1 bis 4, denen zudem Musiktheorie und Gehörbildung vermittelt werden, jeweils 45 Minuten. Im der „Oberstufe“ für Kinder in den 5. bis 8. Gymnasiumklassen kommt noch Musikgeschichte hinzu. Hat man das alles bestanden, bekommt man einen Abschluss mit einer qualifizierten Urkunde. Über diesen Abschluss konnte sich der 14jährige Henrik Klinger freuen, der an dem Tag des Konzerts seine Urkunde erhielt. Seine Mutter Dr.med. Katja Klinger, die den Werdegang des Jungen begleitet hatte, erhielt einen Blumengruß. Denn der Erfolg sei einem Dreigespann zu verdanken, wie Tatjana Worm-Sawosskaja hervorhob: Ein gutes pädagogisches Konzept, kompetente Lehrkräfte und ein engagierten Elternhaus. Wie es sich für Gewinner gehört, folgte der Urkundenverleihung ein musikalischer Beitrag. Henrik und sein elfjährige Bruder Yohann, ebenfalls Schüler des Klavierstudios, spielten vierhändig das temperamentvolle, mit komplexen, schnellen Läufen gespickten „Concertino für Zwei“ des zeitgenössischen Komponisten und Pianisten Manfred Schmitz, der klassische und Jazzharmonien mischte. Die Besucher*innen reagierten zunächst mit Verblüffung und dann mit begeistertem Applaus.