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Sehr lange Zeit Pfarrer in einer "nicht leichten" Gemeinde (1)

Im Innenraum der evangelischen Aegidiuskirche in Baltmannsweiler hängt unweit des Altars eine Holztafel mit der Auflistung aller Pfarrer der Kirchengemeinde...
Holztafel im Innenraum der Aegidiuskirche Baltmannsweiler
Foto: auh

Im Innenraum der evangelischen Aegidiuskirche in Baltmannsweiler hängt unweit des Altars eine Holztafel mit der Auflistung aller Pfarrer der Kirchengemeinde in den letzten 450 Jahren, beginnend mit der Nummer 1 David Pistorius, der 1579 Pfarrer wurde. Als 35. Geistlichen liest der Betrachter den Namen Erwin Wacker und die Jahreszahl 1934. Wer war dieser Erwin Wacker, der der Kirchengemeinde Baltmannsweiler in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und auch danach vorstand?

Alfred Erwin Wacker erblickte am 8. Juli 1902 in der Christofstraße 43 zu Stuttgart das Licht der Welt und wurde am 31. Juli jenes Monats in der dortigen Garnisonskirche getauft. Seine Eltern waren der damalige Intendanturrat und spätere Geheime Kriegsrat Christian Wacker und dessen Ehefrau Marie Katherine, geborene Mack, Tochter eines Tübinger Weingärtners. Erwin war der mit Abstand jüngste der vier Söhne des Ehepaars, ein „Nesthäkchen“. Der Knabe besuchte das Stuttgarter Karlsgymnasium und legte 1921 die Reifeprüfung ab. Nach einer Banklehre in der Landeshauptstadt war er in dem größten Stuttgarter Industriebetrieb als Kaufmann tätig. Als junger Mann hatte Wacker in den 20er Jahren eine grundsätzlich konservative Ausrichtung, die ganz in den Anfängen eher eine Offenheit für deutschnationales Gedankengut bewirkt haben mag. Am 23. Dezember 1926 heiratete er in Stuttgart die 26-jährige Elisabeth Emilie Batzler, Tochter eines bereits verstorbenen Stuttgarter Schneidermeisters. Mit ihr hatte er einen Sohn, den am 6. März 1927 in Stuttgart geborene Wolfgang. Er sollte das einzige Kind bleiben und wurde vierzehn Jahre später 1941 in Baltmannsweiler konfirmiert.

Aufgrund eines persönlichen Erlebnisses änderte sich dann Wackers berufliche Laufbahn grundlegend: Ab 1930 begann der 28-jährige Ehemann und Vater mit dem Theologiestudium an der Eberhard Karls Universität in Tübingen und legte dort nach acht Semestern im Februar 1934 sein erstes Examen ab. Schon 14 Tage später schickte ihn der Oberkirchenrat in die Schwarzwaldgemeinde Monakam. Dort blieb er aber nur wenige Wochen, bis er am 18. April 1934 Pfarrverweser in Baltmannsweiler und Nachfolger des bisherigen Pfarrverwesers Gerhard Rau wurde.

Als der inzwischen 31-Jährige sein neues Amt auf dem Schurwald antrat, hatte sich dort der nationalsozialistische Ungeist bereits merklich ausgebreitet. Im Gegensatz zu Hohengehren waren im sozialdemokratisch geprägten Baltmannsweiler in den zurückliegenden Jahren die nationalkonservativen Parteien und die NSDAP lange schwach geblieben. Die erste Versammlung der NSDAP war 1929 im Wirtshaus „Grüner Baum“ abgehalten worden, Zusammenkünfte der Partei hatten auch im „Lamm“ und in der „Schurwaldhöhe“ stattgefunden. In den Wirtshäusern hatte es zunehmend heftige Auseinandersetzungen zwischen politisch Andersdenkenden gegeben, die aber offenbar nicht in Schlägereien ausgeartet waren. In den Reichstagswahlen 1932 zeigte sich in der Gemeinde dann die wachsende Zustimmung für die NSDAP, noch blieb aber die SPD stärkste Partei im Ort.

Nach der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurden jedoch die zwei Arbeiterparteien SPD und KPD im Wahlkampf anlässlich der Reichstagswahl am 5. März 1933 massiv behindert. Bei dieser noch relativ freien Wahl verdrängte die NSDAP in Baltmannsweiler die SPD erstmals auf den zweiten Rang, und zwei Tage später wehte die Hakenkreuzfahne auf dem Dach des Rathauses.

Auch für die Kirchengemeinde bedeutete die Herrschaft der neuen Machthaber schrittweise tiefgreifende Veränderungen. Sie zeigte sich beunruhigt, als einige offenbar junge Nationalsozialisten am 21. März 1933, dem Tag der Reichstagseröffnung, eigenmächtig die Kirchenglocken geläutet hatten, ohne die telefonische Nachfrage des Pfarrers beim Dekanat abzuwarten. Der Kirchengemeinderat verurteilte wenige Tage darauf das Vorgehen der Männer und bat um Erteilung eines Verweises an sie.

Am 18. Juli 1933 fanden die Wahlen für den neuen Kirchengemeinderat statt. Zuvor hatte sich Pfarrer Karl Frank mit dem örtlichen Stützpunktleiter der NSDAP in Verbindung gesetzt, von dem er drei Kandidaten genannt bekommen hatte. Sie wurden mit den übrigen Kandidaten, meist seitherigen Kirchengemeinderäten, auf eine gemeinsame Liste gesetzt. Vom Vorschlag der NSDAP wurde jedoch niemand gewählt. Der neugewählte Kirchengemeinderat beschloss am 22. September 1933, eine schwarz-weiß-rote und eine Hakenkreuzfahne zur Beflaggung des Pfarrhauses anzuschaffen, wie es vom Oberkirchenrat erlassen worden war. Am 1. März 1934 erklärte dann der Kirchengemeinderat sein Einverständnis zur Eingliederung der örtlichen evangelischen Jugendvereine in die Hitlerjugend.

Inzwischen waren die Pläne der bereits 1930 gegründeten „Deutschen Christen“ erkennbar geworden, der Strömung innerhalb des Protestantismus unter dem „Reichsbischof“ Ludwig Müller, die den Protestantismus der nationalsozialistischen Weltanschauung anzugleichen versuchte. Ähnlich wie in allen anderen Bereichen von Staat und Gesellschaft sollte auch die evangelische Kirche „gleichgeschaltet“ werden. Das bedeutete konkret: in der Kirche das „Führerprinzip“ und den „Arierparagraphen“ zu übernehmen, das als jüdisch angesehene Alte Testament aus dem kirchlichen Leben zu verbannen und einen „heldischen“ Christus einzuführen. Gegen diese „Gleichschaltungsversuche“ bildete sich mit der sogenannten „Bekennenden Kirche“ eine Opposition evangelischer Christen. Am 22. April 1934 gab es im Ulmer Münster eine Kundgebung gegen die Maßnahmen der Reichskirchenregierung, bei der der damalige Landesbischof Theophil Wurm einen Gottesdienst hielt, der den Anschluss der württembergischen Landeskirche an die „Bekennende Kirche“ bedeutete. Laut Protokollunterlagen stand der Baltmannsweiler Kirchengemeinderat offenbar geschlossen hinter Wurm und auf dem Boden der Ulmer Erklärung. (auh)

Holztafel im Innenraum der Aegidiuskirche Baltmannsweiler. Ausschnitt
Foto: auh
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Ausgabe 45/2025
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