
Im Jahr 1936 bewarb sich Wacker um die im Amtsblatt vom 4. Juni ausgeschriebene Pfarrstelle. Er betonte das gute Verhältnis zwischen der Kirchengemeinde und ihm und glaubte, dass die Gemeinde es gerne habe, wenn er auf der Pfarrstelle verbleibe. Der damalige Schorndorfer Dekan Johannes Josenhans sah in ihm einen theologisch weniger interessierten Pfarrer, jedoch ganz einen Mann der Praxis, der im Umgang mit der Jugend Fröhlichkeit und Strenge vereine und hier eine glückliche Hand habe. Daraufhin teilte der Oberkirchenrat dem Baltmannsweiler Kirchengemeinderat mit, dass Wacker für die Pfarrstelle „in Aussicht genommen“sei und Einwendungen des Kirchengemeinderats gegen den Bewerber innerhalb drei Wochen beim Oberkirchenrat vorzulegen seien. Mit fünf gegen eine Stimme (sie kam vom Bürgermeister Alfred Eichele) beschloss das Gremium, dass gegen die Ernennung Wackers nichts einzuwenden sei. Eichele begründete seine Entscheidung in der Abstimmung mit „der abschlägigen Behandlung in der Kindergartenfrage, da die Uebernahme durch die NSV abgelehnt wurde“.
Die Haltung des Bürgermeisters hatte folgenden Hintergrund: Am 8. April 1936 war die bisherige Leiterin der evangelischen Kinderschule, die ledige Schwester Pauline Hummel, nach 25-jähriger Tätigkeit in Baltmannsweiler im Alter von 48 Jahren gestorben. Eichele hatte nun an den Oberkirchenrat den Antrag gestellt, die Kinderschule in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) übergehen zu lassen. Das hatte der Oberkirchenrat jedoch abgelehnt, weil die Kinderschule eine Gründung des inzwischen verstorbenen Pfarrers Julius Walz (ab 12. Dezember 1890 für wenige Jahre in Baltmannsweiler) sei. Die Kinderschule sollte deshalb als christlich-kirchliche Einrichtung unter der Leitung des Pfarramts erhalten bleiben. Der Kirchengemeinderat hatte sich diesem Bescheid am 14. Mai 1936 einstimmig angeschlossen.
Immerwährende Themen in den Sitzungen des damaligen Kirchengemeinderats waren die Finanzen und die Renovierung des Kircheninneren und des Glockenstuhls. Anfang Juli 1934 weilte in Baltmannsweiler anlässlich einer Inspektion der Dekan von Schorndorf Otto Rieder, der sich zwar erfreut über das schöne Aussehen der Kirche von außen zeigte, zugleich aber auch den Wunsch formulierte, „dass der Innenausbau möglichst bald in Angriff genommen werde, da das Innere der Kirche eines Gotteshauses nicht mehr würdig sei“. Die Kirchenbänke waren offenbar so schlecht und aufgeraut, dass den Kirchenbesuchern die Kleider zerrissen.
Am 8. Oktober 1936 gab Bürgermeister Eichele eine Bedingung für den vertraglichen Anteil der bürgerlichen Gemeinde von einmalig 500 Reichsmark an einem neuen eisernen Glockenstuhl und der Umarbeitung der Armaturen der beiden Glocken bekannt. Eichele forderte, der Kirchengemeinderat müsse seinen Beschluss rückgängig machen, „wonach bei Beerdigungen von Gemeindeangehörigen, die nicht der Ev. Landeskirche angehören, nicht geläutet werden darf“. Nach einer lebhaften Aussprache lehnte der Kirchengemeinderat die Bedingung jedoch ab: „Wer die Glocken bei Lebenszeit nicht hören will, der braucht auch ihr Geläute beim Tode nicht. Wer sich von der Kirche trennt und nichts mehr zu ihrer Erhaltung beiträgt, wird auch ihre Einrichtung nicht benützen wollen.“ Nur der Bürgermeister, der ja auch Kirchengemeinderat war, stimmte als Antragsteller natürlich für die Aufhebung des Läuteverbots.
Mitte 1937 gab es offenkundig einen Eklat, denn in der Kirchenratssitzung vom 22. Juli wurde das kirchenfeindliche Verhalten des Organisten Albert Eberle, der zugleich Hauptlehrer und auch Vorsitzender der „Deutschen Christen“ am Ort war, besprochen. Nach der Christenlehre war es nämlich zu einer Beschimpfung des Geistlichen (wohl des Pfarrers Wacker) vor dem Pfarrhaus gekommen. Von den sieben Anwesenden stimmten bis auf zwei, darunter der Bürgermeister, für eine Kündigung des Vertrags mit Eberle.
Mitte Februar 1938 fand eine erneute Visitation durch den Dekan Josenhans statt. Neben dem Dauerthema Innenerneuerung des Kirchengebäudes kam er auf das erfreuliche Ergebnis des Zuhörer- und Konfirmandenunterrichts zu sprechen: „Die Kinder sind sehr lebendig und aufmerksam, der Stand der Bibelkenntnis ist befriedigend. […] Auch eine gute Begabung ist vorhanden, so muss es ein schönes Arbeiten mit den Kindern sein.“Nicht unerwähnt darf jedoch bleiben, dass Kindern und Jugendlichen der Gemeinde der Pfarrer als strenger Mann in Erinnerung blieb, der sogar körperliche Züchtigung angewendet habe. Er soll nämlich mit der Klarinette, mit der er die Lieder im Unterricht begleitet hatte, auch Schläge ausgeteilt haben. Diese Form der Pädagogik war ein seit vielen Generationen systematisch angewendetes Erziehungsmittel und wurde auch im 20. Jahrhundert im Elternhaus, in der Schule und anderen Einrichtungen (sicherlich auch der Kirche) zumeist widerspruchslos ausgeübt.
Am 26. März 1938 erklärte der Bürgermeister seinen Austritt aus dem Kirchengemeinderat zu einer Zeit, als eine Austrittswelle aus der Kirche auch die Schurwaldgemeinde erreichte. An Eicheles Stelle wurde der Eisenbahnarbeiter Albert Halm in das Gremium gewählt. Am 16. Dezember jenes Jahres fand der Guss der dritten Glocke bei dem Glockengießer Kurtz in Stuttgart statt.
Dass die Konflikte zwischen Staat und Kirche zunahmen, zeigte sich in der Folge zum Beispiel daran, dass der Bürgermeister am Morgen des 20. Juni 1939 im Auftrag der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) den Evangelische Gemeindeverein auflösen ließ. Auch mit der örtlichen Schule, sehr wahrscheinlich vorrangig mit deren Rektor Eberle, gab es Spannungen. Der Kirchengemeinderat bestand darauf, dass die eine Stunde kirchlicher Unterricht für das achte Schuljahr am Mittwochmorgen weiter erteilt werde. Ferner suchte das Gremium es zu fördern, dass für das erste bis vierte Schuljahr am Mittwochnachmittag um halb zwei Uhr ein kirchlicher Unterricht eingerichtet werde.
Nachdem am 1. September 1939 mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg in Europa ausgebrochen war, kam am 15. März 1940 der Befehl, die Kirchenglocken als Metallreserve für eine Kriegsführung auf lange Sicht zu beschlagnahmen. Glocken aus Bronze mussten angemeldet und abgeliefert werden, der Ausbau und der Abtransport sollten auf Kosten des Reiches erfolgen. Eine staatliche Entschädigung wurde für die Zeit nach dem Krieg in Aussicht gestellt. Als die Glocken abgeholt wurden, ließ der Pfarrer die Turmuhr auf fünf vor 12 Uhr stehen, das Läut- und wohl auch das Uhrwerk kamen zum Stillstand. Er ließ sich alle Schlüssel geben, damit er allein die Verantwortung für sein Handeln trug. Als der Bürgermeister (oder eine andere Person) wutentbrannt zum Mesner gekommen sei, habe dieser nur auf den Pfarrer verweisen können. So erinnert sich Wackers Enkel Michael an eine Erzählung seiner Großmutter. Elisabeth Emilie Wacker soll nie den Arm zum „Deutschen Gruß“ erhoben haben und mehrfach beim Ortsgruppenleiter vorgeladen worden sein. Als ihr Gatte zu seiner Sicherheit in die Orte Oppelsbohm und später Mainhardt zur Kriegsaushilfe versetzt worden war, sei die Pfarrersfrau unglaublich viel in Baltmannsweiler unterwegs gewesen, z. B. zu Besuchen bei Gemeindemitgliedern.
Im November 1940 musste der Gottesdienst in Baltmannsweiler wegen Vertretung in Hohengehren um 10.30 Uhr beginnen. Obwohl es bekanntgegeben worden war, fand die „Heldengedenkfeier“ trotzdem um 11 Uhr an der Kirche statt, sodass der Pfarrer seine Predigt während des Gesangs nationaler Lieder unterbrechen musste. (auh)



