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Sehr lange Zeit Pfarrer in einer "nicht leichten" Gemeinde (3 und Schluss)

Ab 1941 war Wacker für ein Jahr Kriegsstellvertreter in Oppelsbohm, weil der dortige Pfarrer zum Wehrdienst einberufen worden war. Zu dem im Dekanat Schorndorf...
Schmuckblatt mit Pfarrer Wacker
Schmuckblatt. Wahrscheinlich 50er JahreFoto: Pfarrarchiv Baltmannsweiler

Ab 1941 war Wacker für ein Jahr Kriegsstellvertreter in Oppelsbohm, weil der dortige Pfarrer zum Wehrdienst einberufen worden war. Zu dem im Dekanat Schorndorf liegenden Dorf gehörten 14 Filialen, meist größere Höfe, die bei jedem Wetter zu Fuß zu versorgen waren. Von 1943 bis 1945 wirkte Wacker dann als Kriegsstellvertreter in Mainhardt (Dekanat Schwäbisch Hall) mit 13 Filialen, wo er einen dreistimmigen Frauenchor gründete, den er selbst dirigierte. In der Zeit bis zu seiner Versetzung nach Mainhardt hatte er auch die Kirchengemeinde des Nachbardorfes Hohengehren mitversorgt, in der von 1936 bis 1942 Erich Waldbaur Pfarrer gewesen war. Diesem waren wie seinem Baltmannsweiler Amtskollegen sowohl vom Bürgermeister als auch vom Ortsgruppenleiter und vom Lehrer in Hohengehren große Schwierigkeiten bereitet worden.

Ein erbitterter Gegner des Pfarrers Wacker und seiner Kirche war der bereits genannte aus Urach gebürtige Hauptlehrer und Mitglied der NSDAP Albert Eberle, seit dem 1. Oktober 1930 mit seiner Familie in Baltmannsweiler wohnhaft. Sein Leben sollte 1939 eine einschneidende Wende nehmen: Im Januar stellte man bei ihm eine Geistesstörung fest, sodass er als Rektor aus dem Amt ausscheiden musste und im Oktober 1940 samt Familie nach Esslingen zog. Eberle verbrachte die Jahre bis zu seinem Tod in verschiedenen Heilanstalten und starb am 29. September 1967, wenige Tage vor seinem 67. Geburtstag, in der Psychiatrie Winnenden. Der damalige Baltmannsweiler NSDAP-Ortsgruppenleiter war der in Liebenzell geborene Forstwart Gustav Köhler. Am 15. Mai 1920 war er von Rohnbach (Gemeinde Enzklösterle) nach Baltmannsweiler gekommen. Er starb am 30. April 1942 und wurde am 2. Mai in Anwesenheit des Kreisleiters Hund beerdigt. Er hatte im Jahr zuvor erfahren, dass sein jüngster Sohn Eberhard, in Baltmannsweiler zur Welt gekommen, als SS-Sturmmann im Alter von 19 Jahren in der damaligen Sowjetunion gefallen war. Dass Wacker schon zum zweiten Mal als Kriegsstellvertreter in eine andere Gemeinde versetzt worden war, soll auch daran gelegen haben, dass man ihn vor Verfolgung seitens der Baltmannsweiler Parteidienststellen schützen wollte. Die seelsorgerische Mitversorgung der vakanten Pfarrstelle in Hohengehren dauerte übrigens 44 Jahre bis 1988 an und ist heutzutage wieder der aktuelle Zustand.

Anfang April 1943 wandten sich sowohl der Baltmannsweiler Kirchengemeinderat als auch die Evangelische Kirchenpflege Hohengehren erfolglos an denOberkirchenrat mit der Bitte, diesermöge Wacker in der Gemeinde belassen und nicht nach Mainhardt versetzen. In den folgenden Jahren während seiner Abwesenheit wurde die Kirchengemeinde in Baltmannsweiler von dem Pfarrer Theodor Dipper aus dem nahen Reichenbach (Fils) mitversehen, wo dieser seit 1938 Seelsorger war. Dipper, ab 1934 Mitglied der „Bekennenden Kirche“, gehörte zu den führenden Männern der „Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft“ in Württemberg und bewies in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zusammen mit seiner Ehefrau Hildegard großen Mut. Schon länger im Visier der Gestapo, war er Ende 1938 für knapp drei Wochen im „Schutzhaftlager“ Welzheim inhaftiert. Während des Kriegs beteiligte sich Dipper an der Organisation der württembergischen Pfarrhauskette, zu der über 40 Pfarrhäuser und andere Vertraute gehörten. Die Mitglieder dieser Geheimorganisation setzten sich für verfolgte (nicht nur) jüdische Mitmenschen ein. Diese wurden in den Pfarrhäusern jeweils für einige Zeit aufgenommen und dann zu einer anderen Station weitergeleitet. So gelang es, einigen der Verfolgten das Leben zu retten. Der Name Dipper fiel in der Nachkriegszeit bei dem Pfarrersehepaar Wacker immer wieder, so jedenfalls erinnert sich der Enkel Michael.

Wacker blieb nach dem Zweiten Weltkrieg noch längere Zeit Pfarrer in Baltmannsweiler und verließ nach über zwei Jahrzehnten die dortige Pfarrei. Der Landesbischof hatte ihm nämlich zum 29. Dezember 1955 die in Linsenhofen (Dekanat Nürtingen) übertragen. In einem Bericht über die im Mai jenes Jahres durchgeführte Visitation des Dekanats in Baltmannsweiler und Hohengehren wird betont, dass Wacker eine sehr lange Zeit in einer „nicht leichten“Gemeinde Pfarrer gewesen sei und „sehr unter dem unkirchlichen Geist eines Großteils der Gemeinde“ leide, zudem an Asthma wegen des „ungesunden Pfarrhauses“. In Linsenhofen blieb Wacker nochmals mehr als ein Jahrzehnt und wurde zum 1. Juli 1967 in den Ruhestand versetzt. Grund war ein „mitunter wechselhafter Gesundheitszustand“, wie es in der Lokalzeitung hieß. Wacker und seine Gattin zogen nach Welzheim zur Familie des Sohnes, der Schulleiter am dortigen Gymnasium war. Erwin Wacker verstarb am 26. November 1978 im Alter von 76 Jahren und wurde auf dem Stuttgarter Fangelsbachfriedhof bestattet. Dort ruht er im Familiengrab zusammen mit seinen Eltern, seiner Ehefrau und seinem Sohn.

Michael Wacker erinnerte sich daran, dass seine Großeltern später noch viel von Baltmannsweiler erzählten, die Jahre in Linsenhofen waren weitaus weniger prägend. Über eine lange Zeitspanne bestand noch der Kontakt des Pfarrersehepaars zu einzelnen Personen in Baltmannsweiler. In einer Mail an den Verfasser dieses Beitrags schrieb Michael Wacker, der zur Freude des Großvaters selbst Pfarrer geworden war: „Baltmannsweiler, Hohengehren - das war stetiges Thema für die Großeltern, aber sie haben nur begrenzt die Ereignisse jener Jahre weitergegeben. Es war lange Jahre einfach noch viel zu sehr belastet.“ Die Zeit unter der nationalsozialistischen Herrschaft hatte offenbar Menschen zusammengeschweißt, die nicht systemkonform gewesen waren. Nach Ansicht des Enkels litt der Pfarrer nach dem Krieg möglicherweise daran, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder keine Folgen ihrer früheren Einstellung und ihres Tuns zu spüren bekamen. Hingegen hätten sich diejenigen Menschen im Ort, die in den zurückliegenden Jahren sicht- oder unsichtbar zu leiden hatten, zurückhalten müssen. Vermutlich hätte zudem der Großteil der Einwohnerschaft der beiden Dörfer in der Nachkriegszeit wenig über die bedrückende Situation des Geistlichen und seiner Familie gewusst - oder das nicht habe wissen wollen.

Festzuhalten bleibt: Die Pfarrer der beiden Schurwaldgemeinden während der dunklen Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft - Erwin Wacker (für Baltmannsweiler und ab 1942 auch für Hohengehren) und Erich Waldbaur (in Hohengehren von 1936 bis 1942) sowie Theodor Dipper (als Vertretung für Pfarrer Wacker ab 1942) - hatten sich nicht den damaligen Machthabern gebeugt, sondern mehr oder weniger deutlich opponiert und damit auch das Risiko von Drangsalierung und Verfolgung riskiert. (auh)

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Ausgabe 47/2025
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