Zukunft der Strecke bleibt unklar

Sorge vor dauerhafter Gäubahn-Kappung wächst

Ab Frühjahr 2026 soll die Gäubahnstrecke im Zuge der Bauarbeiten für Stuttgart 21 vorübergehend unterbrochen werden.
Gäubahn
Gäubahn vor ungewisser Zukunft: Ab 2026 Endstation Vaihingen – direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof frühestens 2032. Kritiker fürchten dauerhafte Abkopplung.Foto: Archiv

Die Züge sollen dann in Stuttgart-Vaihingen enden, eine direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof wäre erst mit der geplanten Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels frühestens 2032 wieder möglich.

Kritiker befürchten jedoch, dass diese vorübergehende Lösung zu einer dauerhaften Abkopplung der Gäubahn vom Hauptbahnhof führen könnte. Mehrere Oberbürgermeister entlang der Strecke sowie die Deutsche Umwelthilfe und das Bündnis „Pro Gäubahn“ äußern in diesem Zusammenhang erhebliche Bedenken. Im Interview mit dem Oberbürgermeister von Böblingen, Dr. Stefan Belz, sowie der Initiative „Pro Gäubahn“ und der Deutschen Umwelthilfe haben wir nach deren Einschätzungen und Lösungsvorschlägen gefragt.

Stellungnahme des Oberbürgermeisters von Böblingen, Dr. Stefan Belz

LOKALMATADOR.DE (LM): Herr Dr. Belz, wie beurteilen Sie die Pläne zur Unterbrechung der Gäubahn-Anbindung nach Stuttgart?

Belz: „Ich bin sehr enttäuscht – und ich weiß, dass es vielen Menschen in Böblingen und entlang der Gäubahn genauso geht. Schon die angekündigte Unterbrechung in Stuttgart-Vaihingen ab dem Frühjahr 2026 mit dem Umstieg auf die S-Bahn zum Hauptbahnhof stellt eine erhebliche Zumutung dar – gerade für Pendlerinnen und Pendler aus unserer Region.

LM: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation rund um die Gäubahn, insbesondere angesichts der wiederkehrenden S-Bahn-Störungen zwischen Böblingen und Stuttgart und der unklaren Zukunft der Strecke?

Belz: „Dass nun auch diese Zwischenlösung wegen der ständigen und lang andauernden Unterbrechungen der S-Bahn zwischen Böblingen und Stuttgart offenbar nicht wie geplant umgesetzt werden kann, lässt bei vielen Fahrgästen das Vertrauen schwinden. Die Gäubahn ist eine wichtige Verbindung für Böblingen und den gesamten Kreis – sie sichert Mobilität, Teilhabe und wirtschaftliche Verbindungen. Dass ausgerechnet diese Verbindung nun buchstäblich ins Leere läuft, ist nur schwer nachvollziehbar.“

LM: Wie erleben Sie die Stimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern zu der Thematik?

Belz: „Viele Menschen haben beim Volksentscheid zu Stuttgart 21 auf ein verbessertes Bahnangebot gesetzt und auf eine rasche Umsetzung der neuen Gäubahnführung über den Flughafen an den Tiefbahnhof S21. Diese Erwartung wurde bislang nicht erfüllt. Die Finanzierung und ein verlässlicher Zeitplan bis zur Inbetriebnahme, insbesondere des neu zu bauenden Pfaffensteigtunnels, stehen nach wie vor aus.

Statt verlässlicher Übergangslösungen erleben wir immer neue Unsicherheiten. Das führt zu großem Unmut – und zwar zurecht. Was wir jetzt brauchen, ist Ehrlichkeit in der Kommunikation, eine klare Perspektive für die Gäubahn und vor allem endlich eine Lösung, die für die Menschen vor Ort auch funktioniert.“

Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Belz für die Stellungnahme.

Interview mit Hans-Jörg Jäkel, Vorsitzendem des Gäubahnkomitees Stuttgart

Das Bündnis Pro Gäubahn setzt sich für den Erhalt der wichtigen süddeutschen Bahnstrecke von Stuttgart bis Singen und weiter nach Zürich ein. Gegründet am 9. März 2024, kämpft es gegen die geplante Abkopplung der Gäubahn im Zuge von Stuttgart 21. Der geplante Umstieg am stark belasteten S-Bahn-Knoten Vaihingen würde längere Fahrzeiten und geringeren Komfort bedeuten. Das Bündnis unterstützt daher juristische Klagen, wie die der Deutschen Umwelthilfe, um diese Unterbrechung zu verhindern.

LM: Herr Jäkel, warum wurde Ihrer Meinung nach die ursprünglich temporär angekündigte Kappung der Gäubahn nun faktisch unbefristet angelegt? Wie bewerten Sie die Transparenz der Deutschen Bahn in diesem Prozess?

Jäkel: „Die Kappung der Gäubahn wäre nur notwendig, um früher geplante S-Bahn-Gleise zeitweise darüber verlaufen zu lassen. Bis der neue Kopfbahnhof in Stuttgart Ende 2026 in Betrieb gehen soll, könnte die Strecke auf alle Fälle erhalten bleiben. Dass die Kappung jetzt faktisch unbefristet geplant ist, zeigt einmal mehr, dass die Gäubahn schon immer das Stiefkind der Deutschen Bahn war. 2012 gab es dazu bereits einen sogenannten ‚Filterdialog‘, bei dem Bürger und Verantwortliche Lösungen für den Erhalt der Strecke suchten.

In einer SWR-Sendung vom 4. Februar 2025 wurde zudem deutlich, dass die Kappung der Gäubahn laut einer gutachterlichen Stellungnahme von Professor Eberhardt Hohnecker überhaupt nicht notwendig ist – weder temporär noch langfristig. Es wirkt wie eine bewusste Verschleierung, die damals wie heute die Planungen der S-Bahn dominieren.“

LM: Wie wurde auf Einwände und Gutachten reagiert, die auf die fehlende Notwendigkeit der Kappung hinweisen?

Jäkel: „Ich selbst war bei der Vorstellung eines entsprechenden Gutachtens für die Seite der Deutschen Umwelthilfe im Gerichtsverfahren im Februar diesen Jahres vortragend. Zu unserer Überraschung wurde dieses Gutachten trotz plausibler Darlegungen nur sehr kurz behandelt. Es wurde rasch zum nächsten Punkt übergegangen. Die Dauer der Unterbrechung ist in den Plänen der Deutschen Bahn nicht klar dargestellt. Auf deren öffentliche Aussagen kann man sich also nicht verlassen. Politische Unterstützung gegen die Kappung gibt es reichlich: Politiker unterschiedlicher Parteien setzen sich dagegen ein. Am Montag, dem 19. Mai 2025, soll es im Lenkungskreis Stuttgart 21 einen weiteren Versuch geben, die Unterbrechung noch zu verhindern.“

LM: Welche Auswirkungen hat die Kappung auf das Mobilitätsverhalten in der Region? Wie gefährdet sehen Sie die verkehrs- und klimapolitischen Ziele von Land und Bund?

Jäkel: „Die Gäubahn ist nachweislich die pünktlichste Fernverkehrsstrecke in Deutschland. Eine Unterbrechung wird dazu führen, dass viele Menschen, die dies schätzten und nutzten, wieder auf das Auto umsteigen. Die parallel verlaufende A81, eine sehr gut ausgebaute Autobahn, ist eine gute Alternative für Pendler oder Touristen. Einige Bürger haben sich bereits wieder ein Auto gekauft oder planen dies – ich kenne persönlich mehrere in meinem Umfeld. Dies steht im klaren Widerspruch zu den klimapolitischen Zielen von Land und Bund. Auch die Interessen des ländlichen Raums wurden völlig ignoriert. Bürgermeister in der Region haben geprüft, ob sie klageberechtigt sind, mussten aber feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Dennoch äußern sie jetzt klar ihren Unmut.“

LM: Sehen Sie realistische Chancen, den durchgängigen Fernverkehr auf der Gäubahn bis Stuttgart Hauptbahnhof vor 2035 wiederherzustellen oder ist Vaihingen als Endpunkt langfristig gesetzt?

Jäkel: „Falls es doch zur Unterbrechung kommt, dann sehe ich kaum Chancen für eine Wiederherstellung und dies wird spürbare Folgen haben. Vaihingen ist als Endhaltestelle denkbar ungeeignet – der Bahnhof dort ist schlecht ausgestattet und keinesfalls eine echte Alternative. Ich habe mir dies selbst angesehen und lediglich eine Treppe sowie einen Fahrstuhl für maximal ein Fahrrad vorgefunden. Eine geplante Live-Demo im Sommer 2025 soll genau diese Schwächen aufzeigen. Wir wollen dort mit Koffern und Rädern den Realbetrieb nachstellen.

Weiterhin ist zu bedenken: Der neue Tiefbahnhof in Stuttgart, der Ende 2026 in Betrieb genommen werden soll, wird mit seinen acht Gleisen auch nicht die nötige Kapazität haben, um den bisherigen Fernverkehr der Gäubahn adäquat zu bedienen. Aktuell wickelt der Stuttgarter Kopfbahnhof 35 Züge pro Stunde ab. Ob der ab Ende 2026 in Betrieb gehende Bahnhof dies ebenfalls schafft, ist fraglich.“

LM: Was fordern Sie und andere Kritiker der Gäubahn-Kappung konkret vom Bund im Hinblick auf den zweigleisigen Ausbau der Strecke? Welche politischen Blockaden bestehen aktuell noch?

Jäkel: „Aktuell fließen nahezu alle planerischen Kapazitäten in den Pfaffensteigtunnel, ein Tunnelprojekt mit 11km Doppelröhre ohne fertige Finanzierung und belastbare Baupläne, das geschätzt zusätzliche drei Milliarden Euro kosten könnte. Das führt dazu, dass andere notwendige Projekte – wie der zweigleisige Ausbau der Gäubahn im südlichen Teil – auf der Strecke bleiben. Hier muss die Politik klar andere Prioritäten setzen, wenn sie die Mobilitätswende wirklich ernst nimmt.“

Das Interview verdeutlicht die Herausforderungen und politischen Spannungen rund um die geplante Kappung der Gäubahn. Trotz massiver Widerstände aus der Bevölkerung, von Interessenverbänden und Kommunalpolitikern bleibt die Zukunft der Strecke ungewiss. Wir bedanken uns recht herzlich bei Herr Jäkel für seine Darstellung der Problematik.

Stellungnahme des Bundesgeschäftsführers der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch

LM: Herr Resch, wie beurteilen Sie die aktuellen Pläne zur Unterbrechung der Gäubahn-Anbindung nach Stuttgart? Welche Auswirkungen hätte aus Ihrer Sicht eine dauerhafte Kappung auf die Region und die Umwelt?

Resch: „Die Deutsche Umwelthilfe ist gegen die geplante Amputation der Gäubahn-Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof, da diese auf eine dauerhafte Kappung hinausläuft, die nach unserer Auffassung nicht nur rechtlich unzulässig ist, sondern auch gravierende Folgen für die Region und das Klima hätte. Millionen Menschen in Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien würden von einer direkten, umweltfreundlichen Bahnanbindung abgeschnitten, während gleichzeitig mehr Verkehr auf die Straße verlagert würde – ein massiver Rückschritt für die Mobilitätswende und den Klimaschutz.

Zusammen kappen die Deutsche Bahn und das Eisenbahnbundesamt ohne Grund eine international bedeutende Verbindung und missachten die ursprünglichen Zusagen aus dem Projekt Stuttgart 21, dass sich für niemanden die Anbindung verschlechtere.“

Wir danken ebenfalls Herr Resch für seine Stellungnahme.

Erscheinung
exklusiv online
von Redaktion NUSSBAUM
18.05.2025
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