NUSSBAUM+
Bundestagswahl 2025

SPD-Kandidat Tim Tugendhat: "Demokratie braucht Demokraten"

Tim Tugendhat ist an der Bergstraße noch nicht gerade bekannt - trotzdem kämpft er ums Direktmandat. Für ihn ein Dienst an der Demokratie.
Der Heidelberger SPD-Vorsitzende Tim Tugendhat kandidiert erstmals für den Bundestag.
Der Heidelberger SPD-Vorsitzende Tim Tugendhat kandidiert erstmals für den Bundestag.Foto: cs

Tim Tugendhat – der Name ist noch nicht geläufig an der Bergstraße. Anders in Heidelberg. Hier ist Tugendhat Vorsitzender der SPD. Im September 2024 wurde er mit einem überragenden Ergebnis als Bundestagskandidat des Wahlkreises nominiert: 94 abgegebene Stimmen, 93 davon für ihn. Seine Chancen auf die Nachfolge von Lothar Binding? Gering.

Lothar Binding sei durchaus ein Vorbild, sagt Tim Tugendhat. Wohl deshalb greift er dessen Worte im Gespräch gerne auf. Schließlich schätzt er den früheren Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises gerade für seine klare und erklärende Haltung. „Als ich eingetreten bin, kannte ich ihn noch nicht“, erinnert er sich. Das war 2013. Er sei niemand, der sich früh politisiert hat, sagt Tugendhat über sich. Erst in den späten 20ern erweckt Politik das Interesse des heute 37-Jährigen. Ausschlaggebender Punkt war damals die Rede von Peer Steinbrück als Antwort auf die Regierungserklärung Angela Merkels. Die spricht ihm aus der Seele. Er wird aufgenommen in den Ortsverein, wird Mitglied in dessen Vorstand, später Ortsvereinsvorsitzender und im Weiteren steigt er auch im Kreisverband auf.

Wenn Tim Tugendhat erzählt, dann ist das sehr frisch. Und frei heraus. Floskeln, das Reden um den heißen Brei – es geht ihm ab. Und manchmal, sagt er, geht er unbedarft an Dinge heran. So auch an seine erste Bewerbung um die Kandidatur als SPD-Bundestagsabgeordneter. Da scheitert er 2021 an Elisabeth Krämer. Dabei hat er eine Biografie, die bestens in die Vorstellungen eines sozialdemokratischen Politikers passt.

Bilderbuchkarriere

Geboren wird Tim Tugendhat 1986 in Ulm. Seine Mutter floh aus der DDR in den Westen und landete so in Ulm, sein Vater kam wegen der Arbeit in die Stadt. Beide arbeiten Zeit ihres Berufslebens als Angestellte. Sohn Tim ist der erste in der Familie, der das Abitur macht. Er ist der Erste, der ein Studium abschließt und sogar promoviert. Eine Bilderbuchkarriere. Da ist aber auch der Haken, der aufhorchen lässt: Tugendhat leistet nämlich vor seinem Studium einen freiwilligen Wehrdienst ab. „Das war für mich ein Erwachsenwerden“, sagt er; und weiß zugleich: In der Partei macht ihn das zu einem Exoten. Er selbst hätte sich sogar die Karriere in der Armee vorstellen können. Am Ende siegt die Liebe zur Physik. Heute arbeitet er bei der Deutschen Bahn. Arbeit und Wahlkampf – ein straffes Programm, sagt er. „Ich habe echt Bock“, macht Tugendhat aber direkt klar, dass er beides unter einen Hut bekommt. Zumal er an die sozialdemokratische Arbeit glaubt. Dass diese auch in der Ampel geleistet worden ist, davon ist er überzeugt.

Erreichtes in der Ampel

„Wir haben uns innerhalb von einem Jahr unabhängig gemacht von russischem Gas. Wir haben 100 Mrd. in die Bundeswehr geschafft. Wir haben das 9-Euro-Ticket eingeführt, das war revolutionär“, erinnert er an die Erfolge, über die aus seiner Sicht nicht genug gesprochen wird. „Es wurden nur die 'Fails' gezeigt“, sagt er. Dass es die gibt, diskutiert Tugendhat nicht weg. Die nicht geschaffenen 400.000 Wohnungen? „Dazu muss man sagen, dass die steigenden Preise dem nicht gutgetan haben“, findet er eine Erklärung. Er sieht in diesem Zusammenhang die Reform der Schuldenbremse als wichtiges Instrument, um letztlich Geld bereitstellen zu können. Denn dass das Angebot erhöht werden muss, daran führt für ihn kein Weg vorbei. Jedoch muss das Bauen in öffentlicher Hand liegen, um auch sozialer Verantwortung gerecht zu werden und nicht Profitstreben zu fördern. Die Schuldenbremse zu reformieren, sollte auch die Möglichkeiten zur Sanierung der Infrastruktur geben, fordert Tugendhat. Dass am Beginn all dessen der Abbau von Bürokratie steht, das ist für ihn gesetzt. „Es will keiner mehr Verantwortung übernehmen“, warnt er davor, dass durch die vielen Regelungen Innovation verloren gehen.

Bekenntnis zu Scholz und Demokratie

Ist Olaf Scholz aus seiner Sicht der richtige Mann, um diese Themen umzusetzen? „Ja.“ Tim Tugendhat zögert hier keine Sekunde. Der Kanzler hat nicht früh genug auf den Tisch gehauen, sagt Tugendhat. Scholz sei aber besonnen und entscheidet nach Abwägung, stellt er dessen Vorzüge heraus. „Ich bin froh, dass er in den letzten Jahren Bundeskanzler war“, bekennt Tugendhat.

Tim Tugendhat bekennt sich auch zu Demokratie. Daher muss aus seiner Sicht auch das AfD-Verbot seitens des Bundesverfassungsgerichts geprüft werden. „Es mag anfangs harmlosere Menschen gegeben haben“, sagt er über die Ansichten innerhalb der Partei und ihres Führungspersonals. Unter Björn Höcke sieht er indes eine Wendung hin zum „Völkisch-Nationalistischen“. Haltung, die ist Tugendhat offenkundig wichtig. Und er hat sie schon in der Vergangenheit deutlich gezeigt: Er war einer der Initiatoren des Antrags auf Ausschluss von Altkanzler Gerhard Schröder aus der SPD. Die Nähe zu Russland auch nach dem Angriff auf die Ukraine war für ihn nicht vereinbar mit einer Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten. Der Ausschluss scheiterte.

Vorerst chancenlos

Die Chance, seinen Wahlkreis in der kommenden Legislaturperiode im Bundestag zu vertreten, sind für den Heidelberger SPD-Vorsitzenden verschwindend gering. Die SPD befindet sich im Umfragetief, er selbst kandidiert auf Listenplatz 32. Tugendhat weiß das sehr genau. „Demokratie braucht Demokraten. Wenn es keiner macht, kann man einpacken. So einfach“, erklärt er, warum er sich trotzdem stellt. Doch er macht es auch und vor allem aus Überzeugung. „Für mich ist das kein Sprint, sondern ein Marathon“, blickt Tugendhat in die Zukunft. Ihm geht es natürlich um die Wahl am 23. Februar. Aber noch mehr um jene im Jahr 2029. Da will er erneut kandidieren. Bis dahin hält er es wie sein Vorbild Lothar Binding. Der war, so sagt er, bei seiner ersten Kandidatur auch nicht erfolgreich – und hat die folgenden Jahre dafür genutzt, seinen Namen und das, wofür er steht, bekannt zu machen. „Wenn man einen progressiven, vernünftigen Mann aus dem Wahlkreis im Bundestag haben möchte, dann kann man sein Kreuz auch jetzt schon bei der SPD machen“, wirbt Tugendhat um die Stimmen der Wähler.

„Politik aus einem Guss“

Die Themen, die er besetzen will, sind vor allem Verkehr und Mobilität – das steht ihm schließlich auch beruflich nah. „Ich will auch die wehrhafte Demokratie stärken“, sagt er, will die Anerkennung von Rettern, aber auch der Bundeswehr fördern. Er könnte noch mehr Themen aufzählen, findet aber, dass das für die Menschen nicht im Vordergrund steht. „Als Direktkandidat muss man erreichbar, ansprechbar und empathisch sein. Man muss sich mit den Problemen der Menschen identifizieren können“, sagt er. Wenn man sich im Wahlkreis bewege, stehe er zudem für die SPD und müsse deren Themen repräsentieren und argumentieren, sei nicht der Haushalts- oder Finanzpolitiker. „Die Menschen wollen Politik aus einem Guss. Und das ist bei uns soziale Gerechtigkeit und dass Schwächeren geholfen werden soll“, umreißt er, wofür die SPD steht.

Vertrauen zurückgewinnen

Erste Eindrücke zu dem, was die Menschen in seinem Wahlkreis beschäftigt, hat er in den letzten Wochen bereits gesammelt. Mobilität, Wohnen, eine gefühlte Ungerechtigkeit sind die Themen, die er hört. „Da müssen wir ran. Es geht nicht darum, dass wir über Gerechtigkeit streiten. Wir müssen den Menschen wieder das Gefühl geben, sie sind Teil der Gesellschaft und dass die Gesellschaft funktioniert“, sagt er. Das sei nicht einfach. „Das müssen wir uns erarbeiten“, verweist Tim Tugendhat auf das verloren gegangene Vertrauen in die Politik. (cs)

Tugendhat, der sich als progressiv und vernünftig beschreibt, kommt auf den Plakaten nahbar und jung rüber.
Tugendhat, der sich als progressiv und vernünftig beschreibt, kommt auf den Plakaten nahbar und jung rüber.
Erscheinung
Hemsbacher Woche
NUSSBAUM+
Ausgabe 05/2025
von Redaktion NUSSBAUMRedaktion NUSSBAUM
31.01.2025
Orte
Heidelberg
Dossenheim
Edingen-Neckarhausen
Eppelheim
Heddesheim
Kategorien
Politik
Meine Heimat
Entdecken
Themen
Kiosk
Mein Konto